Die Grenzen des Digitalen

Publiziert am 28. Juni 2019 von Matthias Zehnder

Diese Woche wurde bekannt, dass die Schweizer 2018 für fast zehn Milliarden Franken online eingekauft haben: E-Commerce boomt also weiterhin. In derselben Woche hat der Bundesrat dem E-Voting in der Schweiz mindestens vorerst den Stecker gezogen und auch das Basler Parlament verordnet dem elektronischen Abstimmen eine Zwangspause. Auf den ersten Blick ist das ein Widerspruch, der auch in den Parlamenten zu reden gab. Doch die Skepsis gegenüber E-Voting ist kein Ausdruck von verknöcherter Gestrigkeit, im Gegenteil. Sie offenbart die Grenzen des Digitalen.

In der Schweiz sind schon lange nicht mehr nur die jungen Menschen digital unterwegs. Das zeigt eindrücklich der neuste «E-Commerce-Report Schweiz» der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, der diese Woche veröffentlicht worden ist.[1] Die Onlineausgaben von Konsumenten in der Schweiz sind 2018 um 10 Prozent gestiegen. Schweizerinnen und Schweizer haben im letzten Jahr online für fast 10 Milliarden Franken Güter eingekauft. Damit dürfte der Onlinehandel den Einkaufstourismus mittlerweile überholt haben. Allerdings haben auch online ausländische Anbieter deutlich überproportional zugelegt. Mittlerweile kommen 22 Prozent der Bestellungen aus dem Ausland. Die Studie sagt übrigens auch, dass dieses Wachstum des Onlinehandels auf Kosten des regionalen Einzelhandels stattfindet. Denken Sie daran, wenn in der Balser Innenstadt wieder einmal ein Laden zugeht: Daran sind nicht die fehlenden Parkplätze schuld, sondern das Internet. Aber das ist ein anderes Thema.

Dass die Schweizer gerne online einkaufen, ist keine Überraschung. Es ist die Folge eines lange anhaltenden Trends in Richtung Internet und Digitalisierung. Die Y&R Group Switzerland untersucht seit 2009 jedes Jahr das Mediennutzungs- und Informationsverhalten der Schweizer Bevölkerung. Das Resultat ist der Media Use Index (MUI).[2] Die Studie erhebt die Mediennutzung für drei Altersgruppen: Für die «Digital Natives» (14–29 Jahre), die «Digital Immigrants» (30–54 Jahre) und die «Silver Surfer» (55–69 Jahre). Mit grossem Abstand das wichtigste Medium ist in allen drei Altersgruppen (also auch bei den Digital Immigrants und den Silver Surfern) das Internet. In allen drei Altersgruppen sind Internet und Handy heute die mit Abstand am meisten täglich genutzten Medien. Kein Zweifel: Die Schweiz ist digital.

Kaum mehr gedruckte Gratiszeitungen

Vor allem das Handy, also der kleine Hochleistungscomputer in der Hosentasche, mit dem man zur Not auch telefonieren kann, wird zum Allround-Werkzeug in der digitalen Welt. Im Media Use Index 2018 hat denn auch die Internetnutzung per Smartphone die Internetnutzung am Computer überholt. Die Nutzung von Tageszeitungen sinkt jedes Jahr um etwa 10 Prozent, seit 2016 sinkt nun auch die Nutzung von Gratiszeitungen in einem vergleichbaren Tempo. Das können Sie jeden Morgen selbst feststellen: Wenn man sich vor fünf oder zehn Jahren am Morgen hinten in ein Tram stellte und nach vorne blickte, sah man in sicher 50 offene «20 Minuten»-Zeitungen. Am Morgen hatte so gut wie jede(r) eine Gratiszeitung in der Hand. Das hat sich radikal verändert: Heute schauen die Menschen am Morgen nicht mehr in eine Zeitung, sondern auf ihr Handydisplay. Vielleicht lesen sie «20 Minuten» auf ihrem Handy. Immerhin. Bloss bringt ein Mobile-Leser dem Verlag ein Bruchteil des Umsatzes eines Lesers der gedruckten Ausgabe.

Bankgeschäfte lassen sich in der Schweiz schon lange digital und online erledigen. Heute ist es selbstverständlich, dass man Rechnungen per Internet oder per App auf dem Handy bezahlt. Die App hat den Vorteil, dass man keine langen Codes abtippen muss: Man kann den maschinenlesbaren Teil des Einzahlungsscheins mit der Kamera einlesen und muss die Zahlung danach nur noch bestätigen. Dank verbesserter Sicherheitstechnologien wie der Gesichtserkennung etwa bei den neuen iPhones schaffen die Handys heute das Kunststück, gleichzeitig sicher und bequem zu sein. Ein Blick ins Display genügt und die Onlinebank öffnet sich. Per Pushnachricht meldet die Banking-App, wenn Geld eingeht oder wenn ein Dauerauftrag ausgelöst wird. Verglichen mit dem Entwicklungsstand von vor zehn Jahren sind das Welten.

Der Gang an die elektronische Urne

Nur in einem Punkt halten die Schweizerinnen und Schweizer am Papier fest: beim Abstimmen und Wählen. Seit Jahren gibt es deshalb Bestrebungen, den «Digital Natives» das Abstimmen auf elektronischem Weg zu ermöglichen. Verschiedene Systeme wurden ausprobiert und getestet. Eigentlich wollte der Bundesrat diese Woche das elektronische Abstimmen neben dem Gang an die Urne und dem brieflichen Abstimmen als dritten ordentlichen Weg der Stimmabgabe zulassen. Doch daraus wird nichts: Bundeskanzler Walter Thurnherr erklärte vor den Medien: Das E-Voting entspricht zwar einem Bedürfnis, aber für einen ordentlichen Betrieb gibt es derzeit keine Mehrheit.[3] Der Bundesrat zieht dem E-Voting also nicht gerade den Stecker,[4] aber er zieht so etwas wie eine Notbremse. Und das mit gutem Grund. In der Schweiz waren bis vor kurzem zwei E-Voting-Systeme zugelassen, beide liegen im Moment auf Eis. Im November 2018 hatte der Kanton Genf angekündigt, dass er sein E-Voting-System nicht mehr weiterentwickeln werde. Das andere System, hinter dem die Schweizerische Post steht, hatte im März einen öffentlichen Hacking-Test wegen schwerwiegender Mängel im Programmcode nicht bestanden.

Das ist erstaunlich. Seit 2004 haben insgesamt 14 Kantone einem Teil ihrer Stimmberechtigten ermöglicht, ihre Stimme elektronisch abzugeben. Derzeit wird E-Voting in zehn Kantonen angeboten. In den Kantonen Basel-Stadt, Freiburg, Genf, Neuenburg und St. Gallen sind Schweizer Stimmberechtigte im Ausland und im Inland zugelassen, in den Kantonen Aargau, Bern, Luzern, Thurgau und Waadt dürfen nur Auslandschweizer elektronisch abstimmen. Insgesamt wurden in der Schweiz so schon über 300 Abstimmungen durchgeführt. Verschiedenen nationalen und kantonalen Politikern ist es trotzdem nicht geheuer. Sowohl auf Bundesebene wie auch auf kantonaler Ebene laufen Bestrebungen, das E-Voting auszubremsen oder sogar zu verbieten. Im Kanton Basel-Stadt hat Grünen-Grossrat Michael Wüthrich Ende 2018 in einer Motion den Regierungsrat aufgefordert, das Projekt E-Voting zu stoppen.[5] Diese Woche hat der Regierungsrat auf die Motion geantwortet.[6]

Auf das Vertrauen kommt es an

Die Lektüre der Antwort lohnt sich, weil sie die Technik und die Probleme von E-Voting besser als mancher Fachartikel erläutert. Es wird klar: Ganz so dramatisch sind die aufgetauchten Sicherheitslücken nicht. Es konnten im Labor und in Versuchen zwar einzelne Lücken nachgewiesen werden, es ist dennoch aber nie gelungen, ein Abstimmungsresultat zu verfälschen. Der Basler Regierungsrat macht in der Antwort deshalb klar, dass er am Prinzip «Digital First» festhalten will: Das heisst, dass die digitale Interaktion mit der Verwaltung zur ersten Wahl werden soll. Dadurch werden die Effizienz und Nutzerfreundlichkeit von Verwaltungsdienstleistungen gesteigert, schreibt der Regierungsrat in seiner Antwort. Er weist auch darauf hin, dass das Ausüben der digitalen Rechte schon heute stark durch digitale Techniken geprägt ist. So werden die Stimmregisterdaten digital verwaltet, der Druck der Stimmrechtsausweise digital gesteuert und die Auszählung der Wahl- und Stimmzetteln erfolgt digital – ganz zu schweigen vom digitalen Abstimmungsbüchlein und den digitalen Informationen im Vorfeld einer Abstimmung. Davon liess sich das Basler Parlament überzeugen. Statt das E-Voting in Basel per Motion zu stoppen, überwies es den Vorstoss nur als unverbindlichen Anzug an die Regierung.

Was ist jetzt richtig? Soll man E-Voting verbannen oder vorwärts machen? Ich würde es so sagen: Wenn sich die Schweiz im Jahr 2019 nicht ernsthaft mit E-Voting beschäftigen würde, dann würde sie sich als Demokratie unglaubwürdig machen. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre es aber fahrlässig. E-Voting telquel einzuführen. Und zwar nicht bloss, weil die Systeme nicht sicher wären, sondern vor allem, weil derzeit zu viele Menschen nicht an die Sicherheit der Systeme glauben. Das ist der Aspekt, der in der Motionsantwort der Basler Regierung zu kurz kommt: Das Wichtigste am Abstimmungsprozess ist das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Der Prozess muss nicht nur sicher sein, das sowieso, die Stimmbevölkerung muss auch an die Sicherheit glauben. Im E-Banking und im E-Shopping ist das heute der Fall. Doch dieses Vertrauen lässt sich nicht auf das E-Voting übertragen. Denn wer E-Banking macht, der kann jede einzelne Transaktion überprüfen. Die Zuverlässigkeit von E-Banking und E-Shopping sind erlebbar und damit für jeden einzelnen überprüfbar. E-Voting kann sich nur durchsetzen, indem sich das elektronische Abstimmen schrittweise eine ähnliche Glaubwürdigkeit erarbeitet. Das wird noch eine Weile dauern, ist aber essenziell. Unsere Demokratie basiert auf einem fast absoluten Vertrauen der Menschen in die Prozesse. Deshalb sind es nicht Computer, die dem Digitalen in der Demokratie Grenzen setzen, sondern die Gefühle der Menschen.

Basel, 28. Juni 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen

[1] Der Report ist hier abrufbar: https://www.e-commerce-report.ch/

[2] Die Resultate des MUI inklusive Grafiken finden sich hier: http://www.media-use-index.ch/

[3] Vgl. «NZZ» vom 27.6.2019: https://www.nzz.ch/schweiz/e-voting-der-bundesrat-stellt-ambitionierte-plaene-zurueck-ld.1491926

[4] Schlagzeilen wie die bei «20 Minuten»: Bundesrat stoppt E-Voting nach massiver Kritik https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Bundesrat-stoppt-E-Voting-nach-massiver-Kritik-21955787 waren also massiv übertrieben.

[5] Text der Motion von Michael Wüthrich: http://www.grosserrat.bs.ch/dokumente/100388/000000388750.pdf?t=156171459220190628113632

[6] Die Antwort des Regierungsgrats findet sich hier: http://www.grosserrat.bs.ch/dokumente/100389/000000389860.pdf?t=156171459220190628113632

3 Kommentare zu "Die Grenzen des Digitalen"

  1. ZU = „E-VOTING“ (ABSTIMMEN ÜBER DEN COMPUTER):
    Von mir ein klares Nein. Die elektronische Stimmabgabe ist unnötig, teuer und bindet grosse Ressourcen in den Verwaltungen. Doch der wichtigste Punkt ist, dass die E-Voting-Systeme anfällig sind für Manipulationen. Weil fremde Regierungen oder Kriminelle unsere Wahlen und Abstimmungen zu ihren Gunsten beeinflussen könnten, untergräbt E-Voting das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere Demokratie. Dies wäre ein irreparabler Schaden für unser Land.
    Andere Länder wie Norwegen, Finnland, England, Frankreich und Deutschland haben die Gefahr längst erkannt und verzichten darauf, E-Voting einzuführen oder haben es sogar verboten. Auch zeigen Erhebungen und Erfahrungen aus dem Ausland und der Schweiz, dass E-Voting weder die Stimmbeteiligung erhöht, noch mehr Jugendliche an die Urnen bringt, oder günstiger ist.
    Wie unlängst publik wurde, hat auch das E-Voting System der Post den Stresstest nicht bestanden: National und international renommierte IT-Experten haben gravierende Sicherheitslücken gefunden.
    Das heutige System ist sicher und transparent
    Die vom Bund vorangetriebenen Projekte bringen also nur Gefahren und keinen Nutzen. Deshalb lehnt z.B. die SVP (die Partei, die wie ich finde, weiterdenkt) die Einführung der elektronischen Stimmabgabe entschieden ab. In der Wintersession 2018 hat sie einen entsprechenden Vorstoss eingereicht. Auch in der am 29. April endenden Vernehmlassung fordert z.B. die SVP einen Marschhalt, was doch OK ist?!
    Die Ergebnisse von Wahlen und Abstimmungen müssen für jeden nachvollziehbar sein. Manipulationen müssen ausgeschlossen werden und das Stimmgeheimnis bewahrt bleiben. Dies ist mit dem heutigen bewährten System der dezentralen Auszählung von Stimmzetteln gegeben. Die SVP bekämpft daher die flächendeckende, zentralistische Einführung von E-Voting, was ich richtig finde. ZUDEM: Ist es nicht ein Stolz, eine Ehre – der Gang zur Urne?! In vielen Ländern würde man die Finger lecken, könnte man dies. Es ist ein Akt, welcher stets feierlich ist. Und nur der Bequemlichkeit alles zu opfern, ist dieser Tat unwürdig.
    Am 20.02.2019 behandelte auch der beliebte Nationalrat Thomas Matter dieser Thema in seinem Videokommentar „In den Sümpfen von Bern“. Titel: „Finger weg vom E-Voting“. Recht hat er.
    Hier der Link dazu:

    1. „Die elektronische Stimmabgabe ist unnötig, teuer und bindet grosse Ressourcen in den Verwaltungen. “
      Das ist falsch.
      – unnötig: Basel bietet E-Voting heute Auslandschweizern an, die sonst nicht abstimmen könnten und Behinderten, die sonst oft nicht ohne Hilfe abstimmen könnten. Also ist E-Voting alles andere als unnötig.
      – teuer und binden Ressourcen: Die Verwaltungen müssen so oder so grosse Anstrengungen unternehmen, um ihre Systeme sicher zu halten. Auch normale Abstimmungen beinhalten digitale Prozesse, wie im Kommentar erwähnt.
      E-Voting einfach blind abzulehnen ist genau das: blind gegenüber der Demokratie. Die Reaktionen auf Onlinebanking waren übrigens zu Beginn ähnlich. Ich empfehle gelassene, vorsichtige Offenheit.

  2. Verantwortliche, die etwas nicht entscheiden und/oder nicht handeln wollen, sagen oft als Ausrede, sie wüssten noch zu wenig. Bei beispielsweise der Digitalisierung inklusive Drum-und-Dran (z. B. 5G) ist es in der Regel eher umgekehrt: Da wird entschieden und/oder gehandelt ohne zu wissen, was die Folgen sind. Grundsätzlich gilt aber in beiden Fällen: Viele Verantwortungsträger*innen in Politik, Verwaltung oder Wirtschaft wollen selten wissen , was sie wissen können.

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