Die Angst der Sportreporter vor Wiederholungen

Publiziert am 27. Mai 2022 von Matthias Zehnder

Dieses Wochenende geht die Schweizer Fussballmeisterschaft zu Ende. Die nationalen Ligen, die schon lange nicht mehr so heissen, machen untereinander noch aus, ob eine weitere Mannschaft auf- oder absteigt. Das Ende der Meisterschaft ist mir Anlass, auf einen speziellen Aspekt der Berichterstattung zurückzuschauen: die Angst der Sportreporter vor Wiederholungen. Es ist eine Angst, die spezielle Blüten treibt, denn gerade die Sportberichterstattung ist von Wiederholungen geprägt. Bekanntlich dauert ein Fussballspiel immer 90 Minuten und das Ziel bleibt immer dasselbe: Das Runde muss im Eckigen untergebracht werden. Dabei wäre es gar nicht nötig, Wortwiederholungen auf Teufel komm raus zu vermeiden. Die sprachliche Energie wäre anderswo besser investiert. In meinem Wochenkommentar sage ich Ihnen diese Woche, wie Sie, auch ohne Wortwiederholungen zu vermeiden, zu einer starken Sprache kommen.

Ein Fussballfeld ist 68 Meter breit und 105 Meter lang. Das macht 7140 Quadratmeter. Je nachdem, wie gut Sie zu Fuss unterwegs sind, ist das relativ klein – oder ziemlich gross. Joschka Fischer hat in seinem Buch «Mein langer Lauf zu mir selbst» anschaulich beschrieben, wie mit zunehmenden Gewicht sein Radius auf dem Fussballplatz immer kleiner wurde, bis er kaum über den Schatten hinausreichte, die sein massiger Körper auf den Rasen warf. 112 Kilo brachte er damals auf die Waage – und fürchtete, die Bonner Erdbebenzentrale könnte anschlagen, als er seine Joggingversuche startete. Kein Wunder, kam ihm das Fussballfeld riesig vor.

Für Fussballprofis ist das Feld wohl eher klein. Die schnellsten Fussballspieler sind mit 35 oder 36 Stundenkilometern unterwegs und brauchen nur gerade etwas mehr als zehn Sekunden, um das ganze Feld zu durchqueren. Es sind Stürmer wie Mohamed Salah, Kylian Mbappe, Erling Haaland oder Alphonso Davies. Der bringt es auf eine Spitzengeschwindigkeit von 36,51 Stundenkilometern. Mittelfeldspieler spulen dafür am meisten Kilometer ab während eines Spiels: Im Schnitt sind es pro Spiel heute mehr als 11 Kilometer. Das ist also so, als würden sie über hundert Mal von Goal zu Goal rennen. Hin und her und hin und her – Sie wissen schon.

Wenn Mohamed Salah rennt, saust, hastet und wetzt 

Vor allem aber: Auf dem Feld stehen 90 Minuten lang mehr oder weniger dieselben 22 Frauen oder Männer. Klar gibt es Wechsel, aber die wichtigsten Akteure bleiben auf dem Feld. Und in unserer famosen obersten nationalen Liga, der Super League, spielen nur gerade 10 Mannschaften. Grosse Dramen auf kleinem Raum mit beschränktem Personal. Und Sportjournalisten müssen bei der Berichterstattung darüber jedes Wochenende den Shakespeare machen. Klar, dass das oft schwierig ist, dass sich Sätze, Phrasen und vor allem Namen wiederholen.

Doch Wortwiederholungen, das haben wir alle im Deutschunterricht gelernt, sind des Teufels. Selbst Korrekturprogramme zeichnen heute Wortwiederholungen penibel an und schlagen automatisch gleich Synonyme vor. Ein Synonym eines Wortes, das ist ein Ausdruck, der dieselbe Bedeutung hat. Synonyme sind deshalb austauschbar. Meinen wir zumindest. Denn, um auf den Logiker Gottlob Frege zurückzugreifen: Auch wenn «Morgenstern» und «Abendstern» die Venus meinen und damit dieselbe Bedeutung haben, ist der Sinn der beiden Ausdrücke doch verschieden. Genau gesehen gibt es deshalb kaum echte Synonyme. Jedes Wort hat eine eigene Bedeutungsvarianz. Es ist nicht dasselbe, ob Mohamed Salah über den Rasen läuft, hetzt, jagt, prescht, rennt, saust, schiesst, wieselt, hastet, wetzt oder stürmt. Klar, sind das alles mehr oder weniger Synonyme zu «laufen» und die Fussballkommentare wären spannender, wenn Salah nicht nur über den Platz laufen, sondern auch mal hasten, wetzen oder preschen würde. Bloss muss das auch stimmen. «laufen» lässt sich nicht am Schreibtisch beliebig per Thesaurus durch eines der anderen Verben ersetzen.

Leuchtenstadt gegen Munotstadt

Besonders ins Auge gestochen sind mir in den letzten Wochen die zwanghaft vermiedenen Wiederholungen von Mannschaftsnamen respektive der Club-Orte. Weil die Fussballreporter nicht zweimal hintereinander dieselbe Stadt beim Namen nennen wollen, ersetzen sie sie durch Synonyme. Besonders beliebt als Synonymgeber für Städte sind die Flüsse, an denen die Städte liegen. So wird Zürich zur «Limmatstadt», Winterthur zur «Eulachstadt», Sion zur «Rhonestadt», Bern zur «Aarestadt» und Basel zur «Rheinstadt». Einmal abgesehen davon, dass sich kaum ein Mensch in Winterthur mit der unscheinbaren Eulach identifiziert, ist das ja noch halbwegs nachvollziehbar. Schwieriger sind Zunamen wie die «Leuchtenstadt» für Luzern oder die «Munotstadt» für Schaffhausen. Dass der Munot eine grosse Festung und das Wahrzeichen von Schaffhausen ist, das ist ja vielleicht noch herauszufinden. Aber dass Luzern die «Leuchtenstadt» sei, das lernen die meisten Menschen wohl erst aus Fussballreportagen.

Noch schlimmer ist es, wenn nicht der Herkunftsort der Mannschaft bezeichnet wird, sondern die Spieler, wenn es also gilt, Synonyme zu den Baslern, den Schaffhausern oder den Luzernern zu finden. Die Basler werden dann zu «Bebbi». So nennen sich die Basler manchmal selbst, schliesslich heisst der offizielle Abfallsack in Basel «Bebbisagg». Aber aus dem Mund eines Zürcher Reporters klingt «Bebbi» abwertend und es ist vielleicht auch so gemeint. Die Luzerner sind nicht einfach Innerschweizer, sie werden zu «Leuchtenstädtern», die Schaffhauser zu «Munotstädtern» und die Winterthurer, die werden zu Zürchern. Und das ist eine Beleidigung jedes Eulachstädters, weil doch jeder vernünftige Mensch zwischen Töss und Wallrüti sich als Winterthurer versteht und eben gerade nicht als Zürcher.

Gunner und Hopper

In der englischen Premier League haben alle Clubs Spitznamen. So spricht man nicht von den «Liverpoolern», sondern von den «Reds», nicht von den Arsenal-Spielern, sondern von den «Gunners» und nicht von den Männern aus Norwich City, sondern von den «Canaries». Anders als die «Eulachstädter» haben diese Namen aber eine sehr lange Tradition. So wurde der Nordlondoner Fussballclub Arsenal 1886 von einer Gruppe von Arbeitern gegründet, die im Royal Arsenal arbeitete, also in der königlichen Rüstungsfabrik. Seit 1888 trägt der Club Kanonen im Clubwappen – der Übername «The Gunners» leitet sich davon ab und war ab 1925 sogar Teil des Club-Emblems.

Da können Schweizer Clubs natürlich nicht mithalten. Die meisten Vereine treten hierzulande in den Farben der Stadt auf und haben keine weiteren Bezeichnungen. Mit drei Ausnahmen: Der 1886 gegründete Grasshopper Club Zürich und der 1898 gegründete Berner Sport Club Young Boys sind die beiden einzigen Schweizer Superleague-Clubs mit Zunamen. YB und der 1893 gegründete FC Basel sind zudem dafür bekannt, dass sie nicht die Stadtfarben tragen: Bei YB ist es Gelb-Schwarz, beim FCB ist es Rot-Blau. Entsprechend werden die Clubs genannt: So spielen zuweilen die «Hoppers» gegen «Rot-Blau» und das hat dann eine fast so lange Tradition wie das Spiel der Gunners.

Der Krienser und der Lampenberger

Nicht nur die Clubs, auch die Spieler werden nicht gerne wiederholt beim Namen genannt. Beliebt sind die Herkunftsorte oder -länder der Tschütteler. Valentin Stocker ist der ewige Krienser und Fabian Frei bleibt Thurgauer, auch wenn er mit 453 Spielen so oft für den FC Basel aufgelaufen ist wie kein anderer Fussballer. Haris Seferović bleibt unser Mann aus Sursee, ganz egal, wie lange er schon in Portugal spielt. FCB-Besitzer David Degen ist der Lampenberger und Beni Huggel bleibt der Münchensteiner. Ärgerlich daran ist die Verkettung der Übernamen, wenn also Valentin Stocker den Ball annimmt, der Krienser nach vorne stürmt und der Flügel in die Mitte zieht und schiesst, dann könnten das auch drei verschiedene Männer sein. Die Angst der Sportreporter vor Wiederholungen ist so gross, dass sie die Namen der Spieler zwanghaft variieren und sie dafür mit irrelevanten Attributen versehen. Wenn das ballführende Subjekt dasselbe bleibt, töte es auch ein Pronomen und sonst ist der Name immer noch die beste Bezeichnung für einen Menschen, auch wenn es sich dabei um einen Fussballer handelt.

Nun mag uns das als Konsumenten der Sportberichterstattung zwar stören, wenn die Luzerner ständig als «Leuchtenstädter» bezeichnet werden und Fabian Frei der ewige Thurgauer bleibt, aber davon abgesehen kann uns das doch egal sein, oder? Vielleicht bezogen auf die Sportberichterstattung. Aber die Angst vor Wiederholungen prägt nicht nur den Sportjournalismus, sie hat längst übergegriffen auf den Aufsatzunterricht, Politikerreden und die übrigen Textteile der Zeitungen. Ist die Wiederholung wirklich so schlimm? Es kommt darauf an. Ich würde sprachlich unterscheiden zwischen Subjekt und Prädikat. 

In den Verben steckt die Kraft

Die Namen der Mannschaften und ihrer Spieler sind nun mal gegeben. Sie zwanghaft zu variieren, verringert nur die Verständlichkeit der Texte. Hingegen liesse sich wesentlich mehr sprachliche Energie in die Beschreibung des Spiels stecken. Sinnvoll wäre es also, statt die Subjekte zu variieren, die Energie ins Variieren der Prädikate zu stecken. Stocker bleibt Stocker – aber er kann über den Platz sausen oder humpeln, wetzen oder schleichen. Der FC Luzern spielt nun mal gegen den FC Schaffhausen. Lassen Sie uns die Luzerner und die Schaffhauser auch so nennen, ganz ohne Leuchten und Munot. Interessant ist doch, wie sie spielen. Da sollten wir unsere sprachliche Energie reinstecken. Genau das lässt sich als Regel für gutes Schreiben übernehmen: Variieren Sie die Verben. Hier findet die Handlung statt. Da kommt Farbe rein. 

Bloss bitte nicht um jeden Preis. Im politischen Teil der Zeitung ist oft die Rede davon, was Politiker:innen gesagt haben. Um das Verb «sagen» zu vermeiden, greifen die politischen Kollegen der Sportreporter zu allerlei Synonymen. Da wird erklärt, behauptet, negiert, entgegengehalten, verkündet, mitgeteilt, gesprochen, geäussert, deutlich gemacht, kundgetan, vermeldet und kommuniziert – wo doch ganz häufig nur gesagt oder gesprochen wurde. Und all das nur, weil der Deutschlehrer im Aufsatz das Wort «sagen» immer eingekreist und mit einem roten «A» am Rand markiert hat. Lassen Sie die Politikerin oder den Politiker ruhig sagen, was sie oder er zu sagen hat – zu häufig haben die Damen und Herren zwar viel zu melden, aber wenig zu sagen. In diesem Sinne: Schreiben Sie gut, schreiben Sie oft und schreiben Sie gerne mit Wiederholungen. 

Basel, 27. Mai 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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PPS: Wenn Sie den Wochenkommentar nur hören möchten, gibt es auch eine Audioversion. Hier der Link auf die Apple-Podcast Seite oder direkt auf die Episode:


Quellen

Bild: © KEYSTONE/Valentin Flaurand

Blick Sport (2022): Freistoss-Knaller bringt Schaffhausen den Barrage-Platz. In: Blick. [https://www.blick.ch/sport/fussball/challengeleague/wer-wird-der-gegner-sein-freistoss-knaller-bringt-schaffhausen-den-barrage-platz-id17511206.html; 23.5.2022].

Das, Surajit (2022): Top 10 Fastest Football Players in the World 2022. In: Soccersouls. [https://www.soccersouls.com/top-10-fastest-football-players-in-world-football-2022/; 27.5.2022].

Sat1 (2015): Wie groß sind die Fußball-Spielfelder der Bundesliga-Klubs? In: www.ran.de. [https://www.ran.de/fussball/bundesliga/news/wie-gross-sind-die-fussball-spielfelder-der-bundesliga-klubs-103102; 27.5.2022].

2 Kommentare zu "Die Angst der Sportreporter vor Wiederholungen"

  1. Als Wissenschaftler habe ich gelernt, dass es in der Regel gilt, viel zu schreiben, ohne viel zu sagen. Wie es zum kranken und krank machenden Programm der krass intelligenten und schlauen Kopfmenschen gehört, von deren Denken und Tun auch ich mich zu lange habe beeindrucken lassen. Für mich ist es wichtig geworden, auf die Stimme meines Herzens zu hören und aus Liebe zum Leben zu handeln. Es tut gut, mich dafür gemeinsam mit andern unterwegs zu fühlen und zu wissen! Es stört mich nicht, wenn es dabei Wiederholungen gibt: ganz im Gegenteil!

  2. Das ist mir aus der Seele gesprochen! Ja, ja: variatio delectat, aber wenn man nach der dritten Variante nicht mehr merkt, dass es immer noch um dieselbe Person geht, erfreut es wirklich nicht mehr. Diese Angst vor Wiederholungen ist manchmal richtig pathologisch… Übrigens „fehlt“ im Text noch eine Variante: deutsche Politiker „gehen“ gern „von etwas aus“ – aber gut, das lässt sich im Ressort Sport nicht immer unterbringen… 😉 Herzliche Grüsse nach Basel!

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