Der Kampf gegen Corona ist kein Krieg

Publiziert am 27. März 2020 von Matthias Zehnder

«Wir sind im Krieg», hat der französische Präsident Emmanuel Macron seinem Volk zugerufen und dafür viel Zustimmung erhalten. Doch das stimmt nicht. Es ist ein Kampf gegen das Virus, die Pandemie ist eine globale Herausforderung, eine Krise, für manche eine Katastrophe. Aber es ist kein Krieg – zum Glück nicht. Es ist wichtig, dass wir uns das immer wieder in Erinnerung rufen und uns auch so verhalten.

«Wir befinden uns im Krieg», erklärte der Griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis diese Woche. «Wir werden uns nie ergeben und wir werden siegen», erklärte der Spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez. «Wir sind im Krieg» rief Emmanuel Macron seinem Fernsehpublikum zu. Europas Staatschefs präsentieren sich als Feldherren. Vielen Menschen gefällt das. Die Zustimmungswerte von Emmanuel Macron sind gestiegen in den letzten Tagen. In der Schweiz werden Stimmen laut, die vom Bundesrat markigere Worte und härtere Handlungen fordern. Schliesslich sind wir im Krieg. Doch: Sind wir das wirklich?

Ich meine: Nein. Und das ist gut so. Der Kampf gegen das Coronavirus und die Covid-19-Krankheit ist genau das: ein Kampf. Die Krankheit ist eine Gefahr, das Virus eine Herausforderung. Aber wir sind nicht im Krieg und sollten alles daransetzen, dass der Kampf gegen das Coronavirus nicht zum Krieg wird. Wortklauberei, meinen Sie? Ist es nicht. Ein Krieg unterscheidet sich in drei wesentlichen Elementen von einem Kampf gegen ein Virus oder eine andere Naturgefahr.

Keine Feinde

Der wichtigste Punkt ist sicher: Ein Krieg wird gegen Feinde geführt. Gegen Menschen, die schiessen oder zurückschiessen, die das Land erobern und die Bevölkerung womöglich knechten wollen. Die Römer kämpften gegen Germanen und Gallier, die Franzosen gegen Deutsche und Engländer, die Österreicher gegen die Osmanen, die Amerikaner zuerst gegen die Nazis und dann gegen die Kommunisten. Gott sei Dank gibt es das in dieser Krise nicht. Wir kämpfen nicht gegen Menschen, sondern gegen ein Virus – für die Gesundheit. Wir alle sitzen dabei im gleichen Boot, alle Menschen, ja: die ganze Menschheit. Umso schlimmer ist es, dass im Kampf als erstes die meisten Länder ihre Landesgrenzen schlossen und suggerierten, das Böse komme von aussen. Gerade jetzt ist die internationale Zusammenarbeit besonders wichtig.

Darauf zu beharren, dass wir uns im Krieg befinden, ist deshalb kontraproduktiv. Aber es ist einfacher, martialisch von «Krieg» zu reden, wie das Emmanuel Macron, Kyriakos Mitsotakis und Pedro Sánchez tun. Überraschend viele Menschen wünschen sich jetzt einen Feldherrn mit starker Hand. Der rationale Pragmatismus des Schweizerischen Bundesrates hebt sich davon wohltuend ab. Aber es braucht Kraft, massvoll und pragmatisch zu bleiben. Feldherr im Krieg zu sein, ist offenbar einfacher, als in einer Krise vernünftig zu bleiben.

Keine Ideologie

In einem weiteren Punkt unterscheidet sich der Kampf gegen das Coronavirus von einem Krieg: Es fehlt die ideologische Überhöhung. In jedem Krieg spielt Ideologie eine wesentliche Rolle, ganz egal, ob es um den Kampf für die Freiheit oder gegen den Kommunismus, für mehr Land oder gegen Invasoren geht – Kriege brauchen Ideologien. Denn Menschen gehen von sich aus nicht auf andere Menschen los. Ideologien schalten gleich und das Denken aus. Sie fordern von den Menschen unbedingte Gefolgschaft, ohne Zweifel, wenn und aber.

Im Kampf gegen das Coronavirus ist das zum Glück anders. Der Kampf basiert auf Rationalität, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, auf Vernunft. Das sind keine Ideologien, deshalb müssen wir uns auch entsprechend verhalten. Wir können, ja wir müssen über die Massnahmen von Politik und Wissenschaft diskutieren. Wir müssen uns kritisch damit auseinandersetzen. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden immer wieder revidiert, Handlungsanweisungen verbessert. Massnahmen gegen das Virus sind nicht umso besser, je strenger sie sind. Es gibt den Wunsch nach möglichst grosser Härte und Strenge. Das wäre aber eine ideologische Überhöhung. Lassen Sie uns vernünftig bleiben. Wir sind nicht im Krieg.

Kein Kampf mit allen Mitteln

In einem Krieg gilt bekanntlich finis mediis iustificat – der Zweck heiligt die Mittel. In einem Krieg gibt es deshalb schnell einmal keine Tabus mehr. Datenschutz? Persönlichkeitsrechte? Bürgerliche Freiheiten? Vielleicht sogar Völkerrechte? Wenn es um das Wohl der Nation im Krieg geht, spielt das alles keine Rolle mehr. Auch deshalb ist es wichtig, dass wir uns bewusst machen, dass der Kampf gegen das Coronavirus kein Krieg ist. Rechte und Gesetze bleiben in Kraft. Gut, tritt das Parlament zu einer Sondersession zusammen. Hoffentlich werden die vom Bundesrat getroffenen Massnahmen kontrovers diskutiert. Wenn alle Politikerinnen und Politiker kritiklos einverstanden sind, wird es gefährlich.

Im Moment richtet sich die Gesellschaft zum Schutz der Schwächsten ganz nach den Empfehlungen der Virologen. Den Preis dafür bezahlen wir alle. Sozial, psychisch – und wirtschaftlich. Bald einmal wird sich die Frage stellen, wie hoch dieser Preis sein darf. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir, um das Leben vieler Menschen zu schützen, noch mehr Menschen die Lebensgrundlage entziehen. Verstehen Sie mich recht: Ich zweifle nicht am Sinn der Massnahmen. Wichtig ist, dass wir in der Lage sind, sie kritisch zu hinterfragen und zu diskutieren. In einem Krieg wäre das nicht möglich. Nutzen wir also die Chance: Lassen Sie uns weiterhin kritisch über den Kampf gegen das Coronavirus nachdenken. Bleiben wir vernünftig.

Basel, 27. März 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen

Bild: ©sudok1 – stock.adobe.com

 

5 Kommentare zu "Der Kampf gegen Corona ist kein Krieg"

  1. Was wir VOR dieser Krankheit erlebten, war übertriebene Marktwirtschaft (lassen wir mal Kampfbegriffe wie Kapitalismus aussen vor).
    Jede Eltern hatten mindestens 3 Riesen-Trampoline im Garten, Kindergeburtstage mutierten zu Geschenk-Festivals, an denen nicht nur das Geburtstagskind mit Geschenken übergossen wurde, sondern es auch usus war, dass die kleinen Gäste reich beschenkt nach Hause zurückkehrten. Kamen sie ohne was, war es ein mieses Fest und die „Lusche“ wurde fortan in der Schule gemobbt.
    Und im hintersten und letzten Kaff eröffnete eine Shisha-Bar mit Riesenfussballfernseh‘ zur verblödung und vergiftung der Kunden….
    Und und und…..
    Was wir WÄHREND der Krankheit erleben, sollte jedem SP-Wähler zu denken geben. Es ist das angestrebte Sozialistische Paradies. Wie zu DDR-Zeiten lange Schlangen vor den Läden und in den Läden halbleere Regale. In Polen, der CSSR, in Bulgarien oder Rumänien sah es nicht anders aus.
    Eine Schweizer SP-Delegation (u.a. mit H. Hubacher als Mitreisender) besuchte damals offiziell die DDR, kam mit leuchtenden Augen zurück und schwärmte bis jetzt vom Sozialismus.
    Das kann es doch auch nicht sein, was sich VOR und WÄHREND dieser Krankheit zuträgt.
    Möge, und darauf hoffen wir alle gemeinsam, sich bald das DANACH einstellen. Ein Danach mit Masshalten, mit Begrenzen, mit gesundem „Stopp-sagen“ dem uferlosem Menschen- und Warenfluss, den Wert des Nationalstaates wiederkennen, die eigenen Bauern und deren Erzeugnisse stärken und Grenzen zur Eindämmung, als Schutzwall, zur Kontrolle jeglicher Art wieder als etwas Gutes, Nützliches wie jetzt in Europa 1:1 ablesbar anzusehen.
    Überschaubare Gefüge, wo Virenlagen und sonstige Menschheitsrechte individuell anzuschauen sind, zu überschauen sind und zu steuern sind.
    Die EU mit der Ärztin Dr. Von der Leyen ist ein flatterhaftes, ausgefranstes Gebilde ohne jegliche Zugkraft und Einfluss.
    Mögen das die Menschen erkennen. Amen.

      1. Antwort:
        Gerne ein Nachschlag für Sie, sehr geehrter Herr Ehrsam: Ich empfinde (oder empfinden Sie anders?), und vor allem ich höre rein gar nichts von unserer Wirtschaftspeitscherin CVP-NR-Schneider-Schneiter. Auch von vielen anderen Parlamentarier kein Wort. Diese Schönwetterkapitäne sind bei Sturm untergetaucht. Das Wichtigste, ihre Session fällt nicht aus, wo man in 3 Wochen 6’000 Fr. in die eigene Tasche erhält. (Spesen, Sitzungsgelder, Komissions-Positionszahlungen, heimgeliefertes Büromaterial und Fist-Class-SBB-Tickets, Parkinggebührenrückerstattung usw. usw noch nicht dabei…).
        Die BL-NR macht sich ja neben Ausbau des EuroAirportes auch für hochleisterige Hochleistungsstrassen stark, für noch mehr Grenzgänger und eine grenzenlose Region.
        Zappenduster ihre Visionen zur Zeit: Grenze zu, Airport=Ruhe (die ganze lärmgeplagte Region dankt), Grenzgänger nur dosiert und unsere Autobahnen reichlich genügend.
        Das Letzte, was ich von CVP-BL-NR-Schneiter hörte, war eine Aufforderung an die Stimmbevölkerung von Basel-Stadt(!), zum Hafenprojekt (3. Hafenbecken usw.) gefälligst JA zu stimmen. Denn = Die Wirtschaft, die Wirtschaft geht ohne unter! Kein Wort über das zahlreiche Mehr an LKW-Fahrten (bewiesen); kein Wort über die mehr als fragwürdige Zukunft der Rheinschifffahrt, die es durch niedrige Pegelstände (dank Klimaerwärmung) in heutiger Form bald nicht mehr geben wird; kein Wort über das einzigarite Trockenbiotop, welches als „Hoch“ eingeschätzt wird und plattgemacht würde….
        So wie ich die BS-Stimmenden einschätze, wird dieser (Milliarden-)Projekt (zu recht) haushoch abgelehnt.
        Da nützt kein Blond, kein Perlweiss und kein Lips-Rouge. Einseitiges Wirtschaftseinpeitschen war gestern, wer in der heutigen Zeit die Allumfassenheit nicht sieht, hat verloren.
        Von dem her sind Rundumblicke/schläge gar nicht so verkehrt.

  2. Viren können krank machen oder gar töten. Und ganze Gesellschaften lahm legen. Gierig und rücksichtslos. Wie das auch Menschen tun. Wenn sie andere ausbeuten und unsere Lebensgrundlagen zerstören: Im System einer kollektiv organisierten Verantwortungs- und Wertelosigkeit, wo alle tun oder lassen können, was und wie sie es wollen. Um immer noch mehr Profit, Macht und Spass zu haben. Ein solches System lässt sich nur so aushebeln und ausser Kraft setzen, wie es entstanden ist: gemeinsam. Um Verlustangst und Resignation zu überwinden, die das Denken und Handeln lähmen, brauchen wir neue, progressive Wir-Formen. Was lokal, regional und national gilt, trifft auch global für die Entwicklung einer Weltgemeinschaft zu, die immer stärker auf Demokratie basieren wird. Autokrat*innen, Machtschach-Spieler*innen und Plutokrat*innen wissen nicht, wie das geht. Sie sind überflüssig.

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