Als das Auto verboten wurde

Publiziert am 3. Februar 2017 von Matthias Zehnder

Diese Woche blicken wir vom Jahr 2032 aus in die Vergangenheit, zurück auf die Zeit, als die Menschen realisierten, wie gefährlich Verbrennungsmotoren sind und die Autos verboten. Es ist jetzt 15 Jahre her, da kam es, kurz nach dem Dieselskandal bei VW, zum ersten grossen Aufstand der Städter gegen die Automotoren. Heute können wir es uns nicht mehr vorstellen, warum die Menschen so lange stinkende und lärmende Blechkisten vor ihren Haustüren duldeten. Aber lesen Sie selbst.

Wir alle neigen dazu, kurzfristig Veränderungen zu überschätzen, langfristig aber zu unterschätzen. Wir sind deshalb jeweils Ende Jahr etwas enttäuscht darüber, wie wenig sich geändert hat auf der Welt – wenn wir aber über eine grössere Distanz zurückblicken, stellen wir erstaunt fest, wie stark sich die Welt verändert hat. So geht es uns auch, wenn wir von heute Dienstag, 3. Februar 2032, 15 Jahre zurückschauen auf das Jahr 2017. Erinnern Sie sich?

Es war das Jahr, als Donald Trump Präsident der USA wurde und mit seiner «America First»-Politik die USA ins Abseits führte. Wenig später tauschten China und die USA die Rollen. China übernahm die Führung der freien Welt und wurde zum Pulsgeber für eine nachhaltige und innovative Wirtschaftsentwicklung. Damals war es noch unvorstellbar, dass in der Schweiz viele Schüler chinesischen Immersionsunterricht besuchen und eine zweisprachige Matura auf Chinesisch und auf Deutsch ablegen. Aber darum geht es mir nicht.

Diesel-Dreck systematisch vertuscht

2017 war das erste Jahr nach dem Abgasskandal bei Volkswagen, als der Konzern zugeben musste, dass er mit Hilfe von speziellen Motorsteuerungsprogrammen die Abgasprüfungen ausgetrickst hatte. Ende Januar 2017 deckte die Sendung «Rundschau» des Schweizer Fernsehens auf, dass VW nicht alleine war. Dieselautos stiessen ganz generell auf der Strasse weit mehr Schadstoffe aus als im Labor.* Die Autoindustrie habe den Diesel-Dreck systematisch vertuscht, erklärte die «Rundschau» damals. Messungen der Empa ergaben, dass ein Renault-Modell auf der Strasse 17mal mehr Stickoxide ausstiess als im Labor.

Die Autos waren also deutlich dreckiger, als dies die Industrie immer behauptet hatte. Mit dem «sauberen Motor» und dem «eco drive» war es nicht viel her. Das überraschte höchstens die Politiker. Denn die Luft in den Städten und entlang der grossen Verkehrsachsen wurde zusehends schlechter.

Dieselfahrverbot im Tessin

Ende Januar 2017 waren zum Beispiel die Feinstaubwerte im Kanton Tessin so schlecht, dass der Kanton alte Dieselautos vorübergehend mit einem Fahrverbot belegte und die Autofahrer auf der A2 südlich des Monte Ceneris nur noch mit einer Höchstgeschwindigkeit von 80 Kilometer pro Stunde fahren durften. Die Tessinerinnen und Tessiner konnten die regionalen öffentlichen Verkehrsmittel kostenfrei benutzen. Öffentliche Gebäude durften nur noch bis maximal 20 Grad Celsius geheizt werden.

Auch in deutschen Städten kam es immer häufiger zu Feinstaubalarm. Städte wie Stuttgart und München meldeten immer wieder zu dicke Luft zum Atmen. Die deutschen Grünen forderten deshalb den Abschied von der Dieseltechnik. Wir brauchen endlich einen Ausstiegsplan aus dem Diesel-Pkw und einen beherzten Einstieg in alternative Antriebstechnologien, erklärte Fraktionschef Anton Hofreiter im Bundestag. Gesundheit gehe vor Kumpanei mit der Autoindustrie.

Es war wie beim Rauchen

Rückblickend lief es mit den schmutzigen Autos ähnlich wie früher mit dem Rauchen: Lange Zeit war es akzeptiert, ja ein Statussymbol, einen Glimmstängel zwischen den Lippen zu haben. Die Menschen rauchten in ihren Wohnungen und am Arbeitsplatz. Selbst die Bahn stellte die Hälfte ihrer Sitzplätze den Rauchern zur Verfügung. Als klar wurde, wie schädlich das Rauchen ist, als Eltern begriffen, wie sehr sie ihren Kindern schadeten und die Gesellschaft realisierte, wie teuer sie die durch das Rauchen verursachten Gesundheitskosten kamen, wurde aus dem Rauchen sehr schnell eine sehr unerwünschte Angelegenheit.

Beim Auto lief es ähnlich. 2016 hatte die Europäische Umweltagentur ausgerechnet, wie viele Menschen jedes Jahr an dreckiger Luft starben: Europaweit war es fast eine halbe Million. In der Schweiz starben damals jedes Jahr 4300 Menschen wegen der zu hohen Feinstaubbelastung, 240 Menschen wegen der Ozon-Belastung und 950 Menschen wegen der vor allem von Dieselmotoren verursachten Stickoxidbelastung. Zusammen waren das 5490 Menschen, die in der Schweiz jedes Jahr an Luftverschmutzung starben!

Luft 20mal gefährlicher als der Verkehr

Als die Öffentlichkeit realisierte, dass etwa 20mal mehr Menschen an der Luftverschmutzung starben als die Schweiz Verkehrstote zählte, ging es relativ schnell. Zuerst wurden alte Dieselmotoren verboten. Dann erliessen die Städte Basel, Zürich und Genf ein generelles Fahrverbot für Dieselfahrzeuge. Basel und Genf dehnten als erste Kantone dieses Fahrverbot auf die Autobahnen aus. Erstaunlicherweise war es der Kanton Graubünden, der als erster ein Totalverbot von Verbrennungsmotoren erliess. Der Kanton fürchtete, wegen der schlechten Luftqualität in Orten wie Davos und St. Moritz noch mehr Touristen zu verlieren – nachdem mehr als die Hälfte der Skigebiete im Winter keinen Schnee mehr hatten, war die gute Luft das beste Verkaufsargument.

Heute können wir es uns gar nicht mehr vorstellen, dass früher die stinkenden und lärmigen Blechkisten überall in der Stadt Vorfahrt hatten. Dass die bürgerlichen Politiker mit religiösem Eifer für Parkplätze in der Stadt kämpften. Dass Kinder am Morgen auf dem Weg zur Schule am Strassenrand Abgase in unbegrenzter Höhe einatmen mussten. Dass es viele Orte in der Stadt gab, wo die Menschen vor lauter Verkehr nicht leben wollten, dass sich die Stadt also stellenweise mehr um die Autos als um die Menschen kümmerte. Nein, das können wir uns heute nicht mehr vorstellen.

Bloss schade, dauerte das so lange

Es ist bloss schade, dass es so lange gedauert hat. Für die Öffentlichkeit war ausschlaggebend, dass sie realisierte, wie ungesund die Abgase waren und wie viele Menschen daran bereits erkrankten oder sogar starben. Es spricht Bände, dass die Politiker sich erst unter massivem Druck darum kümmerten – und erst, als sich schon abzeichnete, dass die Autoindustrie selbst jedes Interesse hatte, in die Elektromobilität und in selbstfahrende Autos zu investieren.

Heute verstehen wir es nicht mehr, dass es damals, im Jahr 2017, noch ein Statussymbol war, eine Blechkarre vor dem Haus stehen zu haben. Die Menschen hatten sich damals schon daran gewöhnt, dass Wasser oder Strom zu Hause aus dem Hahn oder aus der Dose kam, dass also nicht jeder einen eigenen Brunnen oder ein eigenes Kraftwerk brauchte. Es ist erstaunlich, wie lange die Menschen brauchten, um diese Haltung auch auf die Mobilität zu übertragen.

Mobilität als Dienstleistung

Nein, heute können wir es uns nicht mehr vorstellen, wie es war, als die Menschen ihre Autos selbst besassen und sogar selbst steuerten. Man stelle sich nur vor, wieviel Zeit das frass und wie unsicher es war. Heute, da Mobilität wie Mobilfunk abonniert wird, ist der Verkehr sehr viel sicherer geworden und natürlich sehr viel sauberer. Schliesslich gibt es nur noch Elektromobilität. Und seit Solarzellen transparent sind, fallen sie auf den Dächern auch fast nicht mehr auf. Wir nehmen das heute als so selbstverständlich, dass es manchmal ganz gut ist, sich an die Zeit zu erinnern, als die Menschen noch an Luftverschmutzung starben.

*Alle Angaben und Zahlen aus den Jahren 2016 und 2017 sind Fakten. Fiktion ist nur, dass die Menschen aus den Fakten lernen. Bisher wenigstens.

http://www.matthiaszehnder.ch/wochenkommentar/werte/

 

7 Kommentare zu "Als das Auto verboten wurde"

  1. Schön, dass Matthias Zehnder, der als Redaktor der bz noch von einem mehrheitlich ungebremsten Wachstum des giftigen und/oder lebens(raum)feindlichen Autoverkehrs (insbesondere auch in und um Basel) ausging, zu Beginn von 2017 seine Meinung geändert hat. Geändert hat sich ab 2017 allgemein auch der Umgang mit Mehrheiten bzw. Wahrheiten. 2032 hängen Mehrheiten nicht mehr an Wahrheiten, nur weil sie eine Mehrheit für wahr hält. Eine solche von der Mehrheit geglaubte und handlungsrelevante Wahrheit brauchte bis 2017 nämlich keine Wahrheit zu sein, die auch wirklich wahr war. Bis 2017 waren Wahrheiten, die Mehrheiten als relevant bestimmten, immer noch extremer unwahr. Vor allem dann, wenn sie von Autokraten in so genannten Demokratien verbreitet wurden. Solcherart Wahrheiten wurden zwar mitunter auch als Lügen bezeichnet. Aber das machte sie bis 2017 nicht weniger handlungsrelevant. Selbst nicht in so genannten Demokratien. Lustig war das nicht, aber doch irgendwie zum Kaputtlachen: Was sollten Minderheiten denn bis 2017 sonst tun?

  2. Zukunftsforscher lagen immer daneben. Das Waldsterben, welches nie stattfand. Der Angstmacher-Film „The Day after“, welcher nie eintritt – und was wurde dem Jahre 2000 alles angedichtet: Nur noch Tubennahrung, Home-Officing, Menschen leben auf dem Mond, U-Bahnen nach Übersee… Alles (gottlob) falsch.
    Nun versucht man es diese Woche auch hier mit dunklen, aus der Luft gegriffenen Zeilen, die für mich jeglicher Grundlage entbehren: „Es war das Jahr, als Donald Trump Präsident der USA wurde und mit seiner «America First»-Politik die USA ins Abseits führte.“ Man könnte fast meinen, Mike Shiva schrieb diese Wochenschrift. Doch der ist Hellseher – nicht Schwarzseher.

    1. …von wegen „Das Waldsterben, das nie stattfand“: Zur Zeit sterben auch in der Schweiz 90% der Eschen an einem Pilz. Im Allschwiler Wald bespielsweise ein Grossteil der Bäume vom Frischmannshag. Und in Folge der Klimaveränderung verlieren die Nadelbäume im Unterland sukzessive ihre Existenzgrundlage….

    2. Nur so nebenbei: Das Waldsterben hat u.a. nicht so stattgefunden, weil die Menschen Massnahmen ergriffen haben (Entschwefelung von Brenn- und Treibstoffen, Filter bei Feuerungen und Kraftwerken, Katalysator, Wärmeschutz Gebäude verbessert, Erneuerbare Energie statt Fossilen).

  3. Es ist überhaupt nicht erstaunlich, dass der Kanton Graubünden im 21. Jhd. als erster das Auto verbot – knüpfte er doch damit an eine fast 100 jährige Tradition an: erst 1925 wurde es dort erlaubt, Autos mit max. 8 Plätzen zu fahren. Alle vorherigen Volksabstimmungen zur Zulassung waren gescheitert. Aber dann hatten sie kein Geld für den Strassenbau …..erst 1935 kamen einige wenige Millionen vom Bund.

  4. Hans v. Graevenitz, 5. Februar 2017

    Lieber Herr Zehnder,
    wie die Mehrheit aller Autofans und Politiker in ihrer Hörigkeit gegenüber der dominanten Autoindustrie übersehen bzw. ignorieren auch Sie die Hybrid-Technologie, mit der sich der Schadstoffausstoss der Verbrennungsmotoren signifikant drosseln lässt. Der ohnehin längst unglaubwürdig gewordene Herr Winterkorn ignorierte das leider schon immer mit Erfolg. Die Hybrid-Technologie ist zugegebenerweise eine Übergangs-Technologie auf dem Weg zum E-Auto mit leistungsfähigen Batterien, ist aber bereits seit Jahrzehnten erfolgreich auf dem Markt. Und wird wohl noch weitere 5 Jahr beim Spritverbrauch und – wohl noch wichtiger – bei der Drosselung des Schadstoffausstosses einen wichtigen Beitrag leisten.
    Mit den besten Grüssen
    Hans v. Graevenitz

    1. Auch Hybrid-Autos brauchen Platz. So hat Christopher Alexander schon 1977 geschrieben: „Die Tatsache, dass Autos gross sind, ist letztlich der schwerwiegendste Aspekt eines auf dem Gebrauch von Autos beruhenden Verkehrssystems, da sie zwingend mit der Natur des Autos verbunden ist“. Siedlungsplanungen, die diese Tatsache (kein Zukunftsforscher-Furz!) berücksichtigt haben, verfügen heute über Lebensräume, die dieser Bezeichung entsprechen.

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