Achtung: Der Erhalt von Arbeitsplätzen kann Ihrer Gesundheit schaden

Publiziert am 16. März 2018 von Matthias Zehnder

Politiker lassen sich gerne feiern, wenn sie dafür sorgen, dass Arbeitsplätze erhalten werden. Doch der Erhalt von Arbeitsplätzen kann Ihrer Gesundheit schaden. Beispiel Zucker: Aus Rücksicht auf die Zuckerbauern und die Zuckerindustrie verzichtet die Politik auf Warnhinweise oder Steuern auf zu stark gezuckerte Lebensmittel. Noch schlimmer: Obwohl Rauchen bekanntermassen tötet, wird der Anbau von Tabak in der Schweiz nach wie vor subventioniert. Arbeitsplätze sind der Politik wichtiger als die Gesundheit.

Ich habe ein neues Lieblingsbuch. Es heisst «Der Ernährungskompass». Geschrieben hat es der deutsche Wissenschaftsautor Bas Kast. Im seinem Buch hat er das Fazit aus weit mehr als Tausend wissenschaftlichen Studien zum Thema Ernährung zusammengetragen. Im Zentrum stand für ihn die Frage: Was ist eine gesunde Ernährung? Wobei «gesund» meint: Welche Ernährungsweise führt wissenschaftlich abgesichert dazu, dass wir länger gesund leben? Auffallend ist dabei, dass es eine Reihe von Erkenntnissen gibt, die in der Wissenschaft längst abgesichert sind, in der Welt ausserhalb von Gerontologie und Ernährungswissenschaft aber kaum diskutiert werden.

Bestes Beispiel dafür ist der Zucker: Bas Kast beschreibt drastisch und eindringlich, wie Zucker nicht nur dick macht, sondern auf Dauer auch krank –  wobei sich das eine natürlich nicht immer so klar vom anderen trennen lässt. Es könnte sein, dass der Konsum von zu viel Zucker ähnlich schädlich ist wie Rauchen. Herkömmlicher Zucker ist ein Doppelmolekül, das aus Glukose und Fruktose besteht. Im Darm wird Zucker in seine beiden Bestandteile zerlegt und dem Blut übergeben. Das Problem ist nun, dass der Körper Glukose und Fruktose völlig unterschiedlich verarbeitet.

Was Zucker so gefährlich macht

Glukose fristet ein recht konventionelles Dasein: Die Leber schnappt sich so viel Glukose, wie sie selbst braucht. Ist sie satt, lässt sie die Glukose weiterziehen. Die Glukose verbreitet sich im Körper. Alle Zellen, die gerade Energie brauchen, können sich bedienen. Vor allem das Gehirn wartet auf den Energiestoss: Es verschlingt grosse Mengen an Glukose. Die Fruktose verhält sich völlig anders: Die Leber nimmt fast alle Fruktose auf und verwandelt sie in Fett.

Es gibt spannende Theorien, warum das so ist. Vermutlich hat es mit der Evolution, vor allem mit der Überlebensfähigkeit im Winter zu tun. Sicher ist: In der heutigen Welt, in der Zucker nach Belieben zur Verfügung steht, hat dieser evolutionäre Mechanismus verheerende Folgen: Die Menschen werde dick und krank. Bas Kast schreibt, wir seien aus evolutionären Gründen wohl süchtig nach Zucker und die Lebensmittelindustrie nutze diese Sucht gezielt aus. Die Zuckerbauern und die Lebensmittelindustrie verhalten sich also ganz ähnlich wie die Tabakbauern und die Tabakindustrie.

Die Zuckerlobby schützt die Bauern, nicht die Konsumenten

Aber wir haben ja verantwortungsvolle Politiker, die sich der Gefahren bewusst sind, die im süssen Gift stecken, und deshalb das Volk davor schützen. Kleiner Scherz. Letzte Woche hat die Rundschau darüber berichtet, wie die Zuckerlobby im Parlament politische Vorstösse gegen übermässigen Zuckerkonsum abblockt:[1] Ob Abgaben auf Süssgetränke, Warnhinweise auf Verpackungen oder Zusatzsteuern auf Produkte, die zu viel Zucker enthalten – politische Vorstösse gegen zu viel Zucker haben in der Schweiz keine Chance.

Schweizerinnen und Schweizer vertilgen pro Kopf jedes Jahr über 38 Kilogramm Kristallzucker.[2] Die Zuckerindustrie will, dass das so bleibt. Einer der wichtigsten Zuckerkämpfer ist Bauernpräsident und CVP-Nationalrat Markus Ritter. Gegenüber der Rundschau erklärt Ritter, 5000 Schweizer Bauernfamilien seien auf das Einkommen aus dem Zuckeranbau angewiesen. Der mündige Bürger müsse selbst darüber entscheiden, wieviel Zucker er esse.

Die Schweizer Bauern erhalten Direktzahlungen für den Zuckerrübenanbau. Pro Hektar Zuckerrübenfeld sind es 1800 Franken im Jahr.[3] Verständlich, dass das für die 5000 Bauernbetriebe interessant ist. Unverständlich ist aber, dass das Parlament das Wohlergehen von 5000 Bauern aus Prinzip höher gewichtet als das Wohlergehen der 8,4 Millionen Menschen, die in der Schweiz leben und von denen ein grosser Teil zu viel Zucker isst. Das ist unverständlich – aber nicht unüblich. In der Politik sind Arbeitsplätze notorisch wichtiger als die Gesundheit der Bevölkerung.

Milch kann Ihr Leben verkürzen

Krassestes Beispiel in der Schweiz ist die Milch. Bas Kast zitiert in seinem Buch eine Studie aus Schweden, die belegt, dass Milchliebhaber, die 2,5 Gläser Milch täglich oder mehr zu sich nahmen, ein um 32 Prozent erhöhtes Sterblichkeitsrisiko im Vergleich zu Menschen haben, die nur ein Glas oder weniger pro Woche trinken. Warum das so ist, das ist noch schlecht erforscht. Es könnte damit zusammenhängen, dass Milch ein animalisches Turbo-Proteinkonzentrat ist, wie Bas Kast schreibt.

Kuhmilch ist gedacht als Wachstumsgetränk für Kälber. Nehmen Menschen diesen Wachstumsförderer zu sich, fördern sie damit möglicherweise nicht nur das erwünschte Muskelwachstum, sondern zum Beispiel auch das Wachstum von bösartigen Zellen, was zu der erwähnten Erhöhung des Sterblichkeitsrisikos führt. Was macht die Politik? Fördert sie die kritische Milchforschung? Sorgt sie dafür, dass Milch zurückhaltend getrunken wird? Natürlich nicht. Daran hängen viel zu viele Arbeitsplätze, nicht nur bei den Bauern.

Entwarnung für Joghurt und Käse

Die schwedische Studie ergab übrigens auch eine bemerkenswerte Ausnahme: Bei allen fermentierten Milchprodukten drehte sich der negative Zusammenhang um. Das bedeutet: Wer mehr Joghurt oder Käse isst, verlängert sein Leben. Allerdings gilt das nur für ungezuckertes Joghurt. Viele Süssjoghurte enthalten viel zu viel Zucker – manche Fruchtjoghurte enthalten mehr Zucker als eine halbe Tafel Schokolade.[4] Irgendwo müssen die 38 Kilogramm Zucker pro Kopf ja rein…

Ob Zucker oder Milch – das Prinzip ist dasselbe: Die kurzfristigen Interessen der Bauern (und der Politiker) sind wichtiger als die Gesundheit der Bevölkerung. Auf ähnliche Art und Weise funktioniert die Politik, wenn es um Atomkraft geht. So wehrt sich Claude Brender, der Bürgermeister des elsässischen Dorfs Fessenheim, vehement gegen eine Schliessung des maroden AKWs in seinem Dorf, weil er den Verlust von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen befürchtet.[5] In Deutschland haben Politiker seit 2008 ignoriert, dass die vielen Dieselfahrzeuge zu einem massiven Überschreiten der Luftschadstoff-Grenzwerte führen. Ende Februar hat das Bundesverwaltungsgericht verfügt, dass die Städte Diesel-Fahrverbote einführen können, wenn sie die Grenzwerte nicht anders einhalten können. Das Urteil hat vielen Menschen in Deutschland das jahrelange Versagen der Politik vor Augen geführt.

Subventionen für Schweizer Tabakbauern

Vielleicht reden die Menschen in der Schweiz einmal ähnlich über Schweizer Politiker, die nichts gegen den vielen Zucker in unseren Lebensmitteln gemacht haben. Anders als bei der Luft in Grossstädten können Konsumentinnen und Konsumenten ausweichen, wenn ein Lebensmittel zu viel Zucker enthält. Stossend ist, dass die Politik nicht nur nichts dagegen unternimmt, sondern im Gegenteil die Produktion von Zucker mit Direktzahlungen fördert.

Hoffen Sie bloss nicht, dass sich das ändert. Obwohl die Schweiz seit Jahren viel Geld in die Tabakprävention investiert und auf jedem Paket Zigaretten gross und deutlich steht, dass Rauchen tötet, erhalten Tabakbauern nach wie vor Unterstützungszahlungen. Das ist gesetzlich in der Tabaksteuerverordnung geregelt: Die Hersteller und die Importeure von Zigaretten und Feinschnitttabak für den Inlandmarkt leisten eine Abgabe von 0,13 Rappen je Zigarette oder Fr. 1.73 je Kilogramm Feinschnitttabak in den Finanzierungsfonds der SOTA.[6] Die SOTA ist die Société coopérative pour l’achat du tabac indigène in Payerne, also die Einkaufsgenossenschaft für Inlandtabak. Umgerechnet bezahlen die Schweizer Raucher pro Päckchen Zigaretten 2,6 Rappen an die SOTA und damit an die Tabakbauern. Darüber hinaus erhalten die Tabakbauern vom Bundesamt für Landwirtschaft auch noch Direktzahlungen.[7] Das ist absurd. Aber es finanziert Arbeitsplätze. Auch wenn die Gesundheit dabei in Rauch aufgeht.

Basel, 16. März 2018, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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[1] Vgl. https://www.srf.ch/sendungen/rundschau/zucker-lobby-im-bundeshaus-putin-forever-fracking-in-sherwood

[2] Quelle: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/land-forstwirtschaft/ernaehrung.html

[3] Vgl. https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/einzelkulturbeitraege.html

[4] Vgl. https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Joghurt-Zucker,joghurt116.html

[5] Vgl. https://www.nzz.ch/panorama/buergermeister-von-fessenheim-will-umstrittenes-atomkraftwerk-laenger-laufen-lassen-ld.1362106

[6] Vgl. https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20090928/index.html#a36

[7] Vgl. http://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/versorgungssicherheitsbeitraege/basisbeitrag.html

4 Kommentare zu "Achtung: Der Erhalt von Arbeitsplätzen kann Ihrer Gesundheit schaden"

    1. Leider ist es so. Sehr ausgeprägt in der Schweiz. Sehr ausgeprägt bei Jungen Menschen in der Schweiz. Sehr ausgeprägt bei Secondos oder deren nachfolgende Generation. BMW und Mercedes mit mindestens 2, heute oft 4 Auspuffe serienmässig wird langsam zum Standard auf unseren Strassen. Inklusiv (amtl. bewil.) Lärm. Halt, das sei ja Musik in den Ohren, wenn man es dröhnen lassen kann.
      Jeder Flüchtling klebt am (neusten) Handy. Lässt laut Musik ab. Oft arabische Musik, ob der es einem „gschmuch“ wird. Oft wollen sie sich in Gucci, Armani, Adidas, Nike und Puma und Co. kleiden. Wenn man fragt, warum, heisst es: „Muss.“ Wegen Migros- und Coop-Klamotten (wenn auch Fairtrade) sind sie nicht hierhergekommen. Sie wollen Geld, Profit, Status. Ein Leben in Reichtum. Also auch hier = Gier. Die Meisten. Leider. Ist so. Originalton Mitarbeiter der Firma ORS, welche in der Betreuung tägig ist.
      Profit des weitern sichtbar auch im uferlos scheusslich verbauten Flachland der Schweiz. Eigentumswhg.-Türme, Miet-Kartonschachteln schiessen überall wie Pilze aus dem Boden. Ja – die Bevölkerung wird gestapelt, und wohl ist es keinem mehr so recht. Bald wird sie auch noch mehr gegrillt – höchster 5G-Mobilfunk soll Standard werden. Wegen der Wirtschaft, wegen den Arbeitsplätzen. „Wir brauchen auch mehr Verkehrsflächen“, der Ruf wurde schnell laut nach dem schweren Verkehrsunfall auf der Autobahn bei Muttenz von vergangener Woche. Der 9 Std.-Stau hat „so und soviel“ der Wirtschaft gekostet, darum Ausbau, Leistungssteigerung, Verdoppelung so der Ruf der CVP und FDP-Oberen (ohne jetzt Namen zu nennen, doch die Politiker mit Haaren von blond bis grau sind allen bekannt)….
      Und SP und Grüne machen „fleissig, fleissiger, am fleissigsten“ mit im Globalisierungswirtschaftswahn. EU ist Gott, Welthandel ist Offenheit – predigen sie…. und fühlen sich so sozial und modern. Welche Falle.
      Dafür werden Geisteshaltung und Parteien wie die SVP als hinterwäldlerisch, ewiggestrig bezeichnet, wenn diese nicht „dem Globalen“ in seiner ganzen Form nicht Tür und Tor öffnen wollen. Globalisierungsgegner demonstrieren gegen Trump, ob wohl dieser der offenen Scheunentorglobalisierung Einhalt bieten will. Verkehrte Welt. Alles klar.
      Die wahren Gewinnmacher heissen CVP und FDP, koste es was es wolle. Tierwohl, Menschenwohl, Grünflächen, legal – illegal = denen sch…egal!
      Und auf europäischer Ebene heissen sie Merkel und Macron, weil deren Länder den grossen Profit draus schlagen. Süditalien, Spanien, Griechenland = warme Worte aber fallengelassen, Randerscheinungen im wörtlichen und übertragenden Sinne.
      Deutschland (und F im Schlepptau) sind Weltmeister, Exportweltmeister, Profitweltmeister und wollen es bleiben. Nummer 1 – Ellenbogen raus unter dem sozialen Mäntelchen.

  1. Mein Wenig dazu: Eigenmiete, die dem Eigenheimbesitzer ein fiktives Einkommen (d.h, eine Lüge) jährlich aufbürdet, um eine schwere Steuerbelastung zu schaffen. Die Abschaffung dieser diskriminierende Absurdität tut dringend not, wird aber von Lobbyisten der Banken (man darf Hypothekarzins von der Steuer abziehen), und Gewerbe (man darf Unterhaltskosten von der Steuer abziehen), auch vom Hauseigentümerverband (weil sie die Mieter vom Hals wollen, und auch Gewerbe unterstützen), und auch von Gemeinen und Kantonen, die von Redlichkeit nichts wissen wollen, wenn es um zusätzliche Steuereinnahmen geht.

    Wir haben in der Verfassung einen Artikel 9, die voraussetzt, dass ‚In Treu und Glauben‘ vorgegangen wird. Wer denkt daran? Und wer wacht, dass daran gedacht wird? Dafür brauchen wir echte Volksvertreter, statt bezahlte Interessenhüter.

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