Abschied von der medialen Landesversorgung

Publiziert am 18. Februar 2022 von Matthias Zehnder

Die Schweizer Stimmbevölkerung hat am letzten Wochenende das eidgenössische Paket zur Medienförderung versenkt. So langsam lichten sich die Staubwolken und es fragt sich: Was passiert jetzt? Wie wird sich diese Medienlandschaft in der Schweiz weiterentwickeln? Das Problem dabei: Ohne Leistungen abzubauen, können die Medien kaum mehr Kosten einsparen. Und neue Einnahmen sind nicht in Sicht, es sei denn, die Politik lasse sich vor den Karren der Grossverlage spannen und führe eine Google-Steuer ein, also ein Schweizer Leistungsschutzrecht. Doch das wäre schädlicher als jede staatliche Subvention. Wie geht es also weiter mit den Medien in der Schweiz? 

«Ein sehr guter Tag für die Presse­freiheit», jubelte die Basler «Prime News» und die «NZZ» stellte beruhigt fest: «Die Stimmbevölkerung sieht weder die Lokalpresse noch die Demokratie in Gefahr». In der Tat: Knapp 55 Prozent der Stimmbevölkerung sagte «Nein» zum Medienpaket von Bundesrat und Parlament. Das Paket sei wohl überladen gewesen, meinte Bundesrätin Simonetta Sommaruga am Abstimmungssonntag. Kurz und gut: Es gibt in absehbarer Zeit keine Medienförderung in der Schweiz. Das heisst aber nicht, dass Ruhe einkehren würde in der Medienpolitik. Im Gegenteil: Rechtskonservative Kreise rund um SVP-Nationalrat Gregor Rutz blasen zum Kampf gegen die SRG und wollen die Radio- und TV-Gebühr mithilfe einer Volksinitiative halbieren. Aber lassen wir mal die Politik beiseite. Schauen wir uns möglichst sachlich noch einmal die Situation der Medien in der Schweiz an. Was ist eigentlich das Problem? Und wie wird es jetzt weitergehen?

Was ist eigentlich das Problem? 

Das Problem ist, kurz gesagt, dass den Medien das Businessmodell abhandengekommen ist. Vor zwanzig oder dreissig Jahren waren die gedruckten Tageszeitungen die wichtigsten Medien in ihren Regionen. Der Grund war ganz einfach: Es waren die einzigen Medien. Wer sich vor dreissig Jahren zum Beispiel in Basel informieren wollte, konnte nicht anders als die «Basler Zeitung» zu lesen. Davon lebten die gedruckten Zeitungen gut. Und zwar nicht, weil ihnen die Leserinnen und Leser so viel Geld gezahlt hätten, sondern weil sie die Aufmerksamkeit ihrer Leserinnen und Leser so gewinnbringend an Anzeigen- und Werbekunden verkaufen konnten. Im Wesentlichen waren Tageszeitungen Distributionsmaschinen für Anzeigen und Werbung, die sich Journalismus leisteten.

Der Verlag einer Tageszeitung hatte drei Einnahmequellen, die je etwa einen Drittel des Umsatzes ausmachten: Die Einnahmen aus dem Nutzermarkt, also aus dem Verkauf von Abonnements und Einzelausgaben am Kiosk, die Einnahmen aus dem Werbemarkt, also aus dem Verkauf von grossflächigen, farbigen Inseraten, und die Einnahmen aus dem Verkauf von Kleinanzeigen, also kleinen Texten, die pro Millimeter verkauft wurden. Tageszeitungen waren also in drei Märkten unterwegs: dem Nutzermarkt, dem Werbemarkt und dem Kleinanzeigenmarkt. 

Die Kleinanzeigen waren dabei so etwas wie das leicht anrüchige Penny-Business. Jüngere Menschen kennen das gar nicht mehr: Wer früher eine neue Wohnung oder eine neue Stelle suchte, wer ein gebrauchtes Auto kaufen wollte oder «Bekanntschaften» suchte, las die Kleinanzeigen in der Zeitung. Auf drei oder vier Zeilen wurde da die «4-Zi-Whg mit ZH und AEHP» ausgeschrieben, – also eine Vierzimmerwohnung mit Zentralheizung und Autoeinstellhallenplatz. Bezahlt wurden die Anzeigen pro Millimeter, deshalb bildete sich eine eigene Abkürzungssprache für Wohnungsanzeigen – auf Wikipedia ist eine ganze Liste mit Abkürzungen abrufbar, wie sie in Kleinanzeigen für Wohnungen verwendet wurden.

Datenbank statt Millimeteranzeige

Diese Kleinanzeigen waren zwar ein Penny-Business, weil aber in jeder Zeitung sehr viele Kleinanzeigen standen, lohnte sich das Geschäft mit den verkauften Millimetern. Als Faustregel kann man sagen: Etwa ein Drittel ihres Umsatzes machten die Verlage mit den Rubrikenanzeigen. Die Gewinnmarge war dabei sehr hoch, weil der Verkaufs- und Produktionsaufwand für die kleinen Anzeigen minimal war. Zu den besten Zeiten enthielt etwa der «Tags-Anzeiger» einen Stellenbund, der gleich dick war wie die Zeitung, in der er steckte.

Und dann kam das Internet. Innert kürzester Zeit wanderte das ganze Geschäft ins Netz ab. Schuld daran waren weder Google noch Facebook, beide Firmen gab es damals noch gar nicht. Das Internet ermöglichte es, Datenbanken ans Netz anzuschliessen, in denen die Wohnungssuchenden viel einfacher nach einer Wohnung suchen konnten – und das nicht nur in einer einzigen Zeitung, sondern in der ganzen Schweiz. Spezialisierte Anbieter bauten datenbankgestützte Dienste auf, mit deren Hilfe Suchende schnell und einfach Wohnungen, Gebrauchtwagen und Stellen finden konnten. Zwar kauften Verlage wie Tamedia und Ringier diese Dienste später teilweise auf und integrierten sie, wenn nicht in ihre Zeitungen, so doch in ihre Konzerne. Den Zeitungen fehlte fortan aber etwa ein Drittel ihres Umsatzes  – und den Nutzern ein wichtiges Argument, die Zeitungen zu abonnieren und in die Hand zu nehmen. 

Die grosse Medialisierung

Das Kleinanzeigengeschäft haben die Verlage innert weniger Jahre verloren. Beim Werbegeschäft ging es länger. Mittlerweile ist auch ein grosser Teil der Werbeumsätze abgewandert ins Internet. Auch daran sind nicht einfach Google und Facebook schuld, auch wenn diese beiden Firmen die grössten und wichtigsten Werbevermarkter sind im Internet. Schuld daran ist vielmehr die Medienexplosion. Wenn wir noch einmal zurückblenden in diese Zeit vor 30 Jahren, als die regionalen Tageszeitungen in ihren Städten und Regionen die ungekrönten Könige der Öffentlichkeit waren, dann stellen wir fest: Sie waren das, weil es rund um die Zeitungen herum kaum andere Medien gab. Das ist heute ganz anders. Es gibt nicht nur sehr viel mehr Medien im klassischen Sinn, also etwa lokale Radiosender und spezialisierte Fernsehstationen, es gibt vor allem eine unendliche Menge von Medieninhalten im Internet.

Das hat mit zwei Eigenschaften der Digitalisierung und des Internets zu tun. Die weltweite Vernetzung hat dazu geführt, dass die Geografie eliminiert worden ist. Egal, wo sich ein Angebot auf der Welt befindet – im Internet können Sie es abrufen. Dass der «Spiegel» in Hamburg ist und die «New York Times» in New York spielt keine Rolle – ein Klick genügt und Ihr Computer lädt deren Angebote. Das gilt auch in der Schweiz: Bern, Basel, Zürich und St. Gallen liegen im Internet auf demselben Bildschirm. Eine regionale Tageszeitung war sich der Aufmerksamkeit ihrer Leserinnen und Leser sicher, – weil sie in ihrer Region die einzige Zeitung war. Damit ist es im Internet vorbei: Der Kampf um die Aufmerksamkeit wird heute mindestens national oder sprachregional ausgefochten.

Dazu kommt die zweite Eigenschaft der Digitalisierung: Jede Digitalisierung ist immer auch eine Medialisierung. Im Internet werden alle Firmen zu Medien. Ganz egal, ob eine Firma Bücher,  Elektronika oder Limonade verkauft – auf dem Bildschirm der Nutzerinnen und Nutzer muss sie sich mit Bildern, Texten und Tönen präsentieren. Deshalb sind Amazon, Digitec oder RedBull mittlerweile nicht mehr Läden, die auch eine Website haben, sondern Medienangebote, die ihren Nutzern auch etwas verkaufen wollen. Sie kämpfen dabei um dieselbe, wertvolle Ressource ihrer Kunden wie die klassischen Medien: Sie kämpfen um deren Aufmerksamkeit. Zeitungen sehen sich also 2022 in einer ganz anderen Situation als 1992: Sie kämpfen nicht mehr nur mit einer lokalen Zeitungskonkurrenz um die Aufmerksamkeit ihrer Nutzer, sondern mit globalen Firmen, die für diesen Kampf unendlich viel mehr Mittel einsetzen können.

Verlust der Aufmerksamkeit

Klar, dass die Medien in diesem Kampf um die Aufmerksamkeit verlieren. Zwar haben die Menschen noch nie so viel Zeit medialen Inhalten gewidmet, der Löwenanteil dieser Inhalte wird aber nicht mehr von Medien produziert, sondern von anderen Firmen – und von globalen Internetfirmen wie Google und Facebook. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Google und Facebook haben den Zeitungen nicht die Nutzer und die Werbung weggenommen. Die Zeitungen haben im Aufmerksamkeitsmarkt massiv eingebüsst, deshalb haben sie auch im Werbemarkt Umsatz verloren. Die Werbegelder einer Firma verteilen sich deshalb heute auf viel mehr Medienangebote – und nur der kleinere Teil davon fliesst noch in klassische Zeitungen.

Dazu kommen noch neue Werbeformen, die erst durch das Internet möglich geworden sind. Eine Zeitung oder ein Fernsehsender zeigt allen Nutzern immer dieselbe Werbung. Ganz egal, ob Sie Kinder haben oder nicht – Sie sehen die Anzeige oder den Werbespot für Pampers. Wenn sie keine Kleinkinder haben, nützt die Pamperswerbung rein gar nichts. Für den Windelhersteller wäre es viel effizienter, wenn nur Menschen mit Kleinkindern seine Werbung ansehen müssten – und er nur diese Auslieferung bezahlen müsste. Genau das ermöglicht das Internet mit Werbeformen, die sich zielgerichtet an einzelne Gruppen richten.

Die beiden Könige in diesem Geschäft sind Google und Facebook: Diese beiden Firmen tragen extrem viele Daten über ihre Benutzerinnen und Benutzer zusammen und können so Werbebotschaften ganz zielgerichtet ausliefern. Ein Zahnarzt kann sich mit digitalen Mitteln ganz gezielt mit seiner Botschaft nur an jene Menschen richten, die gerade Zahnweh haben. Ich meine das bildlich: Eine Firma kann im Internet ganz gezielt jene Menschen ansprechen, deren Problem sie zu lösen verspricht. Werbung in einer Tageszeitung ist dagegen eine ineffektive Schrotflinte. Diese Umsätze haben Google und Facebook den Medien nicht weggenommen – es ist ein Geschäft, das erst im Internet entstanden ist.

Zwei Drittel des Umsatzes weg

Die Zeitungen, nicht nur in der Schweiz übrigens, haben also mehr oder weniger zwei Drittel ihres Umsatzes eingebüsst, weil zuerst die Kleinanzeigen und dann schrittweise auch die Werbung abgewandert ist ins Internet. Gleichzeitig haben sie auch viele Leserinnen und Leser verloren, weil es heute der Medienexplosion im Internet wegen ein Vielfaches an Medienangeboten gibt. In den Wirtschaftsteilen der Zeitungen heissen solche Entwicklungen «Disruption»: Das Internet hat das funktionierende Geschäftsmodell der Zeitungen zerstört.

Das Problem ist: Den meisten Schweizerinnen und Schweizern dürfte diese Entwicklung nicht bewusst sein. Am letzten Montag habe ich in der Leserkommentarspalte zu einem Artikel über die Ablehnung des Medienpakets folgenden Kommentar gelesen: «Versuchts doch einfach mal mit guter Arbeit.» Es ist in kürzest möglicher Form die Haltung vieler Bürgerlicher auf den Punkt gebracht: Wer gut arbeitet, wird sich durchsetzen. Wer falliert, wie das die Medien offenbar machen, hat nicht gut genug gearbeitet. Das gilt schliesslich für jeden Bäcker: Wenn sein Brot nicht gut ist, verliert er Kunden und muss schliessen. Das ist Marktwirtschaft. Der Markt belohnt die gute Arbeit und sortiert die schlechte Arbeit aus. 

Versuchts doch einfach mal mit guter Arbeit

Und genau das ist bei den Medien nicht der Fall. Wobei wir genau hier unterscheiden müssen zwischen «Medien» und «Journalismus». Kurz gesagt: Der Markt bestraft die Medien und trifft den Journalismus. «Versuchts doch einfach mal mit guter Arbeit.» Damit meint der Kommentator die Journalistinnen und Journalisten: So, wie ein guter Bäcker Erfolg hat und mehr Brot verkauft, wird guter Journalismus Erfolg haben und sich besser verkaufen. Und genau das ist falsch. Auch in der Blütezeit der Tageszeitungen hat nicht «der gute Journalismus» dazu geführt, dass die Kassen der Verlage geklingelt haben, sondern das funktionierende Businessmodell mit Anzeigen und Werbung. Journalismus war in allen Verlagen immer ein Kostenfaktor. Die Abonnenten haben nicht bloss für guten Journalismus gezahlt, sondern für ein Gesamtpaket, inklusive Kinoprogramm, Todesanzeigen und den erwähnten Kleinanzeigen.

Das Internet hat dieses Paket gesprengt. Heute können Journalistinnen und Journalisten so gut arbeiten wie sie wollen, ihre Arbeit lässt sich in der Schweiz nur sehr schwer finanzieren. In der digitalen Welt bewegen wir uns immer in einem sprachregionalen Markt – im Internet heisst das «DACH», also Deutschland, Österreich und Schweiz. Das sind knapp 100 Millionen Menschen. In diesem Markt ist schon die Deutschschweiz als Ganzes ein kleiner Teil – ganz zu schweigen von den Regionen und Kantonen der Schweiz. Es ist kein Zufall, dass es überregionale Angebote wie die «Republik» und die «NZZ» in der Schweiz, die «Zeit» und der «Spiegel» in Deutschland sind, die sich über den Lesermarkt finanzieren lassen. Die kleinen Schweizer Regionalmedien dagegen sprechen schlicht ein viel zu kleines Publikum an. 

Wie weiter?

Das Busniessmodell der klassischen Zeitung ist also kaputt und die Schweiz ist als Markt für digitale Angebote viel zu klein, als dass er regionale Angebote finanzieren könnte. Was (allenfalls) funktioniert, sind überregionale Angebote in einem hochpreisigen Markt («Republik», «NZZ») und kleine, lokale Nischen. Der Staat darf nicht einspringen, die Stimmbevölkerung hat letztes Wochenende einen Riegel vorgeschoben. Wie geht es also weiter? Wenn ein Geschäft zu wenig abwirft, gibt es zwei Möglichkeiten, um aus dem Sumpf zu kommen: Man kann die Kosten senken oder die Einnahmen erhöhen.

Was können die Medien in der Schweiz auf der Kostenseite unternehmen? Zeitungen können die hohen Sockelkosten miteinander teilen. Genau das ist in der Schweiz bereits passiert: Die allermeisten Regionalzeitungen haben sich bereits einem der beiden Grossverlage angeschlossen. Sie teilen sich auf diese Weise die Kosten für jene Inhalte, die in allen Regionen dieselben sind. Diese Möglichkeiten sind weitgehend ausgereizt, weitere Übernahmen oder Fusionen sind in der Schweiz aus wettbewerbsrechtlichen Gründen kaum möglich. Es gibt nur noch zwei Möglichkeiten, wie Tamedia und CH-Media ihre Kosten weiter senken können: Sie können dieses Teilen der Kosten über die Grenzen der Schweiz hinaus weiterziehen – das macht Tamedia bereits mit dem Auslandteil, der von der «Süddeutschen Zeitung» übernommen wird – oder sie können die Erscheinungsfrequenz reduzieren. Peter Wanner, der Verleger von CH Media, hat das bereits einmal gemacht, als er seine gedruckte Sonntagsausgabe «Schweiz am Sonntag» einstellte und die Samstagsausgabe umfirmierte in «Schweiz am Wochenende». Er fragt im Haus schon länger, warum man eigentlich eine meist recht dünne Montagsausgabe druckt und verteilt. Er könnte auf die Idee kommen, seine Zeitung nur noch am Dienstag, Donnerstag und Samstag zu drucken und zu verteilen. Das ist gar nicht so unwahrscheinlich: Viele andere Möglichkeiten, seine Kosten zu senken, hat er nicht.

Google und Facebook anzapfen

Wie sieht es denn auf der Seite der Einnahmen aus? Schwierig. Zusätzliche Einnahmen aus dem Nutzermarkt sind trotz ständig steigender Abopreise und Digitalabos nicht in Sicht, im Werbemarkt sowieso nicht. Der Staat darf die Verleger nicht unterstützen – woher also sollen künftige Einnahmen kommen? Die Antwort: Google und Facebook sollen es richten. Und zwar nicht freiwillig. Schon am Abstimmungstag kommentierte «Blick»-Chefredaktor Christian Dorer: Das Problem sei nicht, dass die Medien zu wenig Leser, Zuschauerinnen oder User hätten, «sondern dass Werbung zu Google, Facebook & Co. abfliesst». Deshalb sei der Plan von Justizministerin Karin Keller-Sutter vielversprechend: Der Justizministerin schwebe ein Leistungsschutzrecht vor, «quasi eine Google-Steuer. Die Tech-Giganten müssten die Medien für die Nutzung von deren Inhalten entschädigen. Das wäre nichts als fair.» In der Tat lobbyieren die Grossverlage Ringier, TX Group und CH Media hinter den Kulissen offenbar mit Hochdruck für ein Leistungsschutzrecht. 

Die Argumentation: Google und Facebook verdienen Geld, weil sie auch Inhalte von Zeitungen anzeigen. Sie sollen deshalb etwas von ihren Einnahmen abgeben. Das mag in den Ohren von einigen Politikern vernünftig klingen, es ist aber so absurd, wie wenn eine alte Frau Geld dafür verlangen würde, dass ihr ein junger Mensch über die Strasse helfen darf. Die Verlage verlieren nicht Geld an Google und Facebook, weil die grossen US-Firmen Inhalte der Zeitungen klauen, sondern weil das Businessmodell der Verlage schon lange nicht mehr funktioniert. Es ist im Gegenteil so, dass die Medien ihre Inhalte speziell aufbereiten und auf Facebook und Google teilen, ja sogar bewerben, weil sie auf diesem Weg mehr Nutzerinnen und Nutzer erreichen können. 

Es gibt gute Chancen, dass ein Leistungsschutzrecht in der Schweiz trotzdem und wider besseren Wissens installiert wird, weil Google und Facebook sich gut als Buhmänner (oder als Buhfirmen) eignen (und wohl auch, weil viele Schweizer Politiker noch immer nicht wissen, wie dieses Internet funktioniert). Die grossen Verlage kann aber auch eine Google-Steuer nicht retten. Im Gegenteil: Es könnte sogar dazu führen, dass sie von Google und Facebook einfach aussen vor gelassen werden. So ist Google in Spanien und in Belgien vorgegangen – und plötzlich hatten die Zeitungen weniger Onlinebesucher. Was für eine Überraschung. Selbst wenn Geld fliessen würde: Profitieren würden wohl nur die ganz grossen Verlage, die in der Lage sind, mit Google zu verhandeln – aber auch sie würde es nicht retten. Denn das Problem sind nicht die Suchresultate von Google, sondern dass das Businessmodell der Verlage nicht mehr funktioniert.

Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern, bis die Schweiz merkt, dass das Problem nicht das Verschwinden der Medien und der Medienhäuser ist, sondern das Verschwinden des Journalismus. Die Pressefreiheit, die nach dem Abstimmungsergebnis bejubelt wurde, könnte auch die Freiheit beinhalten, sang- und klanglos unterzugehen. Das Problem ist, dass Journalismus nicht ein Produkt ist wie Brot oder Käse. Journalismus ist ein informationelles Gut, deshalb ist es so schwierig, ein Businessmodell darum herum zu bauen. Wir können aber, gerade in einer direkten Demokratie, nicht auf Journalismus verzichten, weil Journalismus auch ein Bildungs- und Kulturgut ist. Wir müssen uns also einen Weg ausdenken, wie wir dieses Bildungs- und Kulturgut in unserem kleinräumigen, eigensinnigen Land am Leben erhalten können, ohne dass wir nach dem Staat rufen. Das wird knifflig. Eins scheint mir sicher: Von so etwas wie einer medialen Landesversorgung durch regionale Medien werden wir uns verabschieden müssen.

Basel, 18. Februar 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen

Bild: © KEYSTONE/Anthony Anex

Biner, David (2022): Breites Nein gegen das Mediengesetz: Stimmbevölkerung sieht weder Lokalpresse noch Demokratie in Gefahr. In: Neue Zürcher Zeitung. [https://www.nzz.ch/schweiz/breites-nein-gegen-das-mediengesetz-stimmbevoelkerung-sieht-weder-lokalpresse-noch-demokratie-in-gefahr-ld.1669532; 18.2.2022].

Büchi, Janqueline (2022): Interview mit SVP-Nationalrat «Die SRG hat heute zu viel Geld». In: Tages-Anzeiger. [https://www.tagesanzeiger.ch/die-srg-hat-heute-zu-viel-geld-165298011532; 18.2.2022].

Bühler, Dennis und Fichter, Adrienne (2022): Die Linksteuer-Lobby. In: Republik. [https://www.republik.ch/2022/02/18/die-linksteuer-lobby?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=republik%2Ftemplate-newsletter-taeglich-2022-02-18; 18.2.2022].

Dorer, Christian (2022): Kommentar zum Nein zum Mediengesetz: Mehr Kompliment als Misstrauensvotum. In: Blick. [https://www.blick.ch/meinung/kommentar-zum-nein-zum-mediengesetz-mehr-kompliment-als-misstrauensvotum-id17233582.html; 18.2.2022].

Keller, Christian (2022): Ein sehr guter Tag für die Presse­freiheit. In: Prime News. [https://primenews.ch/articles/2022/02/ein-sehr-guter-tag-fuer-die-pressefreiheit; 18.2.2022].

SRF (2022): Resultate, Analysen, Emotionen: Das War Der Abstimmungssonntag. In: Schweizer Radio Und Fernsehen (SRF). [https://www.srf.ch/news/abstimmungen-13-februar-2022/zum-nachlesen-resultate-analysen-emotionen-das-war-der-abstimmungssonntag; 18.2.2022].

Wikipedia (2021): Liste der Abkürzungen in Wohnungsanzeigen. In: Wikipedia. [https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Abk%C3%BCrzungen_in_Wohnungsanzeigen; 18.2.2022].

2 Kommentare zu "Abschied von der medialen Landesversorgung"

  1. Das Schweizer „Nein“ zum Mediengesetz hat vielfältige Gründe. Medienministerin BR Sommaruga (SP) sprach von einer „überladenen“ Vorlage. Das tut sie immer bei Abstimmungsniederlagen. Doch heuer hat sie sogar recht. Man könnte es auch „undifferenzierte Vorlage“, „schwammige Vorlage“ bezeichnen. Denn dieses Mediengesetz mit seiner mannigfaltigen Ausarbeitung, dem drückenden Verteilschlüssel, den Subventionsvoraussetzungen griffig und klar einem Verkäufer, welcher Abends müde auf den Couch fällt, einem Handwerker der nass vom Hudelwetter zurückkehrt oder einem Chauffeur welcher nur noch Rot (-lichter) sieht zu vermitteln, war zu schwer und undurchsichtig. Die Welt besteht nicht nur aus Matthias Zehnders mit profundem Wissen.
    Zu denken gaben mir die Reaktionen nach dem Resultat. Die sympathische Susi Quinter-Schaub von der Oberbaselbieter „Volksstimme“ (Sissach) war verblüfft, dass ihre Oberbaselbieter die Vorlage ablehnten, da sie doch mit der „Volksstimme“ seit Jahren aufwuchsen und lebten. „Nehmt euch nicht mehr so wichtig, liebe Medien“ sage ich. Und auf die Frage, ob die „Volksstimme“ jetzt eingeht, beschwichtige sie: „Nein, natürlich nicht“. Doch nicht so schlimm? – So gewinnt man keine Abstimmungen. Auch Andre Mösch, Geschäftsführer „TeleBasel“ am Abend danach: „Nein – ‚TeleBasel‘ sendet natürlich weiter – wir hätten uns über den Zustupf aber natürlich gefreut“. Zustupf?!? – Ok, auch ich würde mich öfters über einen „Zustupf“ freuen, wie früher als Kind von der Grossmutter – um nicht existenzielle Dinge wie Bonbons, Kaugummi und Lutscher zu kaufen.
    Und „Somedia“-Eignerin Susanne Lebrument (Vater = legendärer Hanspeter Lebrument, welcher in den Goldenen Jahren alle Zeitungen Graubündens aufkaufte und jetzt bemerkt, dass er sich mit seinem Bündner Medienimperium übernahm) weibelte überall auch extrem für ein „JA“. Die stets exklusiv gekleidete und mit Gold behängte Lebrument – auch dies strahlt natürlich überhaupt nicht Unterstutzungsbedürfnis aus – nach dem „Nein“ auf die Frage wie weiter: „Natürlich werden wir den Kopf nicht in den Sand stecken und den Lesern weiterhin das Beste bieten“.
    Die „3 Grossen“ TX-Supino (Toscana-Anwesen, grösste Jacht im Mittelmeerraum), Ringier (Goldküsten-Villenbesitzer) und Wanner (Besitzer Schloss Bickgut, Bj. 1421, mit Rebbergen, Weindomaine, Tenniscourt, Gestüt und weitreichenden Gewölbekellern) welche herhalten mussten, jammerten dass der Journalismus nichts mehr bringt. Sie zogen die Inserate von ihren Zeitungen auf ihre Plattformen „Autscout“, „Immoscout“, „Homegate“, „Riccardo“, „Tutti“, „Anibis“ usw rüber und erzielen dort kaiserliche Profite. So gut, dass die Dividenden und Bonis erhöht werden können. Für die von ihnen selbst ausgemergelten Zeitungen – ohne den von ihnen selbst gezügelten Inserate – stimmen sie das Jammerlied an. Profite privatisieren. Verluste subventionieren.
    Deshalb legte sogar SP Anita Fetz (BS) nur halbherzig ihr „Ja“ ein, „Dividendenerhöhung gingen natürlich nicht“ sagte sie in einem persönlichen Gespräch zu Verleger, Chefredaktor, Autor, Journalist Dr. Markus Somm
    Das sehr interessante, ganze Gespräch (bis M. Somm in angeregter Diskussion sein Wasserglas verschüttete) mit NR Cecile Widmer (SP ZH), NR R. Büchel (SVP SG) und Moderator Reto Brennwald (Ex SRF) hier
    https://www.nebelspalter.ch/medien-subventionen,-bundesrat-klatsche,-blackout-gefahr-kontroverse-themen-bei-brennwald

  2. Dank diesem Wochenkommentar habe ich verstanden, dass es eigentlich um die Qualität des Journalismus, und nicht um die Quantität der Medien gegangen wäre bzw. gehen würde. So wie es beispielsweise auch um die Qualität der Bildung, und nicht um immer noch mehr Schulzeit ginge, oder bei der Demokratie um die Qualität der Politik, und nicht um immer noch mehr Sitzungen und Selbstdarstellungen gehen würde.

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