140 Zeichen zwischen Hass und Halleluja
Er ist der Twitter-Präsident: Mit wütenden Kurzbotschaften hat sich Donald Trump ins Weisse Haus geschrieben. Jetzt organisiert sich ausgerechnet auf Twitter die Opposition gegen den Rechtspopulisten: Künstler und Wissenschaftler nutzen das Medium mit den kurzen Botschaften ebenfalls. Gegen den Twitterer im Weissen Haus. Ein Medium zwischen Hass und Halleluja – und wie Sie davon profitieren können.
Es vergeht kein Tag ohne einen Trump-Skandal auf Twitter. Gestern zum Beispiel hat Trump per Twitter den Besuch von Mexikos Staatschef Peña Nieto platzen lassen: Wenn Mexiko nicht bereit sei, für die Mauer an der Staatsgrenze zu bezahlen, dann solle Peña Nieto zu Hause bleiben. Nieto sagte den Staatsbesuch prompt ab. Schon im Wahlkampf hatte Trump per Twitter Konkurrenten und Medien vor sich hergetrieben.
Mittlerweile verfolgen fast 23 Millionen Menschen die Kurzbotschaften, die der Hitzkopf im Weissen Haus auch als gewählter US-Präsident über seinen privaten Twitter-Account @realDonaldTrump absetzt. Er soll dafür trotz Protesten seiner Sicherheitsberater auch weiterhin sein privates Android-Handy nutzen. Präsident Obama musste nach dem Amtsantritt sein geliebtes BlackBerry im Amt abgeben und ein Spezialhandy benutzen, das zwar besonders sicher war, aber etwa den Funktionsumfang eines Seniorenhandys hatte.
Gegen die «unehrlichen» Medien
Gegenüber Fox News sagte Trump in einem Interview, er möge Twitter gar nicht besonders, aber die Medien seien sehr unehrlich und Twitter sei seine einzige Möglichkeit, direkt an die Öffentlichkeit zu gelangen. Spätestens seit er Präsident ist, stimmt das allerdings nicht mehr. So durfte sich Trump in einem Interview mit ABC des langen und breiten über Wahlbetrug in Millionenhöhe äussern – obwohl der Kongress, alle Gouverneure und die Wissenschaft Wahlbetrug ausschliessen.
Nein, Trump ist schon lange nicht mehr der ungehörte Oppositionspolitiker. Trotzdem nutzt er Twitter weiterhin ungebremst und impulsiv, beschimpft den Bürgerrechter John Lewis als Schwätzer oder Meryl Streep, die meistgeehrte Schauspielerin Amerikas, als überschätzt. Trump erträgt keine Kritik und nutzt Twitter, um zurückzuschlagen.
Auf Twitter formt sich Widerstand
Wenn die Kritik auf Twitter erfolgt, erträgt Trump sie erst recht nicht. Nach der Inauguration von Trump veröffentlichte der National Park Service auf Twitter zwei Bilder, die bewiesen, dass die Menschenmenge bei der Inauguration von Obama viel grösser war als bei Trump. Kurze Zeit später wurde das Twitter-Konto auf Befehl aus dem Weissen Haus offline geschaltet. Ähnlich ging es dem Badlands-Nationalpark: Weil die Umweltbehörde EPA offenbar gezwungen worden war, Informationen und Daten über den Klimawandel von der Website zu entfernen, twitterte der Nationalpark einige wissenschaftliche Zahlen – und wurde sofort gezwungen, die Tweets wieder zu löschen.
Doch jetzt wehren sich die Wissenschaftler – auf Twitter natürlich. Es sind eine ganze Reihe von alternativen Twitter-Konten entstanden, welche wissenschaftliche Fakten posten, allen voran AltUSNatParkService. Die Wissenschaftler schreiben: Wir können es kaum erwarten, von Präsident Trump als Fake News bezeichnet zu werden. Und: Ihr könnt uns unser offizielles Twitter-Konto wegnehmen, aber nicht unsere Freizeit.
Twitter ist das Medium für Dichtung
Die Wissenschaftler zeigen, dass Twitter kein Hass-Medium sein muss. Eigentlich ist Twitter in der Zeit unbegrenzter Möglichkeiten ein Anachronismus, weil die Länge einer Botschaft auf 140 Zeichen beschränkt ist. Die Firma Twitter hat denn auch bis heute Mühe, Gewinn zu machen und hinkt Facebook weit hinterher. Doch gerade in der Beschränkung auf 140 Zeichen liegt der Charme des Mediums: Die Kürze sorgt für Verdichtung – und das führt manchmal wörtlich zu Dichtung.
Ein Beispiel für den kreativen Umgang mit Twitter und der Sprache ist @NeinQuarterly. Dahinter steckt der amerikanische Germanist Eric Jarosinski. Er twittert auf Englisch und auf Deutsch hintergründige Sätze wie Resistance is futile. That’s why I like it. Oder: No, some of us will never be happy. That’s why there’s still hope. 147’000 Menschen verfolgen mittlerweile die Gedankensplitter von Jarosinski.
Deutsch ist manchmal etwas sperrig
Die englische Sprache eignet sich besser für das Formulieren von kurzen und knackigen Gedanken. Es gibt aber auch deutschsprachige Twitterer mit einer Hand für knappe Weisheiten. Einer von Ihnen ist der Benediktinermönch Martin Werlen. Seit Jahren twittert er «Bahngleichnisse» wie #Bahngleichnis Es gibt einige Menschen die Verbindungen sehen, wo andere nur Bahnhof verstehen. Oder: #Bahngleichnis Immer wieder begegnen sich auch diejenigen, die in entgegengesetzte Richtungen unterwegs sind.
3049 Menschen folgen dem ehemaligen Abt des Klosters Einsiedeln – für Schweizer Verhältnisse ist das beachtlich. Absoluter Spitzenreiter der Schweizer Twitterer ist Roger Federer (who else) mit rund 6,5 Millionen Followern. Joseph Blatter bringt es auf 2,5 Millionen Follower, Stanislas Wawrinka auf 950’000. Verglichen mit den amerikanischen Twitter-Stars ist auch Federer ein Winzling. Am meisten Menschen folgen auf Twitter Kate Perry (95,5 Millionen) und Justin Bieber (91,4 Millionen). Auf Platz drei steht – das dürfte Donald Trump besonders schmerzen – Barack Obama mit 83,3 Millionen Followern. Trump selbst belegt auf der Rangliste mit derzeit 22,4 Millionen Followern bloss Rang 57. Das offizielle Präsidentenkonto @Potus hat sogar nur 14,4 Millionen Follower.
Die digitale Elite auf Twitter
Die Zahlen mögen gross scheinen – auch Donald Trump erreicht über Twitter nicht die Öffentlichkeit, sondern bloss eine (allerdings relativ breite) digitale Elite. Denn die 22 Millionen Abonnenten seines Twitterkanals verteilen sich auf die ganze Welt. Das geht auch den Schweizer Twitterern so. Man geht heute davon aus, dass es etwa 700’000 aktive Twitternutzer in der Schweiz gibt – also weniger als ein Zehntel der Bevölkerung. Zum Vergleich: Facebook wird heute von 3,92 Millionen Schweizern genutzt – also etwa der Hälfte der Bevölkerung.
Doch das ist nur das potenzielle Publikum. Die meisten Angebote haben ein paar Hundert bis einige Tausend Follower. Dem Kanton Basel-Stadt zum Beispiel folgen auf Twitter heute 6856 Personen – viel für Twitter, wenig für die Stadt. Allerdings sind die Leserzahlen der klassischen Medien so stark gesunken, dass Twitter und Facebook zur valablen Alternative werden.
Alternative Fakten
Trotz der beschränkten Zahlen sind die Twitterangebote wichtig – für den Kanton Basel-Stadt ebenso, wie für Donald Trump, die US-Wissenschaftler und die amerikanischen Künstler. Twitter (und natürlich auch Facebook und andere Internet-Angebote) ermöglichen es, ungefiltert die eigene Sicht zu transportieren. Da hat Trump schon recht. Allerdings sind seine Tweets nur so wichtig, weil sie von den lügnerischen Medien sofort weitervermeldet werden. Erst die Medien machen den Twitterer stark, indem sie ihn zum Thema machen.
Auch wir Beobachter profitieren, weil wir einen unverstellten Blick in die Gedankenwelt zum Beispiel von Donald Trump werfen können. Sie brauchen selbst übrigens kein Twitter-, um sich die Tweets von Trump anzusehen. Sie müssen lediglich mit dem Webbrowser Trumps Twitter-Seite aufrufen: https://twitter.com/realDonaldTrump Wenn Ihnen das zu unerfreulich ist: Auf Twitter finden Sie einige Schriftsteller, darunter den britischen Bestseller-Autor Robert Harris, die Wahlschweizer-Autorin Sibylle Berg oder den Satiriker Viktor Giacobbo. Mich finden Sie auch: https://twitter.com/mattzehn – ich twittere jeden Morgen unter dem Stichwort #Morgenstund einen Morgengedanken auf vier Zeilen.
Die Wissenschaftler in den USA wollen sich übrigens nicht auf das Twittern von Fakten beschränken. Nach dem Vorbild des Women’s March, an dem Hunderttausende teilgenommen haben, planen sie einen March for Science – einen Marsch für die Wissenschaft in der Bundeshauptstadt Washington. Die Vorbereitungen dafür laufen bereits – natürlich auf Twitter: https://twitter.com/ScienceMarchDC
3 Kommentare zu "140 Zeichen zwischen Hass und Halleluja"
Was wäre, gäbe es Twitter nicht? Es würde uns viel erspart bleiben….
Ein blonder US-Präsident müsste nicht manisch in die Tasten hauen. Auch von Hollywood-Sternchen-Empörungs-Weltenretter-Gezwitscher blieben wir verschont. „Stars müssen endlich erkennen, dass sich niemand dafür interessiert, was sie über Trump denken und schon gar nicht was sie über ihn twittern“. Denn „viele in Hollywood leben in einer Blase. Sie sind realitätsfremd gegenüber den Sorgen normaler Leute, des Durchschnittstypen, der täglich seine Familie ernähren muss. Stars sollte nicht über Politik twittern; Millionengagen-Bezüger für 10 Minuten Kameralächeln sind gänzlich nicht glaubhaft.“ (Quelle Mark Wahlberg – Magazin Task & Purpose).
Was die Grossen tun, lassen auch nicht die Kleinen. Brechen wir runter bis zu Schweizer Politiker – auch Sie haben einen nervösen Finger. CVP-Nationalrätin E. Schneiter-Schneider ist auf Twitter oft in Sachen Eigenlob unterwegs. Genau wir im echten Leben. Grüne wie Maja Graf unterstützen Tibeter auf Twitter (wie herrlich unschwer und mühelos das dort doch geht) und Baltasahr Glättli wird von heute auf Morgen bekennender Fan der früheren US-Aussenministerin Madelaine Albright, deren Name er vor ein paar Tagen noch nicht mal Buchstabieren konnte, und dies nur weil die abgesetzte Politik-Lady (wegen Trump) aus Trotz plötzlich zur Muslimin konvertiert und so ihr Verhalten postet, dass sich anfühlt wie wenn ein 10 jähriges Mädchen sein Himbeereis nicht erhält.
Abschliessend fasse (oder twittere) ich im Kapitel „Sachen, die die Welt nicht braucht“ zusammen:
Punkt 1) Ja, es gibt auf dieser Welt zuviele Sender – und zu wenig Zuhörer.
Zuhören ist eine Kunst, die immer wie wertvoller wird. Tief traurig sah ich letzthin in der „BaZ“ ein Stellenangebot, in dem sich ein (gutbetuchter) Pensionär einen Menschen wünscht, der mit ihm (gegen Bezahlung) „Ausfahrten unternimmt und zuhören“ kann. Armer reicher Senior. Sendemaschinen (Internet, Computer, Radio, TV, Print, Film, Plakat, Blogs, Twitter und Funk) kann man bis zum Geht-nicht-mehr herstellen. Zuhörermaschinen kann keiner herstellen. Es bräuchte Menschen, doch solche werden rar.
Punkt 2) Frei nach Kinski, welcher Twitter wohl noch nicht kannte, dessen Worte sich aber mühelos zum Thema adaptieren lassen: „Halten Sie die Klappe, Sie haben hier keine Funktion in Augenblick.“
Noch zur grossen Aufregung um den demokratisch gewählten US-Präsidenten der Republikaner, auf dem in europäischen Medien gebetsmühlenartig herumgetrumpelt wird: Gemach, gemach; wer grosse Töne spukt, kann daran gemessen werden. Schauen wir mal, ob es ihm gelingt, den einfachen Bevölkerung, der Mehrheit, kurz den amerikanischen Inländern bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu ermöglichen. Gelingt es ihm nicht, hat er in zwei, spätestens in vier Jahren ein Problem und er wird abgewählt. So einfach und so gut geht dies in der (ältesten) Demokratie.
Gelingt es ihm jedoch, die einfachen, arbeitenden amerikanischen Inländer mit Taten und spürbaren Verbesserungen zu überzeugen+verwöhnen; und dafür sieht es gar nicht mal so schlecht aus (*) wird er ebenso demokratisch wie geschmeidig wieder im Amt bestätigt.
(*)= Einige erfolgsversprechende Worte und Taten kann man in meinem (lesenswerten) Kommentar zum Beitrag „Donald Trump verweigert sich dem Amt“ von vorletzter Woche nachlesen.
Ja – es gibt auch Trump´sche „Good-News“, und die hören sich für den einfachen, arbeitenden amerikanischen Inländer – um den es jetzt einmal geht, was viele Europäer gern vergessen – m e h r als vielversprechend an.
Die so genannten «Sozialen Medien» machen mit minimalem Aufwand eine maximale Schwarmbildung möglich. Dabei nachhaltig begründet zu wissen, wohin es wozu geht, ist nicht nötig. Wer mitgeht, vertraut in der Regel wesentlich darauf, dass es die Schwarmintelligenz richtig richten wird. Das ist beispielsweise bei Flüchtlingsströmen nicht viel anders, als beispielsweise bei gesellschaftspolitischen Entwicklungen, die medial ausgelöst und gesteuert sind. Ob es gut kommt, oder schief geht: Niemand hat nichts erfunden, und niemand braucht für nichts die Verantwortung zu übernehmen. Ach wie gut, dass niemand weiss, dass ich Rumpelstilzchen heiss?
„Was wäre, gäbe es Twitter nicht? Es würde uns viel erspart bleiben….“ stellt Thomas Zweidler fest. – Mir geht es so! Und es geht mir gut!