Einführung in die Bilderwelt von Alfred Hoehn

Publiziert am 25. August 2016 von Matthias Zehnder

Ich begrüsse Sie herzlich im Namen von Alfred Hoehn zur Vernissage der Ausstellung seiner Bilder. Er hat mich gebeten, an der Vernissage ein paar Worte an Sie zu richten und Sie in seine Bilderwelt einzuführen – das mache ich sehr gerne. Mein Name ist Matthias Zehnder, ich bin Publizist und Autor in Basel.

2016 1 ohne titel oil on canvas 110 x 140 cm

Wenn Sie ein Bild etwas genauer betrachten möchten, gibt es im Wesentlichen drei Wege, wie Sie sich dem Bild nähern können:

  1. Sie können sich über die Biografie des Künstlers dem Bild nähern und aus diesem Wissen dann Sätze sagen wie: «Hier sagt uns der Maler…» oder: «Der Künstler macht die Beeinflussung durch XY sichtbar…»
  2. Sie können versuchen, das Bild intellektuell zu verstehen und zu analysieren, mit dem Goldenen Schnitt und C.G. Jung im Kopf und der Kunstgeschichte im Gepäck. Danach können Sie Sätze sagen, die beginnen mit: «Dieses Bild stellt sich eindeutig in die Tradition von…», oder: «Dieses Bild weist mit dieser geometrischen Struktur Parallelen auf zu…»
  3. Oder Sie können das Bild betrachten und auf sich wirken Danach können Sie sagen: «Ich finde…», oder: «Mir scheint…» oder auch einfach: «schön!».

Wir können das gerne einmal durchspielen.

Nehmen wir also 1) die Biografie des Künstlers.

Alfred Hoehn ist am 15. November 1929 in Basel geboren. Als ich diese Jahreszahl hörte, habe ich zuerst nachgerechnet und dann nachgefragt. 87? Kann das sein? Es kann.

Er hat in Basel das MNG besucht und studierte anschliessend an der Basler Kunstgewerbeschule in den Graphik- und Malklassen von Walter Bodmer, Ernst Buchner und Heinrich Müller. Er wurde Architekt, heiratete bekam einen Sohn – und beschäftigte sich daneben immer mit Malerei und Mathematik.

Ende der 70er Jahre konnte er sich wieder vermehrt der Malerei zuwenden, ein persönlicher Durchbruch, der sich in verschiedenen Ausstellungen äusserte. Seine Bilder bewegten sich am Schnittpunkt von Malerei und Mathematik, sie waren oft geometrisch abstrakt und in diesem Sinne ein Ausdruck seiner Biografie.

Bloss: Mit Ausnahme der «Zeichenmaschine Majos» da drüben, auf die wir noch zurückkommen werden, haben die Bilder, die er heute hier ausstellt, nicht mehr viel mit Mathematik zu tun. Sie lassen sich (vielleicht) auch nicht mehr so leicht aus der Biografie heraus erklären.

Nehmen wir also 2) eine gescheite Analyse.

Was wissen wir über die Bilder?

Wir wissen, dass sie, mindestens zum Teil, mit einer Rakel gemalt worden sind. Sollten Sie das Wort nicht kennen: Es schreibt sich wie «Rakete», nur hinten mit «el» statt «ete». Das Wort kommt vom französischen racle und bedeutet so viel wie Kratzeisen oder Abstreichholz. Ursprünglich wurde so ein Abstreichholz dazu verwendet, zum Beispiel bei einem Getreidemass das überschüssige Getreide über den Rand abzustreichen. In der Malerei wurde die Rakel als Abstreifholz für überschüssige Farbe verwendet.

Es gibt aber auch Maler, die direkt mit der Rakel arbeiten. Zum Beispiel Gerhard Richter. In einem Gespräch mit Nicholas Serota sagte Richter, dass ihn dabei der teilweise Kontrollverlust interessiere. Wenn der Maler mit dem Pinsel malt, hat er diese Kontrolle. Er weiss ziemlich genau, was passiert, wenn er den Pinsel auf die Leinwand setzt. Bei der Rakel ist das anders. Der Maler verliert einen Teil dieser Kontrolle. Alfred Hoehn sagt denn auch, dass er sich von Gerhard Richter zum Rakeln hat inspirieren lassen. Alfred Hoehn sagte mir: Beim Rakeln sind sind viele Zufälligkeiten im Spiel, aber die Zufälle im Griff zu haben, ist manchmal nicht so einfach.

Aber über das Rakeln hinaus – wollen wir diesen herrlichen Farberlebnissen wirklich mit einer nüchternen Analyse zu Leibe rücken? Für Joseph Beuys war nicht das Kunstwerk die eigentliche Kunst, sondern dessen Wirkung. So gesehen ist es nicht wichtig, was da auf der Leinwand ist, sondern was dieses auf der Leinwand in uns bewirkt.

Wir sind damit bei 3) der Wirkung

Alfred Hoehn sagte mir: Kunst entsteht beim Betrachter. Wenn der nur eine Farbsensation oder eine formale Sensation verspürt, dann ist es nicht Kunst. Ich bin kein Freund der emotionalen Kunst. Aber ich will ein positives Gefühl vermitteln. Ich habe ihn deshalb nach seinen Vorbildern gefragt. Von Gerhard Richter haben wir schon gehört, ich war deshalb gespannt, welche Koryphäen der modernen Kunst er mir nennt. Wissen Sie, was er gesagt hat? Mein Vorbild sind die Steinzeitmalereien, zum Beispiel in der Höhle von Lascaux.

Steinzeit? Damit gemeint hat er dieses unmittelbare Kunstbedürfnis, den unmittelbaren Ausdruck, der vielleicht den Menschen erst zum Menschen macht. Jetzt malt Alfred Hoehn nicht wirklich Hirsche und Auerochsen und als aufgeklärter Mensch fragt man einen Künstler nicht plump, was seine Bilder denn darstellen. Ich habe ihn dennoch gefragt. Seine Antwort: Vielleicht die vier Elemente.

Das vielleicht bezieht sich darauf, dass er erst mit der Zeit gemerkt hat, dass er sich fast ausschliesslich in vier Farben bewegt: Rot, Blau, Weiss und Braun – Feuer, Wasser, Luft und Erde. Und eine zweite Antwort: Es habe ihm mal jemand gesagt, seine Bilder seien wie Fenster.

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Für mich ist das die perfekte Beschreibung für die Wirkung, die seine Bilder auf mich haben: Es sind Fenster zu den vier Elementen.

Es sind nicht Bilder, die Sie mit einem Zollstock und der Kunstgeschichte in der Hand analysieren können. Es sind Bilder, auf die Sie sich einlassen müssen. Öffnen Sie die Fenster und lassen Sie sich von den vier Elementen inspirieren. Ich weiss nicht, was Sie sehen und spüren werden. Ich habe Vulkane gesehen, Lava, die kurz nach dem Ausbruch unter der erkalteten Oberfläche glüht, Überschwemmungen, ein Vollschiff mit zerrissener Takelage im Sturm, eine Erdscholle, den Biswind, einen Waldbrand, labendes Wasser, ein laues Lüftlein.

Und wie passt die Zeichnungsmaschine da in der Ecke dazu?

Bei dieser Maschine handelt es sich um «Maios 5». «Maios» in Anlehnung an Klaudius Ptolemaios, der sich im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus als Mathematiker und Astronom mit der scheinbaren Rückläufigkeit von Planetenbahnen beschäftigte. Die Maschine arbeitet mit gegenläufigen Rädern und auf dem Prinzip von Epizyklen. Alfred Hoehn hilft ihnen sicher gern mit der Formel aus, wenn Sie grad nicht mehr wiwwen, wie man einen Epizyklus berechnet.

Übrigens ist Alfred Hoehn mit den Zeichnungsmaschinen mit 87 Jahren auch zum Youtube-Star geworden: Einige der Videos seiner Zeichnungsmaschinen sind fast schon eine halbe Million mal angeschaut worden.

Entstanden sind die Zeichenmaschinen aus der Beschäftigung mit Jean Tinguely, den Alfred Hoehn persönlich kannte. Ziel war es, eine Zeichnungsmaschine zu entwickeln, die, anders als die Zeichnungsmaschinen von Tinguely, langsam arbeitet, der man also beim Verfertigen der Zeichnung zusehen kann.

Ist das Kunst? wird Alfred Hoehn oft gefragt. Er zuckt dazu nur mit den Schultern. Sicher ist: es ist Mathematik. Ob es Kunst ist, entscheiden, ganz im Sinne von Joseph Beuys, Sie, liebe Anwesende: Es kommt drauf an, ob und wie «Maios 5» in Ihren Köpfen (und Herzen) wirkt.

Das ist überhaupt das wichtigste: öffnen Sie Ihre Fenster und lassen Sie die Bilder auf sich wirken.

In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und darf Sie jetzt im Namen des Künstlers zum Apéro einladen – und vor allem zum Betrachten seiner Bilder.

Herzlichen Dank.

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