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Troubadour
Es gibt Krimis, die sind so spannend, dass man bei der Lektüre in Adrenalin badet. Man umklammert die Lehnen des Stuhl so fest, dass die Knöchel weiss werden. Man schiesst beim kleinsten Geräusch hoch und würde die Haustüre am liebsten dreimal abschliessen. Und dann gibt es Krimis, in die schlüpft man rein wie in einen alten, flauschigen Pullover. Man entspannt sich bei der Lektüre, es ist wie Ferien mitten in der Woche. Solche Krimis schreibt Martin Walker. Sein Polizist Bruno ermittelt bereits zum fünfzehnten Mal im Périgord. Wie immer verknüpft Martin Walker dabei historisch-politische Informationen, journalistische Beobachtungen der Gegenwart, Kulinarik und einen angenehm spannenden Plot zu einem Wohlfühl-Krimi. Und das ist als Kompliment gedacht. Im neusten Bruno-Buch geht es um den Katalonien-Konflikt in Spanien. In Saint-Denis soll die Folkband «Les Troubadours» auftreten. Natürlich ist Bruno mit den Musikern befreundet. Doch die spanische Regierung hat den neusten Hit der Gruppe, «A Song for Catalonia», verboten. Die Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen sollen im Keim erstickt werden. Martin Walker entwickelt daraus eine spannende Geschichte über Okzitanien und Katalonien, den Einfluss russischer Hacker und die Bedeutung von Aprikosen und Pfirsichen für die regionale Küche. In meinem 154. Buchtipp sage ich Ihnen diese Woche, warum es sich lohnt, Bruno in der Küche, beim Reiten und im Büro über die Schultern zu schauen.
Für meinen Buchtipp suche ich jede Woche ein Buch, das eine spannende Geschichte erzählt. Für diese Woche hatte ich gleich mehrere Thriller zur Hand. Dunkle Stories, in denen es zu Mord und Totschlag kommt und das Böse in der Gesellschaft aufbricht wie ein Furunkel. Sie merken es an der Wortwahl: Ich hab mich damit nicht wohlgefühlt. Es ist schon in den Nachrichten jeden Tag von so viel Bosheit und Unglück die Rede, dass ich mich nicht auch noch in meinem Lesesessel damit herumschlagen wollte.
Und dann lag da auch noch das neue Buch von Martin Walker. Neu daran ist nur der Plot: Seit Jahren erzählt Martin Walker ähnlich gestrickte Wohlfühlgeschichten aus dem Périgord. Sie handeln immer von einem touristisch-journalistisch-historischen Thema der Region, von Liebe, Freundschaft, Hunden, Kochen und Frankreich. Die meistens enden, wie jeder gute Astérix, mit einem Festessen. Eigentlich wollte ich den neuen Walker nicht vorstellen. Ich hab ihn nur zur Hand genommen, weil ich wissen wollte, welche Wissenswelt Walker diesmal in seine Policier-Geschichte hineinpackt. Zwei Stunden später bin ich wieder aus dem Buch aufgetaucht und wusste, welche Neuerscheinung ich hier empfehlen muss.
Nein, der neue Bruno-Krimi ist weder revolutionär erzählt noch literarisch besonders bedeutend. Es ist eine Geschichte, in die man so genüsslich eintauchen kann wie in ein Schaumbad. Diesmal geht es um die Troubadour-Kultur und Okzitanien, die Freiheitsbewegung der Katalanen, russische Hacker, das fiktive Dorf Saint-Denis und die liebenswerten Menschen im Périgord, die einmal tatsächlich ein Wildschwein über offenem Feuer braten. Nur etwas ist nicht wie immer: Normalerweise ermittelt Bruno Courrèges nach einem Verbrechen. Bruno ist mittlerweile als Chef de police nicht mehr nur für Saint-Denis, sondern für einen Grossteil des Vézère-Tals zuständig und da passiert so einiges. Im neuen Bruno-Band ist das Verbrechen aber noch gar nicht geschehen: Brunos Aufgabe ist es, zu verhindern, dass ein professioneller Sniper einen Mordanschlag begeht. Bloss: An wem?
Auf die Idee, dass sich ein Scharfschütze in ihr wohlbehütetes Dorf wagen könnte, kommen die Polizisten, weil sie die Patrone einer grosskalibrigen Waffe finden, die nur von Snipers benutzt wird. Die Patrone liegt in einem gestohlenen Auto, einem alten Peugeot, der nach einem Unfall verlassen aufgefunden wurde. Der Wagen ist mit einem Reh kollidiert und dann in den Graben gefahren. Dabei hat er ein Vorderrad verloren. Das Reh ist tot. Vom Fahrer keine Spur. Weil Bruno in seinem Tal jeden und jede kennt, findet er aber schnell heraus, dass der Streifenpolizist das tote Reh einem Altersheim gespendet hat. Und der Koch im Altersheim hat im angefahrenen Reh eine Kugel gefunden. Offensichtlich wurde der Unfall vorgespielt. Ist alles nur eine Falle?
Oder gilt es ernst und die Troubadours sind in Gefahr? Denn das kann gut sein: In Spanien brodelt es. Die spanische Regierung geht mit aller Härte gegen katalanische Separatisten vor. Spanische Nationalisten fühlen sich dadurch gestärkt. Könnte es sein, dass die Musikgruppe Ziel eines Anschlags ist? Oder geht es um einen Politiker? Bruno nimmt Kontakt auf mit Isabelle, seiner grossen Liebe, die sich, viele Bruno-Bücher ist es her, nicht für Bruno, sondern für ihre Karriere entschieden und nach Paris ins Innenministerium gewechselt hat.
Natürlich kümmert sich Bruno nicht nur um die Frau aus seiner Vergangenheit, sondern auch um die Frauen in der Gegenwart. Um Pamela zum Beispiel. Mit der englischen Besitzerin des Reithofs in seiner Nachbarschaft hatte er eine Affäre, die er wohl nur deshalb nicht bereuen musste, weil es Pamela mit viel Fingerspitzengefühl und Finesse gelungen ist, die Affäre in eine feste, dauerhafte Freundschaft umzuwandeln. Da ist Florence, eine ehemalige Chemikerin und alleinstehende Mutter, die Bruno aus den Fängen eines Restaurantbetreibers gerettet hat. Florence ist seither richtig aufgeblüht. Sie unterrichtet an der Schule in Saint-Denis und hat einen Computerclub aufgebaut. Bruno hat ihren beiden Kindern das Schwimmen beigebracht, sie sind für ihn fast ein bisschen der Ersatz für die Kinder, die er selbst nie haben wird. Oder Yvette. Sie ist nicht nur die beste Kollegin unter den verschiedenen jungen Offizieren, die die Gendarmerie von Saint-Denis leiten, sondern inzwischen auch eine gute Freundin von Bruno. Yvette spielt im neuen Buch eine wichtige Rolle.
Bruno hat also auch in der 15. Folge von Martin Walkers Krimis aus dem Périgord alle Hände voll zu tun. Zumal er ja auch noch das Konzert der Musikgruppe und das jährliche Tennisturnier organisieren muss, ständig in der Küche steht und leckere Mahlzeiten zubereitet und zu Kindern, Hunden und Pferden schaut. Martin Walker versteht es, diese Wohlfühlebene des Krimis perfekt zu verbinden mit der journalistisch-historischen Ebene des Buchs, die sich um Katalonien, Okzitanien, das Périgord und die aktuelle Politik dreht. Kurz: Ein Buch, in das abzutauchen es sich lohnt.
Martin Walker: Troubadour. Der fünfzehnte Fall für Bruno, Chef de police. Diogenes, 400 Seiten, 35 Franken; ISBN 978-3-257-07237-2
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783257072372
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Basel, 16. Mai 2022, Matthias Zehnder
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