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Französisches Roulette

Publiziert am 27. Mai 2021 von Matthias Zehnder

Ich gebe Ihnen jede Woche einen Lesetipp: ein Buch das ebenso intelligent wie unterhaltend ist.

Diese Woche: «Französisches Roulette» von Martin Walker.

Hier gibt es die ausführliche Fassung dieses Buchtipps auf Youtube:

Bruno Courrèges ist Dorfpolizist der fiktiven Kleinstadt Saint-Denis im Périgord. Wenn Sie gerne ab und zu einen Krimi lesen und sich ein klein wenig für Frankreich interessieren, haben Sie sicher schon von ihm gehört: in 13 Romanen ermittelt «Bruno, Chef de Police» mittlerweile in St. Denis und er ist dabei kaum älter geworden. Erfunden hat den umtriebigen Dorfpolizisten der Schottische Journalist Martin Walker, der seit vielen Jahren selbst im Périgord lebt.

Zu jedem Krimi gehört eine Leiche. In «Französisches Roulette», dem neusten Bruno-Roman von Martin Walker, trifft es den alten Driant. Er ist verwitwet, hat zwei Kinder und lebt von der Schafzucht. Also nicht gerade der Mann, den eine noble Seniorenresidenz ansprechen dürfte. Trotzdem hat Driant hinter dem Rücken seiner Kinder Haus und Hof verkauft und alles Geld in eine Versicherung gesteckt, die ihm den Aufenthalt in der sündhaft teuren Seniorenresidenz finanzieren sollte. Noch bevor es dazu kam, ist er aber gestorben. 

Zwar hat der Arzt einen natürlichen Tod attestiert, ein Herzversagen, Bruno gefällt es aber trotzdem nicht. Er beginnt, auf eigene Faust über die Residenz und die Versicherungsgesellschaft zu ermitteln – und landet in einem Fall, der seine Kompetenzen deutlich sprengt.

Die Bruno-Krimis von Martin Walker sind richtige Wohlfühlbücher. Als Leserin, als Leser taucht man ein in eine heile Dorf-Welt im Périgord und geniesst mit Bruno das Leben, die Freunde und natürlich das Kochen und Essen.

Literarische Meisterwerke sind die Krimis nicht, Martin Walker kann nicht verbergen, dass er eigentlich Journalist ist. Spass machen sie trotzdem. Gerade in der Zeit von social Distancing. 

Im Périgord scheint die Zeit manchmal stehen geblieben zu sein. In Sarlat zum Beispiel im Département Dordogne drängen sich honigfarbene Häuser aus dem 15. und 16. Jahrhundert rund um den zentralen Place de la Liberté. Auf dem Platz bieten Bauern unter beigen Markisen ihre Produkte an: Früchte und Gemüse, aber auch Foie Gras, Oliven, Käse und Wein. «Canard», «Cerf» und «Âne» sind kleine Trockenwürste angeschrieben – Ente, Hirsch, Esel, der Dreiklang des Lebens im Périgord. Am Stand duftet es nach Pfeffer, Salz und Speck. Der wohlbeleibte Bauer hinter der Holztheke hält einem ein Brettchen mit Wurstscheiben zum Probieren hin. Kein Zweifel: Hier könnte Bruno Courrèges einkaufen, einziger Polizist, Gourmet, Hobbykoch, Rugbytrainer und begehrtester Junggeselle von Saint-Denis. Oder ist er es gar, der in der blauen Uniform eines Flics da vorne aus der Gasse kommt?

Aber natürlich ist das nicht möglich. Bruno ist ja eine erfundene Figur. Zwar hat Martin Walker für Bruno an einem realen Dorfpolizisten Mass genommen, an seinem Freund Pierrot. Trotzdem gibt es Bruno nur in den Romanen von Martin Walker. Vom «Chef de Police» abgesehen beschreiben sie die Landschaft des Périgord, die Leute und vor allem ihre Küche so genau, dass die Romane auch als Reiseführer genommen werden können. 

Martin Walker sagt: «Wenn Gott sich eine besonders schöne Pause gönnen will, dann kommt er bestimmt ins Périgord.» Er muss es wissen: Als Journalist hat er die halbe Welt bereist – und sich dann da niedergelassen, wo die Welt am schönsten ist: im Périgord. Er hat ein altes Bauernhaus gekauft und schreibt seither über das Périgord, seine kulinarischen Köstlichkeiten und die liebenswerten Menschen.

Das Périgord ist eine der wenigen Gegenden Frankreichs, die man noch als ursprünglich bezeichnen kann. Paris ist weit weg, die Menschen gelten als die freundlichsten des ganzen Landes. Ihre Küche ist einfach und geprägt von den Köstlichkeiten, die der Boden hergibt. Nüsse und Käse, Trüffel und Wein. So ist es heute, so muss es schon immer gewesen sein. Das Périgord hat ein mildes Klima – schon vor Tausenden von Jahren haben Menschen deshalb hier gesiedelt, die Wildtiere in den Eichenwäldern gejagt, von den fischreichen Flüssen gelebt, Nüsse und Beeren gesammelt. In den vielen Höhlen der Kalkberge fanden sie Unterschlupf. Die bekannteste ist die Höhle von Lascaux im Tal der Vézère. Da haben die Steinzeit-Menschen vor über 17’000 Jahren Malereien hinterlassen: Auf den Wänden der Höhle finden sich Hunderte von Tierzeichnungen. Auerochsen, Pferde, Bären, Hirsche – und Menschen. 

In dieser Landschaft also hat sich Martin Walker niedergelassen und lässt seither Bruno Courrèges in Sachen Mord ermitteln. Bruno ist Chef de police des fiktiven Örtchens Saint-Denis – und er ist Gourmet, Sporttrainer und begehrtester Junggeselle des Ortes. In bisher dreizehn Fällen hat Martin Walker den sympathischen Polizisten in Sachen Mord ermitteln lassen. Wobei der Kriminalfall meist fast Nebensache ist. In erster Linie nimmt man Teil am Leben von Bruno und seinen Freunden. Und weil Bruno leidenschaftlich gerne kocht, läuft einem beim Lesen eins übers andere Mal das Wasser im Mund zusammen: Die Bruno-Krimis machen Appétit aufs Périgord.

Das gilt auch für den neusten Bruno-Roman «Französisches Roulette». Klar: Es gibt einen Toten, die Spuren führen bis nach Moskau, es sind die verschlungenen Netze des internationalen Kapitals, die Martin Walker in seiner Zeit als Journalist für den «Guardian» verfolgt hat. Im Zentrum des Romans steht aber nicht die Leiche und der Thrill der Jagd nach dem Bösewicht. Im Zentrum steht das gute Leben mit Speis und Trank und die Dorfgemeinschaft von Saint Denis. 

Ein Beispiel dafür ist eine Szene, die sich abspielt, als Bruno die Tiere verteilt, die der alte Driant auf seinem Hof hinterlassen hat. Pamela, die Freundin von Bruno, übernimmt die Hühner des verstorbenen Schafzüchters. Also braucht sie einen Stall. 

«Bruno fuhr nach Hause, um die Bretter und den Kaninchendraht zu holen. Auf dem Rückweg machte er zuerst am Sägewerk halt, um die Kanthölzer zu kaufen, und dann wieder beim Bricomarché, wo er sich mit Zement und einem zwei Meter grossen Stück Wellkunststoff für das Dach versorgte. Zufällig traf er dort den Baron, der Glühbirnen brauchte und sich sofort bereit erklärte, beim Bau des Hühnerstalls zu helfen. Und nicht nur das, er packte auch gleich eine Verteilerdose, eine Kabelrolle und eine Aussenlampe für den Stall mit in seinen Einkaufswagen. Félix’ Vater schloss sich ihnen bereitwillig an, zumal ihm für seine Mithilfe ein halbes Dutzend Eier pro Woche in Aussicht gestellt wurde. Zuletzt rief er Michel an, der versprach, gegen Mittag mit dem Schaufelbagger zu kommen.» (S. 141)

Die Freund helfen sich gegenseitig, einer bringt Werkzeuge, der zweite schraubt, der dritte kommt gleich mit dem Bagger, in ein paar Stunden haben die Hühner ein Dach über dem Kopf und die Freunde setzen sich fröhlich zu Speis und Trank an einen grossen Tisch. Ach ja: Zum Schluss klärt Bruno natürlich auch die Hintergründe des Mordes auf und es gibt ein grosses Fest in Saint Denis. Fast wie in einem anderen, berühmten gallischen Dorf.

Ich frage mich manchmal bloss, woher die Menschen in den Bruno-Romanen die Zeit nehmen, sich gegenseitig zu helfen – und warum sie bei dem vielen Essen nicht dick werden. Aber vielleicht gelten im Périgord ja auch diesbezüglich einfach andere Regeln.

Martin Walker bedient mit seinen Bruno-Romanen nicht in erster Linie Thriller-Freunde, sondern Menschen, die sich nach dem einfachen, wahren Leben sehnen. Nach einem Glas Wein und einem Teller mit Käse und Salat, frischem Brot und Trüffeln. Er trifft damit einen Nerv: Allein auf Deutsch wurden seine Romane bisher 2,5 Millionen Mal verkauft. 

Einziger Nachteil der Bruno-Romane: Ich kriege beim Lesen immer Hunger. Und Durst.

Martin Walker: Französisches Roulette. Der dreizehnte Fall für Bruno, Chef de police. Diogenes, 368 Seiten, 32 Franken; ISBN 978-3-257-07118-4

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783257071184

Weitere Buchtipps gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/video-buchtipp/

Basel, 11. Mai 2021, Matthias Zehnder

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