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Flammender Frieden

Publiziert am 8. Dezember 2021 von Matthias Zehnder

1943, nachdem er in den USA seinen ersten Roman veröffentlicht hatte, der zum Bestseller wurde, stand Stefan Heym im Dienst der US Army und wartete darauf, dass seine Truppe den Marschbefehl nach Europa erhielt. In dieser Zeit schrieb er, auf englisch, seinen zweiten Roman. «Of Smiling Peace» heisst das Buch. Anders als seine anderen englischsprachigen Werke hat Stefan Heym den Roman nie auf Deutsch übersetzt. Zum 20. Todestag des Autors hat der Bertelsmann-Verlag das jetzt nachgeholt. Das Resultat ist «Flammender Frieden», ein spannender Kriegsroman über die Invasion der Alliierten in Nordafrika und das moralische Dilemma, in das sich die US Army damit stürzte.

Stefan Heym ist ein Schriftsteller, auf den ein Buchtitel von Erich Kästner zutrifft: Der Mann hat zwischen allen Stühlen gesungen. Oder geschrieben. Er ist vor den Nazis in die USA geflüchtet und hat in der US Army gekämpft. In der McCarthy-Ära wurde er, wie Bert Brecht und Charlie Chaplin, aus dem Land gedrängt. Er übersiedelte in die DDR, da kam es aber rasch zu Konflikten mit der Staatsführung. Nach 1989 setzte er sich gegen eine Wiedervereinigung ein, wurde 1994 als Parteiloser auf der Liste der PDS in den Bundestag gewählt und hielt am 10. November 1994 die Eröffnungsrede zum 13. Deutschen Bundestag. 1995 trat er aus Protest gegen eine geplante Verfassungsänderung zurück. 2001 starb er in Israel. Das ist Stefan Heym. 

Der Name ist ein Pseudonym, das er sich zum Schutz seiner Familie zugelegt hat: Geboren ist er 1913 als Helmut Flieg in Chemnitz. Er engagiert sich früh gegen den Nationalsozialismus: 1931, mit 18, wird er vom Gymnasium verwiesen, weil er in einer Zeitung ein antimilitaristisches Gedicht veröffentlicht hatte.

Nach dem Reichstagsbrand flieht er in die Tschechoslowakei, da nimmt er den Namen Stefan Heym an. 1935 kann er mit einem Stipendium einer jüdischen Studentenverbindung in die USA auswandern und studiert an der Universität von Chicago.

Er arbeitet zunächst als Journalist, dann als Schriftsteller. Er schreibt auf Englisch. Gleich mit seinem ersten Roman «Hostages» landet er 1942 einen Bestseller. 1943 nimmt er die amerikanische Staatsbürgerschaft an und tritt in die US Army ein.

1944 nimmt er als Sergeant für psychologische Kriegsführung an der Invasion in der Normandie teil. Gleichzeitig erscheint sein zweiter Roman auf englisch: «Of Smiling Peace» heisst er. Thema ist die Invasion der US Army in Nordafrika 1942. Seine anderen, englischsprachigen Roman hat Stefan Heym später selbst ins Deutsche übersetzt – «Of Smiling Peace» ist liegen geblieben. Nun hat Bernhard Robben die Übersetzungsarbeit nachgeholt. Deshalb liegt 20 Jahre nach dem Tod von Stefan Heym der Roman zum ersten Mal auf Deutsch vor. «Flammender Frieden» heisst die Geschichte – die Lektüre lohnt sich.

Das Buch beginnt mitten im Kugelhagel: Im Winter 1942 landen die Alliierten Truppen in Französisch-Nordafrika. Marokko, Algerien und Tunesien unterstehen dem Vichy-Regime – der von Nazi-Deutschland kontrollierten Regierung in Frankreich. In Marokko und in Algerien sind deutsche Soldaten und französische Kolonialtruppen stationiert, die sich miteinander arrangiert haben. Im Film «Casablanca» mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann ist dieses Nebeneinander und Gegeneinander der Mächte gut geschildert. Nach ihrer Landung wollen die alliierten Truppen so rasch als möglich nach Tunesien vorstossen und da das legendäre deutsche Afrikakorps von Feldmarschall Erwin Rommel angreifen. Später sollte der englische General Montgomerys die deutschen Truppen in Tunesien vernichtend schlagen. Noch aber ist es nicht so weit.

Im Kugelhagel von Algerien landen also die Amerikaner – es ist eine packende Szene im Roman, die einem unter die Haut geht. Unter den Soldaten sind Colonel Wintringham, der Stabschef der US Army, und Lieutenant Bert Wolff, ein emigrierter Deutscher, der jetzt, wie übrigens Stefan Heym selbst, für psychologische Kriegsführung zuständig ist und die gefangenen Soldaten des Gegners verhören soll.

Die beiden Amerikaner kämpfen in Algerien mit französischen Soldaten. Es sind aber nicht die Soldaten des Freien Frankreich, es sind die mit Hitler kollaborierenden Franzosen des Vichy-Regimes. Sie schiessen zunächst zurück, dann ergeben sie sich. Die Kolonialmacht Frankreich verfolgt aber weiterhin eigene Interessen.

Im Namen der Franzosen verhandelt Colonel Monaître mit den amerikanischen Besatzern. Monaître kommandiert das legendäre Bataillon d’Afrique – er hat es längst weit über Batallionsgrösse ausgebaut und in eine schlagkräftige Privatarmee verwandelt, die vor allem seinen persönlichen Interessen dient.

Und da sind, natürlich, auch die Deutschen. Viele werden gefangen genommen, einer entwischt. Es ist ausgerechnet Ludwig von Liszt, Offizier im Generalstab der Wehrmacht. Mit ihm hat Bert Wolff noch eine Rechnung offen, seit sich die beiden im Bürgerkrieg von Spanien gegenüber gestanden hatten und Wolff auf der Seite der Verlierer gestanden hatte. 

Wolff sucht also den Deutschen von Liszt und merkt nicht, dass der sich vor seiner Nase versteckt. Liszt ist bei seiner Geliebten untergeschlüpft. Marguerite Fresneau heisst sie. Es ist eine aussergewöhnliche Frau. Auch Colonel Monaître begehrt sie und der wackere Wolff hat sich schon in sie verliebt, als er sie zum ersten Mal sah, ohne freilich zu wissen wer sie ist. Die Geschichte erinnert wirklich etwas an die Story von Casablanca.

Geschrieben hat Heym den Roman während seiner Dienstzeit in der Armee, als seine Truppe auf den Einsatzbefehl zur Invasion in der Normandie wartete. In seiner Autobiografie «Nachruf» beschreibt Heym später die Umstände. Der militärische Betrieb mit seinem Hin und Her sei «jeder kontinuierlichen geistigen Beschäftigung abträglich» gewesen. Dazu kamen die dauernden Unterbrechungen, der Zeitmangel und die Ungewissheit, wieviel Zeit ihm noch bleiben werde – er hätte jederzeit mit seiner Truppe nach Europa verlegt werden können. Nicht die besten Bedingungen zum Schreiben. Vielleicht hat Stefan Heym deshalb den Roman nie selbst übersetzt ins Deutsche, wie er das mit seinen übrigen englischsprachigen Werken gemacht hat.

In seiner Autobiografie erzählt er auch, um was es ihm in seinem Algerien-Roman gegangen ist. «Wie weit, und dies ist nicht nur eine politische, sondern eine moralische Frage, darf man Kompromisse schliessen mit Faschisten, wenn man Demokratie will?» Es ist die zentrale Frage, vor der zwei Jahre später die amerikanischen Truppen in Deutschland stehen werden. Und weiter: «Es geht darum, ob die Amerikaner, die angetreten sind, Freiheit und Demokratie zu bringen, sich mit jedem Schurken und Faschisten verbinden sollen, der sich ihnen anbietet, oder ob sie nicht eher, um der Sache willen, den schwierigeren Weg gehen, vielleicht sogar eigene Truppen dafür opfern müssen.»

Das ist der Konflikt, in den Colonel Wintringham und Bert Wolff mit ihren amerikanischen Truppen geraten. Im Buch, so viel sei verraten, entscheiden sie sich anders, als es die Amerikaner in der Wirklichkeit gemacht haben. «Flammender Frieden» ist ein spannendes Buch, eine Mischung aus Spionagethriller, Kriegsroman und Kolportage. Die Übersetzung von Bernhard Robben ist so gut, dass man es dem Roman nicht anmerkt, dass es sich um eine Übersetzung handelt. In meinem Büchergestell wird das Buch auf jeden Fall einen Platz finden zwischen Erich Maria Remarque und Leon Uris. 

Stefan Heym: Flammender Frieden. Roman. C. Bertelsmann, 480 Seiten, 34.90 Franken; ISBN 978-3-570-10446-0

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783570104460

Weitere Buchtipps gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/video-buchtipp/

Basel, 8. Dezember 2021, Matthias Zehnder

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