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Ein Mann mit vielen Talenten
Langdon Taft ist etwas festgefahren: Er ist gesund, er hat Freunde (naja: einen Freund), ein grosses Haus und etwas Geld. Und doch fühlt er sich, als wäre der Zug stehen geblieben, aber noch nicht angekommen. Er neigt deshalb dazu, sich eher früher als später am Tag der Whiskey-Flasche zu widmen. Da taucht eines Tages ein geschmeidig-eleganter Mann namens Dangerfield auf, der ganz offensichtlich mit teuflischen Talenten ausgestattet ist. Dangerfield bietet Taft an, dass der sich sieben Monate lang seiner Talente bedienen und alles haben kann, was er will. Nach sieben Monaten soll Schluss sein, dann soll Taft ihm, Dangerfield gehören. Taft lässt sich auf das teuflische Angebot ein und versucht, es zu unterlaufen: Statt für sich möglichst viel herauszuholen, tut er Gutes im Tal in Vermont, wo er wohnt. Das tut dem Tal gut – doch der Tag der Abrechnung rückt näher und Dangerfield will seinen Lohn kassieren. Castle Freeman erzählt die Geschichte lakonisch in sparsamen Worten. In meinem 125. Buchtipp sage ich Ihnen diese Woche, warum diese Erzählung teuflisch unterhaltsam ist.
Es ist eine der Ur-Geschichten der Literatur: Um sich im Erdenleben einen Vorteil zu verschaffen, verkauft ein Mensch seine Seele dem Teufel. So macht es Faust in Goethes gleichnamigem Schauspiel. In «The Picture of Dorian Gray» von Oscar Wilde sorgt Dorian Gray auf diese Weise dafür, dass nicht er selbst altert, sondern sein Bildnis. In «Die schwarze Spinne» von Jeremias Gotthelf verlangt der Teufel in Gestalt eines wilden Jägers ein ungetauftes Kind als Lohn für seine Hilfe. In allen Geschichten profitieren die Menschen gerne vom Teufel und seinen Kräften und bereuen den Handel, wenn es um das Begleichen der Schuld geht.
In der Erzählung von Castle Freeman tritt nicht der Teufel selbst auf, sondern einer seiner Vertreter. Ein smarter Typ, der vom Teufel als seinem Boss, seinem CEO, seinem Chef spricht.
«Taft musterte ihn. Er war ein kräftiger Mann, etwa in Tafts Alter, wohlhabend, gepflegt, kultivierst, das dunkle, grau melierte Haar war straff nach hinten gekämmt, der Bart sorgfältig gestutzt. Seine schmucke Aufmachung als Vorort-Automobilist war allerdings ein bisschen geckenhaft: Tweedjackett mit Hahnentrittmuster, blaues Oxfordhemd, Kordhose, Ziegenlederhandschuhe, Stoffmütze. Dangerfield schaukelte auf seinem Stuhl und betrachtete die Umgebung.» (S. 13)
Fürchterlich mächtig – und schrecklich normal ist dieser Handlanger des Teufels. Und, so findet Taft, irgendwie enttäuschend. So ohne Dramatik. Kein Rauch. Kein Schwefel. Kein Latein. Stattdessen die durchsichtige Verkaufsmasche eines windigen Geschäftsmanns. Erinnert mehr an einen Staubsaugervertreter und redet wie einer der nervigen Menschen, die im Flugzeug neben einem sitzen. Typ leitender Angestellter: halbwegs wortgewandt, irgendwie vertraut, schmalspurkompetent. Weder seriös noch originell. Taft glaubt deshalb nicht an den Teufel und nicht an die Seele. Er sagt sich: Man besiegt den Teufel nicht, indem man besser spielt, sondern indem man das Spiel ignoriert.
Taft tut das, indem er den Handlanger des Teufels dazu einspannt, Gutes zu tun im Tal, in dem er wohnt. Statt sich selbst zu bereichern, hilft er einem alten Mann, dem die Bank das Haus pfänden will, weil er Schulden hatt. Statt selbst zum Bully zu werden und seine Macht auszuspielen, rettet er einen Jungen, der im Schulbus von anderen Kindern gemobbt wird. Statt sich selbst ein Mädchen zu beschaffen, rettet er ein Mädchen vor dem Ertrinken. Aber er weiss, dass der Tag der Abrechnung naht. Die Frage ist, ob der Teufel sich, wie immer in der Literatur, holt, was ihm zusteht, oder ob er ausgerechnet bei Langedon Taft eine Ausnahme macht.
Es ist ein schmales Buch, das grosse Lesefreude versprüht. Castle Freeman macht klar, dass es nicht auf die Mittel einkommt, die man einsetzt, sondern darauf, wie man sie einsetzt. Wer ein gutes Herz hat, kann sogar den Teufel dazu bringen, Gutes zu tun.
Castle Freeman: Ein Mann mit vielen Talenten. Aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. Hanser Verlag, 160 Seiten, 31.90 Franken; ISBN 978-3-446-27402-0
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783446274020
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Basel, 11. Oktober 2022, Matthias Zehnder
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