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Die Gottesmaschine

Publiziert am 5. Oktober 2021 von Matthias Zehnder

Ein Weihbischof ermittelt gemeinsam mit einer Physikerin in einem abgelegenen Kloster in den Bergen in Sachen Mord und stösst dabei auf ganz grundsätzliche Fragen über das Zusammengehen von Religion und Wissenschaft. Das Setting in «Die Gottesmaschine», dem neuen Roman von Reinhard Kleindl, erinnert wohl nicht ganz zufällig etwas an «Der Name der Rose». Und der Roman rund um theoretische Physik, Quantenmechanik und Gottesgefühle muss sich vor dem berühmten Vorbild nicht verstecken: Reinhard Kleindl ist ein ebenso spannender wie stimmiger Thriller gelungen mit inspirierenden Ausflügen in Physik, Religionsgeschichte und Computertheorie. Denn im Kloster in den Bergen hat Physiker und Mönch Sébastien versucht, Religion und Wissenschaft miteinander zu verbinden. Das gefällt nicht allen, weder allen Wissenschaftlern, noch allen Mönchen. Für Sébastien endet der Versuch tödlich, wie der Weihbischof herausfindet – und bald muss auch er selbst um sein Leben bangen. Spannend und intelligent erzählt.

Die Physik, könnte man sagen, erklärt die sichtbare Welt mit Formeln und macht sie auf diese Weise berechenbar. Für den Alltag funktioniert das gut. Die physikalische Theorie hat dafür das Standardmodell. Das Problem ist, dass dieses Standardmodell ein paar Fragen offen lässt. Zum Beispiel lässt es die Schwerkraft aussen vor. Diese Fragen haben Albert Einstein mit der Relativitätstheorie und Max Planck mit der Quantenphysik beantwortet. Die Modelle geben Antworten auf offene Fragen – und sie schaffen neue Probleme. Denn zwischen den Theorien klaffen Lücken. Die Verbindung dieser Theorien ist deshalb so etwas wie der heilige Gral der Physik.

Nach genau dieser Verbindung sucht Sébastien, ein junger Physiker im neuen Roman von Reinhard Kleindl. «Die Gottesmaschine» heisst das Buch. Gemeint ist damit ein Hochleistungsrechner, mit dessen Hilfe sich komplexe Fragen beantworten lassen – vielleicht sogar die Frage nach Gott. Denn der Rechner steht nicht im Keller einer Universität, sondern in einem abgeschiedenen Kloster im Mont Blanc-Gebirge und zwar ausgerechnet in der alten Kirche des Klosters. Damit er sich ganz auf die Suche nach dem heiligen Gral der Physiker konzentrieren kann, wird unser junger Physiker Mönch in diesem Kloster. 

Doch mit Pater Sébastien, wie er jetzt heisst, scheint etwas nicht in Ordnung zu sein: Er meldet sich nicht mehr bei seinem Ziehvater Alessandro Badalamenti, einem einflussreichen Industriellen in Rom. Also bittet Badalamenti seinen Freund, den römischen Weihbischof Lombardi, ins Mont Blanc-Gebirge zu reisen und  Sébastien im Kloster zu besuchen. Es beginnt eine Geschichte, die es durchaus mit «Der Name der Rose» aufnehmen kann: Einem Verwirrspiel rund um Gott und die Physik, geheime Bücher und Quanrenrechner in einem Kloster hoch oben in den französischen Alpen.

Das Setting erinnert schon etwas an Umberto Ecos berühmten Klosterroman «Der Name der Rose». Weihbischof Lombardi untersucht in einem abgelegenen Kloster aus dem 11. Jahrhundert in den Alpen das Verschwinden von Pater Sébastien. Das Physik-Genie ist nämlich nach dem Eintreffen des Bischofs im Kloster nicht mehr auffindbar. Unterstützt wird Lombardi dabei von Samira Amirpour, einer aus dem Iran stammenden Physikerin, die in Österreich arbeitet. Lombardi hat sie einmal in einer Talkshow kennengelernt.

Die beiden lernen im Kloster das Fürchten. Der Bau in den Bergen ist nämlich von der Umwelt abgeschnitten. Ein Sturm hat die Brücke ins Tal zerstört und die Kommunikation funktioniert auch nicht mehr. Möglicherweise liegt es am ehrgeizigen Projekt des alten Abts: Er wollte nämlich im Kloster zwei Welten miteinander versöhnen, zwischen denen seit Jahrhunderten ein Graben verläuft: die Welt der Religion und die Welt der Wissenschaft.

Doch das gefällt nicht allen. Manche mutmassen, dass Pater Sébastien mit seinen Theorien beweisen will, dass Gott nicht existiert. Vielleicht ist er deshalb beseitigt worden? Selbst im Vatikan kommt es deshalb zu Verwerfungen. Schliesslich hat sich der Physiker-Mönch mit Dunkler Energie beschäftigt. Da kann es sich ja wohl nur um Satan selbst handeln.

Doch Physikerin Amirpour erklärt Bischof Lombardi immer wieder geduldig die Zusammenhänge:

«Es gibt Materie im Universum, die nicht mit Licht wechselwirkt. Wir können sie nicht sehen oder anfassen, aber sie ist trotzdem da. Auch hier und jetzt, überall. Sehr dünn zwar, aber allgegenwärtig. Und im Standardmodell kommt sie nicht vor. Wir wissen nicht, worum es sich handelt, und wir haben keine Ahnung, wie wir sie zu fassen kriegen sollen.»
Lombardi überlegte. «Ich glaube, ich habe schon davon gehört. Was ist daran so dramatisch? Materie, die wir nicht sehen können, gut. Welche Bedeutung hat das für unser Leben?»
Die Physikerin überlegte einen Moment, bevor sie antwortete. «Ich verrate Ihnen jetzt etwas, Lombardi. Etwas, über das wir Wissenschaftler nicht gerne sprechen. Die Physik steckt in einer tiefen Krise. Vielleicht in der grössten seit ihrem Bestehen. Wir befinden uns in einer Sackgasse, jeder von uns weiss das.» (S. 108)

Nicht nur die Religion, auch die Physik ist in einer Krise. Im Kloster in den Bergen hat der Mönch Sébastien versucht, beiden aus der Patsche zu helfen, indem er Physik und Religion verband. Wie bei Umberto Eco gefällt das nicht allen – einer der Gläubigen auf dem Berg versteht sich als Nachfolger ds Heiligen Michael und räumt die Häretiker beiseite. 

Ein spannender Roman, der aufs trefflichste Religion und Physik, das Kloster in den Alpen und das Leben im Vatikan, Weihbischof und Physikerin zu einem Thriller verbindet, dessen einzelne Bestandteile, anders als bei Dan Brown, auch einer näheren Überprüfung stand halten.

Reinhard Kleindl: Die Gottesmaschine. Thriller. Bastei Lübbe, 416 Seiten, 17.50 Franken; ISBN 978-3-404-18417-0

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783404184170

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Basel, 5. Oktober 2021, Matthias Zehnder

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