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Der Rabbi und der Kommissar

Publiziert am 18. Januar 2022 von Matthias Zehnder

Kriminalromane, in denen ein Rabbi Licht ins Dunkel bringt, sind fast schon ein eigenes Genre. Pionier der Rabbi-Krimis war Harry Kemelman mit Rabbi David Small. In elf Romanen hat David Small in Sachen Mord ermittelt. Alfred Bodenheimer, Professor für Religionsgeschichte und Literatur des Judentums an der Universität Basel, hat das Genre aufgegriffen. Er schickt Rabbi Gabriel Klein auf die Piste. Rabbi Small und Rabbi Klein haben nicht nur den Namen gemeinsam, sondern auch die Situation: Sie kämpfen damit, die Arbeit als Rabbi, die Familie und ihre Ermittlungen unter einen Hut zu bringen. Michel Bergmann lässt jetzt auch in Frankfurt einen Rabbi in Sachen Mord ermitteln: Anders als die Rabbis Small und Klein hat Rabbi Henry Silberbaum keine Familie. Er ist jung, sieht gut aus, fährt Rennrad und liebt einen guten Espresso. Wie sich Rabbi Silberbaum in Frankfurt schlägt und warum es dabei auch zu lachen gibt, sage ich Ihnen in meinem neuen Buchtipp.

Ruth Axelrath achtzig Jahre alt, sie ist immer noch eine schöne Frau und sie ist reich. Ihr erster Mann hat ihr ein erkleckliches Vermögen hinterlassen. Ihr zweiter Mann, zehn Jahre jünger als sie selbst, hat zwar wesentlich zur Dezimierung der Millionen beigetragen, aber es ist immer noch mehr als genug da. So viel, dass Ruth Axelrath im Büro des Rabbis erklärt, dass sie der jüdischen Gemeinde von Frankfurt eine Million Euro für eine Gemeindebibliothek spenden will. Unter die Beziehung mit ihrem zweiten Mann will sie einen Schlussstrich ziehen. Sie ist überzeugt, dass er eine Schikse habe, also eine nichtjüdische Geliebte. Frau Axelrath will deshalb zu ihrer Tochter nach Israel ziehen.

Rabbi Henry Silberbaum freut sich natürlich. Umso entsetzter ist er, als Ruth Axelrath wenige Tage später tot in ihrem Haus gefunden wird. Silberbaum wird zur Leiche gerufen. Frau Axelrath hatte wohl in der Nacht einen Herzanfall, sie hat ihre Medikamente auf dem Nachttisch nicht erreicht und ist in ihrem Bett gestorben. Der Notarzt hat bereits einen natürlichen Tod festgestellt. Doch Rabbi Silberbaum will sich damit nicht zufrieden geben. Er ist überzeugt, dass Ruth Axelrath ermordet worden ist. Oder dass zumindest jemand nachgeholfen hat. 

Zumal das Vermögen der Axelrath plötzlich in einer Stiftung im Fürstentum Liechtenstein landen soll, wie bisher verwaltet von ihrer Freundin und Vermögensverwalterin Sibylle Siemer. Die Frau heisst in einschlägigen Kreisen nur «SS». Ist sie die Schikse von Max Axelrath? Und welche Rolle spielt der neue Arzt der gestorbenen Frau, der Kardiologe Dr. Ostermüller? Woher hat der das Geld für seine schicke Praxis und den roten Ferrari? Rabbi Silberbaum beginnt, in Sachen Axelrath herumzuschnüffeln.

Sehr weit kommt er dabei allerdings nicht. Als er in der Nacht zusammen mit der übrigens ausnehmend hübschen Leiterin des jüdischen Altersheims die Asche eines verstorbenen Gemeindemitglieds auf einem Grab auf dem jüdischen Friedhof ausbringen will, wird der Rabbi und samt seiner hübschen Begleitung verhaftet. Der Verdacht: Schändung des israelitischen Friedhofs. Da sind nämlich wieder Hakenkreuze aufgetaucht, die Polizei ermittelt. Als Silberbaum sich als Rabbi ausweisen will, wird er nur ausgelacht. Er wird aufs Kommissariat verfrachtet – in Handfesseln. Da lernt er Hauptkommissar Robert Berking kennen. Von der Mordkommission. Das Missverständnis klärt sich auf, als der junge Rabbi endlich seinen Ausweis zeigen kann. Doch Berking kommt ihm gerade recht. Er erzählt ihm von seinem Mordverdacht. Doch der Kommissar lacht ihn aus. Der Rabbi soll wiederkommen, wenn er Beweise habe. Also sucht Silberbaum Beweise. 

Er riskiert dabei sein Amt – Gemeindevorsteher Friedländer will ihn rauswerfen wenn er weiter ermittelt. Seine Freundin in New York schimpft ihn aus und seine Mutter findets grauenhaft, was ihr Bubele wieder anstellt und beklagt sich, dass Henry keine Zeit mehr für sie habe. Dem Kommissar erklärt der Rabbi es so:

«Meine Mutter ist eine typische jiddische Mame, wie wir es nennen. Besitzergreifend, diktatorisch, besserwissend, wehleidig, angstbesetzt, ungeduldig, sich selbst verleugnend einerseits, dies mir aber immer wieder vorhaltend andererseits. Und über allem schwebt das stets schlechte Gewissen, das sie ihrem Kind macht. Am besten erklärt das ein Witz: Ein junger Mann kommt zu seiner Mutter und ist entsetzt. ‹Mein Gott›, sagt er, ‹du hast ja dramatisch abgenommen.› ‹Ja›, sagt sie, ‹ich habe 14 Tage nichts gegessen.› ‹Warum das denn?› ‹Na ja, du hast vor 14 Tagen versprochen, mich anzurufen, und da wollte ich nicht mit vollem Mund ans Telefon!›» (S. 235)

Das Beispiel zeigt: Michel Bergmann erzählt die Geschichte mit leichter Hand auf höchst unterhaltsame Weise – und er streut auch immer wieder wunderbare, jüdische Witze ein. Gleichzeitig vermittelt er damit ganz schön viel Wissen über die jüdische Gemeinde, das Leben als Jude in Deutschland und die jüdische Lebensweise. Deshalb findet sich am Ende des Buchs auch ein Glossar, in dem alle jiddischen Ausdrücke und damit viele jüdischen Gepflogenheiten erklärt sind.

Michel Bergmann ist ein ebenso intelligenter wie unterhaltender Rabbi-Krimi gelungen. Ich bin gespannt, wie es weitergeht mit Rabbi Silberbaum. Dass es vielleicht weitergehen könnte, deutet Bergmann am Schluss des Buches an: Der Kommissar bittet den Rabbi da nämlich um Unterstützung, weil eine russisch-israelische Schwimmerin verschwunden ist. Eine Schwimmerin, die der Rabbi noch vor kurzem beim Schwimmen beobachtet hat. Wir sind gespannt.

Michel Bergmann: Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht morden. Kriminalroman. Heyne, 288 Seiten, 17,50 Franken; ISBN 978-3-453-44129-3

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783453441293

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Basel, 18. Januar 2022, Matthias Zehnder

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