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Der Commissario und die Dottoressa
Sommer, Ferien, Reisezeit. In meiner literarischen Sommerserie entführe ich Sie mit einer Reihe von spannenden Romanen und Krimis an interessante Orte auf der ganzen Welt. Diese Woche führt die Reise auf die Insel Elba. 1814 wurde Napoleon Bonaparte zur Strafe auf Elba ins Exil geschickt. Doch die Zeiten, in denen ein Aufenthalt auf Elba eine Strafe war, sind längst vorbei: Die Insel ist seit vielen Jahren eine Traumdestination für Touristen. Und für Aussteiger wie Hagen Berensen. Der hat seinen Job bei der Kripo in Deutschland an den Nagel gehängt und sich auf Elba eine Villa samt Ferrari vor der Tür gekauft. Bei ihm heuert Fiorina Luccarelli als Haushalthilfe an: Zwar hat sie Psychologie studiert und lange bei der Deutschen Bank in Frankfurt gearbeitet, aber auf Elba findet sie keinen Job. Als ihr Bruder in einen Mord verwickelt und von der lokalen Mafia bedroht wird, bittet sie ihren Arbeitgeber um Hilfe. Der ehemalige Commissario und die kühle Dottoressa stürzen sich gemeinsam in einen Kriminalfall. In meinem 166. Buchtipp sage ich Ihnen diese Woche, warum sich die literarische Reise nach Elba lohnt.
Elba ist die drittgrösste Insel Italiens und liegt im Tyrrhenischen Meer, etwa 10 Kilometer vor der Küste der Toskana. Die Insel ist bekannt für ihre wunderschönen Strände, ihre üppige Vegetation und ihre reiche Geschichte. In Portoferraio befindet sich zum Beispiel die Festung Napoleons. Die 147 Kilometer lange, oft pittoreske Küste mit ihren vielen Sandstränden und malerischen Felsenbuchten haben Elba zu einem beliebten Urlaubsziel gemacht. Darauf basiert auch die Wirtschaft der Insel: Etwa zwei Drittel der Arbeitskräfte auf Elba sind im Tourismus beschäftigt.
Neben dem Tourismus sind Landwirtschaft, Fischerei, Bergbau und Weinbau die wichtigsten Erwerbszweige der Insel. Elba ist bekannt für seine Weine, darunter Vermentino, Sangiovese und Cabernet Sauvignon. Ausserdem produzieren die Bauern Olivenöl, Obst und Gemüse. Nur eines gibt es auf der Insel nicht: Arbeitsstellen für Psychologinnen. Darunter leidet Dotoressa Fiorina Luccarelli: Nach ihrem Psychologiestudium in Deutschland und Jobs, die sie unter anderem in die Frankfurter Bankenwelt geführt haben, ist sie auf die Insel zurückgekehrt und hangelt sich jetzt da von Job zu Job.
Ihre Mutter arbeitet als Kassiererin in einem kleinen Supermercato, ihr Bruder Federico wäre gerne Fotograf, geniesst aber vor allem das Nachtleben und versucht, die Erinnerung an Napoleon zu Geld zu machen. An der Fassade ihres Hauses in der Via Carmine hat Federico ein Schild angebracht, das darauf hinweist, dass sich hier Napoleons Toilette befindet. Gegen einen kleinen Obolus können Touristen Napoleons Klo besichtigen. Im Klohäuschen hängen scheinbar zeitgenössische Stiche, die Federico für ein paar Hundert Euro an die Touristen verhökert. Das ist das eigentliche Geschäft in Napoleons Toilette.
Die Familie ist also auf den Lohn von Fiorina angewiesen. Doch die hat gerade mal wieder ihren Job verloren: Die Gemeinde hat ihr gekündigt. Mutter Rosetta will nichts davon hören, dass Fiorina auf dem Festland als Psychologin arbeitet. Sie erzählt ihr von einer Stelle, die im Supermercato ausgeschrieben ist: Ein deutscher Signore sucht eine Haushalthilfe, die für ihn kocht und putzt. Er zahlt offenbar gut, nimmt aber nur jemanden, der Deutsch spricht. Firoina wehrt sich. Sie kann nicht kochen, will nicht putzen und ausserdem ist sie eine gut ausgebildete Psychologin. Aber wenn sich eine italienische Mama etwas in den Kopf gesetzt hat, dann ist Widerstand zwecklos. Also meldet sich Fiorina bei dem Deutschen.
Der deutsche Signore, das ist Hagen Berensen. Er ist zu viel Geld gekommen und hat sich auf Elba eine Villa gekauft. Oder besser: Er hat sich eine Villa andrehen lassen. Die Aussicht ist zwar traumhaft schön, aber der Swimmingpool leckt, das Dach ist undicht, Wasser dringt ins Schlafzimmer, der Garten ist eine Zumutung und überhaupt funktioniert das Haus nicht recht. Berensen hat zwar offensichtlich viel Geld, spricht aber kein Italienisch. Mit seinen Haushalthilfen konnte er sich bisher kaum verständigen. Den Hilfen war das egal, sie haben sich hauptsächlich für seinen Ferrari interessiert und ihm schöne Augen gemacht. Entsprechend kurz waren sie in seinem Dienst. Als Fiorina bei ihm auftaucht, ist er deshalb so misstrauisch wie Fiorina. Die beiden geraten sofort aneinander. Kann das gut gehen?
Die Lage ändert sich, als Bruder Federico plötzlich in Lebensgefahr gerät. Ein Freund hat ihm an einem stürmischen Abend einen Aktenkoffer in die Hand gedrückt. Wenig später ist der Freund tot und ein Mafiaschläger fordert von Federico handgreiflich den Koffer zurück. Doch der ist verschwunden. Fiorina versucht zusammen mit ihrem mürrischen deutschen Arbeitgeber herauszufinden, wer hinter dem Angriff steckt. Hilfreich ist dabei, dass Behrensen nicht nur über viel Geld, sondern auch über ein schnelles Auto und eine gehörige Portion Schlitzohrigkeit verfügt. Er fälscht sich einen Europol-Ausweis und beginnt, in Sachen Koffer und Mafia zu ermitteln. Erst da merkt Fiorina, dass ihr Arbeitgeber bis vor kurzem als Kriminalkommissar in Deutschland gearbeitet hat.
Der Commissario und die Dottoressa bilden ein interessantes Paar. Beide sind nicht mehr jung und haben harte Köpfe. Sie streiten sich häufig, merken aber mit der Zeit, dass sie sich ganz gut ergänzen. Der ehemalige Commissario hat vom Ferrari bis zum Bargeld die nötigen Mittel, um die Privatermittlungen voranzutreiben. Die Dottoressa hat den nötigen Mut und Intelligenz, die Mittel clever zu nutzen. Daraus entsteht eine unterhaltsame Kriminalgeschichte, in deren Verlauf man als Leser einiges über Elba und das Verhältnis der Insel zum Festland erfährt. Die teils prekären Bedingungen, unter denen die einheimische Bevölkerung lebt, die grosse Bedeutung des Tourismus. Die Ignoranz der deutschen Touristen.
Geschrieben hat die Geschichte ein deutsches Autorenpaar, Hilde Artmeier und Wolfgang Burger: Die beiden treten dafür unter dem Pseudonym Matteo De Luca auf. «Autorenpaar» darf man dabei wörtlich verstehen: Die beiden arbeiten nicht nur zusammen, sie sind auch miteinander verheiratet. Mit dem Commissario und der Dottoressa sind ihnen zwei interessante Figuren gelungen, die für gute Unterhaltung sorgen. Kurz: Beste Badetuch-Lektüre.
Matteo De Luca: Der Commissario und die Dottoressa – Sturm über Elba. Piper-Verlag, 368 Seiten, 23.50 Franken; ISBN 978-3-492-06323-4
https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783492063234
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783492063234
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Basel, 8. August 2022, Matthias Zehnder
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