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Der Bruder

Publiziert am 29. April 2021 von Matthias Zehnder

Ich gebe Ihnen jede Woche einen Lesetipp: ein Buch das ebenso intelligent wie unterhaltend ist.

Diese Woche: «Der Bruder» von Christine Brand.

Hier gibt es die ausführliche Fassung dieses Buchtipps auf Youtube:

Wenn Ihnen Ihr Wochenende lieb ist, dann lassen Sie besser die Finger von diesem Buch. Die Schweizer Autorin Christine Brand packt uns mit ihrem neuen Thriller «Der Bruder» da, wo es am meisten weh tut: Ihr neuer Roman dreht sich um Kindsmissbrauch. Konkret geht es um verschwundene Kinder im Kanton Bern. 

Bereits zum dritten mal lässt Christine Brand dabei Kriminalkommissär Sandro Bandini ermitteln. Er ist Leiter der Abteilung Leib und Leben der Kantonspolizei Bern. Seine Freundin Milla Nova arbeitet beim Schweizer Fernsehen für das Magazin Wochenthemen. Während Sandro Bandini ermittelt, recherchiert Milla Nova über dieselbe Geschichte. Klar, dass das Konflikte gibt.

So war es schon in den beiden bisherigen Romanen. In «Blind» untersuchen Sandro Bandini und Milla Nova einen Mord, dessen einziger Zeuge der blinde Nathanael war. Er hatte den Mord gehört. Auch in «Die Patientin» spielt Nathanael eine wichtige Rolle: In diesem Buch geht es um verschwundene Komapatienten.

Im neusten Buch von Christine Brand steht neben Sandro Bandini und Milla Nova vor allem Rechtsmedizinerin Irena Jundt im Zentrum. Nathanael hat auch einige Auftritte, er heiratet die Mutter seines Patenkindes Silas und findet eine Freundin. Kurz: sein Leben wird richtig kompliziert. Er trägt damit also eher zur Auflockerung der Handlung bei. Und das ist bitter nötig. Denn die Geschichte, die Christine Brand uns erzählt, ist nicht nur packend, sie geht auch richtig ans Herz.

Fabio Della Fortuna ist sechs Jahre alt, ausnehmend hübsch – und verschwunden. Er hat am Morgen mit seinem Skateboard das Haus verlassen, ist aber nie im Kindergarten eingetroffen. Es ist der Alptraum aller Eltern. Sandro Bandini und sein Team kümmern sich um den Fall und drehen in Toffen, einem kleinen Dorf zwischen Bern und Thun, jeden Stein um auf der Suche nach Fabio. Auch Milla Nova trifft im Dorf ein. Statt sich wie alle anderen Journalisten mit schussbereiter Kamera vor dem Haus der della Fortunas einzurichten, setzt sie sich in die Dorfbeiz und redet am Stammtisch mit den Dorfbewohnern.

Gleichzeitig fährt Gerichtsmedizinerin Irena Jundt in ihr Heimatdorf Innertkirchen, einem Bergdorf zwischen Brienz und dem Sustenpass. Da steht ihr Elternhaus. Nach dem Tod ihres Vaters muss sie das Haus räumen. Und taucht ein in eine Vergangenheit, vor der sie einst geflohen ist.

Denn vor vielen Jahren ging es ihrer Familie wie jetzt Familie Della Fortuna: Ihr Bruder Beni verschwand eines Tages spurlos. Ihr grosser Bruder. Sein Verschwinden hat Irena bis heute nicht überwunden. Im Elternhaus findet sie das Zimmer ihres Bruders. Alles ist noch so wie damals, als Beni nicht mehr nach Hause kam. Die alte Geschichte holt Irena wieder ein.

Und zwar richtig: Sie wird bedroht. Offenbar gefällt jemandem nicht, dass sie in ihre eigene Vergangenheit eintaucht und fühlt sich bedroht. Nach einem Brandanschlag auf das Haus mitten in der Nacht wird Irena bewusst: das Verschwinden von Beni ist nicht abgeschlossen.

Der Fall des verschwundenen kleinen Fabio ist unterdessen eskaliert. Die Männer und Frauen aus dem Dorf sind überzeugt, dass ein Mann aus dem Dorf Fabio entführt hat. Der Mann ist ein Verurteilter Pädophiler. Er hat eine entsprechende Strafe abgesessen. Der Mob zieht los und will ihn in seinem Haus zu Rede stellen – Milla steckt mit ihrem Kameramann mittendrin und gerät selbst in Gefahr.

Sandro Bandini kann ihr nicht helfen. Er ist mit zwei weiteren Toten beschäftigt, die ganz in der Nähe im Wald gefunden wurden. In der Nähe steht auch ein Lieferwagen. Wurde Fabio damit entführt? Aber warum sind die beiden Männer jetzt tot?

  Realer Hintergrund des Buchs ist eine Serie von Entführungen und Morden von Kindern in den 80er Jahren. Ihre Namen hat Christine Brand im Buch aufgeführt – ihnen ist das Buch gewidmet. In der ganzen Schweiz zitterten damals Eltern um ihre Kinder. Zwar wurde mit Werner Ferrari ein Täter verhaftet und auch verurteilt, er war aber offensichtlich nur für einen Teil der Fälle verantwortlich. 

Wie gesagt: Wenn Ihnen Ihr Wochenende oder Ihre Nachtruhe lieb ist, dann lassen Sie besser die Finger von diesem Buch. Christine Brand ist ein wirklich packender Thriller über Kindesentführungen gelungen. Dabei gleitet das Buch nie ab ins Voyeuristische und wird nie zum Schocker. Weglegen kann man es trotzdem nicht.

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783764507459

Weitere Buchtipps gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/video-buchtipp/

Basel, 29. April 2021, Matthias Zehnder

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PPS: Christine Brand lebt derzeit mehrheitlich auf Sansibar. Im Herbst habe ich sie gefragt, wie sie die Pandemie erlebt und wie es sich auf Sansibar schreibt. Hier gehts zum Interview: