Die Boulevard-Zeitung «Blick» macht jetzt auch Boulevard-Politik

Publiziert am 19. April 2017 von Matthias Zehnder

Die Boulevard-Zeitung «Blick» hat einen Integrationsvertrag lanciert, den Ausländer in der Schweiz unterzeichnen sollen. Die Forderung von BLICK: Jeder Flüchtling soll diesen Vertrag unterschreiben. Als Bekenntnis zu den Werten dieses Landes, schreibt das Blatt. Grund für die Aktion: Behörden müssten sich mit Bewohnern herumschlagen, die oft schon seit Jahren in der Schweiz seien, aber keine Landessprache sprechen, ausschliesslich in ihrem Kulturkreis verkehren und keine Ahnung hätten von den hiesigen Regeln, Sitten und Gebräuchen. Die meisten Politiker verschliessen davor die Augen. Jeder Schweizer kennt das Problem, fast jeder nennt es als Problem – aber die Volksvertreter wollen es nicht sehen. Deshalb nehme der «Blick» das Thema jetzt an die Hand.

Sehen wir einmal davon ab, dass der «Blick» das Problem in Stammtisch-Manier hochkocht. Schauen wir uns die «Blick»-Vereinbarung etwas genauer an. Sie besteht aus fünf Rechten, fünf Pflichten und fünf Normen. Die Rechte handeln von der Gleichheit vor dem Recht, dass das Recht über der Religion stehe, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, der persönlichen Freiheit und der Redefreiheit. Interessant daran: Während die persönliche Freiheit, die Gleichberechtigung, die persönliche Freiheit und die Redefreiheit alles Freiheitsrechte sind, betont der zweite Punkt, dass das Recht über der Religion stehe. Die Blick-Integrationsvereinbarung verkehrt damit ein in der Bundesverfassung verankertes Freiheitsrecht, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, um in eine Rechtsdominanz.

Die fünf Pflichten könnten aus dem SVP-Parteiprogramm stammen. Sie handeln von der Pflicht, eine Landessprache zu beherrschen, der Schulpflicht, einer Alltagspflicht, der Pflicht zur Verteidigung der Freiheit und der Pflicht, für sich selbst zu sorgen. Die Pflichten sind so rigid formuliert, dass auch eingeborenste Schweizer sie oft nicht erfüllen. So heisst es etwa: Jeder beherrscht oder lernt eine Landessprache. Nur wer Deutsch, Französisch, Italienisch oder Rätoromanisch in Wort und Schrift beherrscht, ist in der Lage, am täglichen Leben teilzunehmen. Das ist so naiv, dass es schon fast rührend ist. Der Alltag in der Schweiz ist eben gerade nicht Deutsch, sondern Schweizerdeutsch. Deutsch in Wort und Schrift beherrschen auch die meisten Schweizer nicht. Die grosse Integrationsbarriere in der Schweiz ist nicht die Schriftsprache, sondern der Dialekt.

Die vierte «Blick»-Pflicht lautet: Jeder verteidigt die Freiheit. Die Freiheit des Individuums ist ein ebenso hohes Gut wie die Freiheit des Landes – beide sind nur dann gesichert, wenn sich jeder Einzelne für sie einsetzt. Entweder ist das schwammiger Stammtischblödsinn, oder die Verteidigungsdoktrin der 60er Jahre. Was soll das heissen, dass sich jeder Einzelne für die Freiheit des Landes einsetzen muss? Kein Aufenthaltsrecht für GSoA-Mitglieder?

Die fünf Normen machen die Vereinbarung vollends zum Stammtisch-Papier. Schauen wir sie uns an:

  1. Man zeigt sein Gesicht.

Das zielt gegen die Burka. Aber was soll es heissen? Kein Kopftuch? Keine Kapuzen? Keine Integralhelme auf dem Motorrad?

  1. Man reicht einander bei der Begrüssung und zum Abschied die Hand.

Eine lebensferne Forderung. Schon mal was von Küsschen zur Begrüssung gehört? Oder einem winkenden Hallo? Einem freundlichen Namaste während der Grippewelle?

  1. Man behandelt Amtspersonen, ob Frau oder Mann, korrekt und mit Respekt.

Es wäre ja schön, wenn sich die Schweizer daran halten würden.

  1. Man hält Ordnung, Ehrlichkeit und Anstand hoch.

Deshalb ist die gesamte Führungsriege der Credit Suisse künftig vom Aufenthaltsrecht in der Schweiz ausgeschlossen und Messies werden von Amtes wegen ausgewiesen.

  1. Man trägt Konflikte aus anderen Ländern und Kulturen nicht in die Schweiz.

Also kein Wort über Erdogan, Trump oder Marine Le Pen. Nicht nur die Schweiz ist neutral, sie wird auch von geistigen Eunuchen bevölkert.

Und dann die Sprache: Man zeigt… Man behandelt… Man trägt – wie wäre es mit einer persönlichen Ansprache? Zeigen Sie bitte Ihr Gesicht, wenn Sie mit jemandem sprechen. Behandeln Sie Amtspersonen anständig. Nein, der «Blick» schriebt man. Es geht ihm nicht um den Dialog mit Migranten, um die Kommunikation mit Zugewanderten. Der «Blick» knallt dem Leser mit der unpersönlichen «man»-Formulierung die Normen vors Gesicht, als wären sie in Stein gemeisselt. Die «man»-Formulierung enthebt die Regeln jeder Diskussion: Das macht «man», das macht «man» nicht. Da wird nicht drüber nachgedacht und schon gar nicht diskutiert.

Was die Boulevardzeitung da macht, das ist Boulevardpolitik: Nicht an der Sache orientiert, sondern am Applaus von den Rängen. Nicht für die Menschen, sondern gegen die Ausländer. Dabei wäre es gar nicht nötig, sich mit Integrationsformeln aufzublasen. Es gibt längst ein Grundsatzpapier, auf dem die Schweiz beruht und das jede Frau und jeder Mann, die/der in der Schweiz leben will, akzeptieren muss: die Bundesverfassung.

Quellen:

Artikel dazu im «Blick»:
http://www.blick.ch/news/politik/kommentar-zum-integrationsvertrag-die-politik-schaut-weg-blick-schaut-hin-id6547171.html

Integrationsvertrag im «Blick»:
https://f3.blick.ch/media/6547223–2349/Integrations-Vertrag.pdf?_ga=1.6692594.1130122936.1440603682

5 Kommentare zu "Die Boulevard-Zeitung «Blick» macht jetzt auch Boulevard-Politik"

  1. Der „Blick“ war früher für mich unterste Schublade. Weil er „Wittwenschüttler“ beschäftigte, ganz primitive Famlienstorys veröffentlichte und einzelne (meist schon geschundene) Typen verletzend an der Öffentlichkeit anprangerte…
    Das war früher.
    Dann kam die Zeit der letzten 10 Jahre. Die Familie „Ringier“, zu der die Blick-Gruppe gehört, gibt sich pseudo-sozial. Ein bisschen Verlautbarungsjournalismus, ein bisschen Anti-Trump-Mainstream, ein bisschen Doris-Leuthard-Lobhudelei (weil man von ihr indirekt abhängig ist), ein bisschen SVP-Bashing, dafür ein Money-Vertrag mit Volksrocker „Gölä“, ein bisschen dies und das. Immer dort, wo die Sonne scheint, immer Mehrheits- und Verkaufsgerecht. Widerspruch und Ungereimtes, die Zeitung ohne Rückgrat strotzte nur so davon….
    Und jetzt dies mit „Flüchtlingsvertrag“… Was soll das? Neuer Stil? Aufwiegeln als Gewinnoptimierung? Verzweifelter letzter Akt zur Auflagesteigerung?
    Man weiss es nicht.
    Ich hoffe, es ist ein letztes Aufbäumen vor dem Tod. Der Untergang dieser Schmierenschreibe würde keiner vermissen. Die Auflagezahlen gehen nur in eine Richtung: Nach unten!
    Familie Ringier, sieht ein, dass euer Produkt Unnützer den je ist und wird. Aufhören mit diesem Geschreibsel. Newsroom dichtmachen. Druckmaschine stoppen. Titel einstellen.
    Lieber ein Ende mit Schrecken (für die paar „Journis“ oder was auch immer dort auf die Tasten hämmert) als ein Schrecken ohne Ende (für uns alle als Leserschaft.)
    Alles hat seine Zeit. Die Zeit des „Blicks“ ist definitiv abgelaufen.

  2. Wie beispielsweise Blocher, Erdogan, Trump oder Putin scheint mir auch der Blick, so wie er sich jetzt mit dem Integrationsvertrag in Szene setzt, nicht die Ursache. Sondern die vielen Menschen, die ihn kaufen, lesen, ernst nehmen und sich daran für ihr Leben orientieren. Erst wenn der Blick in dieser Art nicht mehr gebraucht wird, gibt es ihn nicht mehr. Und Spass beiseite: Was beispielsweise Politiker*innen im Zusammenhang mit dem dem Handschlagzwang bieten, ist nichts anderes als Boulevard. Aber auch hier gilt: Solange sie damit gewählt werden, tun sie es so und nicht anders.

    1. Deshalb sage ich auch: Boulevard-Medien führen zu Boulevard-Politik (sprich: Populismus). Das grosse Problem ist dabei, dass längst nicht mehr nur der «Blick» nach den Mechanismen des Boulevards funktioniert, sondern alle Medien, die über das Internet (Klick-) Reichweite suchen. ich habe dazu jetzt gerade ein buch geschrieben: Die Aufmerksamkeitsfalle. Wie Medien zu Populismus führen. Es erscheint im August bei Zytglogge.

      1. Das scheint mir die (populäre) Frage nach dem Ei und dem Huhn. Dass Menschen von sich aus souveräner werden, halte ich aber für wahrscheinlicher, als dass Medien sich der (verantwortungs)freien gierig geilen Marktwirtschaft entziehen.

  3. … Bin ja gespannt auf Ihr Buch. Ich hoffe auf keine (einseitige) Verteufelung von Boulevard und Populismus. Boulevard und auch Populismus soll man differenziert betrachten. Es gibt daran, wie überall, gute und schlechte Seiten. Denn a priori ist Boulevard nicht schlecht, „ich liebe Boulevard, er muss nur gut gemacht sein“ sagte Matthias Ackeret im Top Talk auf Tele Top. „Bei Blick ist er aber erst noch schlecht gemacht“ sagte Rene Hildbrand im Doppelpunkt auf Radio 1.
    Diesen zwei (Fach-)Aussagen muss nichts hinzugefügt werden. Ausser, dass solche Konstellationen zu solch hirnverbrannten Druckerzeugnissen führen.

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