Zoe Geissler: «Mir gefällt, wie lebhaft Radio und Fernsehen in Frankreich sind.»

Publiziert am 2. Juli 2025 von Matthias Zehnder

Das 340. Fragebogeninterview, heute mit Zoe Geissler, Frankreich-Korrespondentin für Radio SRF. Sie findet die grosse Auswahl an Medien in Frankreich toll: «So viele verschiedene Medienformate, Zeitungstitel und Magazine, von ganz links bis ganz rechts.» Manchmal sei man «fast schon überfordert von der schieren Menge an Artikeln». Sie sagt, die Diskussionen im Radio und im Fernsehen würden «hitziger geführt, es wird mal gelacht oder sich ins Wort gefallen». Kritisch sieht sie, dass «die privaten Medien in den Händen einer kleinen Gruppe von Investoren liegen, die damit auch eigene Interessen verfolgen dürften». Sie selbst beginnt ihren Tag mit «Heute Morgen» auf SRF 4 News und mit «FranceInfo», dem französischen Pendant. Sie findet Qualitätsjournalismus gerade heute wichtig: «Journalistinnen und Journalisten müssen Fakten checken und falsche Informationen richtigstellen.» Faktenchecks seien inzwischen ein wichtiges Instrument dafür und fragt: «Was ist aber, wenn die Faktenchecks nicht mehr gelesen oder geglaubt werden?» Sie wundert sich, dass wir «im Deutschen kein treffendes Wort für ‹Fake News›» hätten: «‹Falschinformationen› klingt fast harmlos.» 

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Nachdem der Wecker geklingelt hat, scrolle ich kurz durch die Apps von «FranceInfo» und «Le Monde». Zum Kaffee schalte ich das Radio an. Zuerst «Heute Morgen» auf SRF 4 News, danach wechsle ich zu «FranceInfo». Beim Zähneputzen höre ich zur Auflockerung das ABC SRF3-Spiel nach. Danach bin ich parat für den Tag.

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

Ich habe Facebook schon lange nicht mehr benutzt – läuft da überhaupt noch etwas?

Instagram hingegen nutze ich täglich, sowohl privat als auch beruflich. Dort folge ich Politiker:innen, Behörden und französischen Medienhäusern und nutze die Plattform als wertvolle Informationsquelle. Inzwischen poste ich auch regelmässig Bilder von meinen Reportagereisen.

Twitter – ja stimmt, es heisst nun X – habe ich früher viel benutzt, heute sehe ich den Sinn darin nicht mehr. Zu selten sind die Posts noch interessant, zu oft sind sie schlicht respektlos. Dafür hat LinkedIn den Platz von Twitter eingenommen. Dort finden inzwischen interessante Diskussionen statt.
TikTok? Ich habe es ausprobiert und wieder gelöscht. Hat für mich nicht funktioniert.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Mir fallen zwei Dinge auf. Früher habe ich Radio oder Podcasts gehört, um mich zu informieren oder mal abzuschalten. Heute höre ich als Radiojournalistin viel genauer hin. Ist die Anmoderation klar und verständlich? Erhalte ich von einem Beitrag auch das, was mir versprochen wurde? Sind die O-Töne sinnvoll eingesetzt? Welche Fragen bleiben offen? Und ich bin ständig auf News-Apps unterwegs. Einerseits, um informiert zu bleiben, andererseits, um Themenideen zu entwickeln.

Wenn Du an die Medien in Deinem Berichtsgebiet denkst – was ist anders als in der Schweiz?

Ich finde die grosse Auswahl hier toll: So viele verschiedene Medienformate, Zeitungstitel und Magazine, von ganz links bis ganz rechts. Manchmal ist man fast schon überfordert von der schieren Menge an Artikeln. Mir gefällt auch, wie lebhaft Radio und Fernsehen hier sind. Diskussionen werden hitziger geführt, es wird mal gelacht oder sich ins Wort gefallen.

Kritisch sehe ich jedoch, dass die privaten Medien in den Händen einer kleinen Gruppe von Investoren liegen, die damit auch eigene Interessen verfolgen dürften.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Natürlich. Strassenschilder verschwinden schliesslich nicht so schnell und auch in der digitalen Welt gibt es das geschriebene Wort.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Für mich sind es Bücher. Am liebsten Romane, die mich staunen, nachdenken, weinen und lachen lassen. Das beste Zeichen ist, wenn ich traurig bin, dass das Buch zu Ende ist. Das war bei mir gerade bei «Americanah» von Chimamanda Ngozi Adichie der Fall.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Früher schon, heute fehlt mir leider die Zeit dazu. Wenn mich ein Buch bis Kapitel drei nicht überzeugt, lese ich einfach das Ende. Ich bin eben trotzdem zu neugierig und will wissen, wie es ausgeht.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Hat nicht jedes Thema – so trocken es auf den ersten Blick wirken mag – einen spannenden Aspekt? Man muss ihn nur finden. Dabei helfen mir persönliche Gespräche und gründliche Recherchen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Manchmal wäre diese Glaskugel Gold wert.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Für mich sind «Fake News» in erster Linie eine Gefahr für Medien. Sie verbreiten sich enorm schnell und unter ihnen leidet auch das Vertrauen in die Medien.

«Fake News» zeigen jedoch auch, wie wichtig Qualitätsjournalismus heute ist. Journalistinnen und Journalisten müssen Fakten checken und falsche Informationen richtigstellen. Faktenchecks sind inzwischen ein wichtiges Instrument dafür. Was ist aber, wenn die Faktenchecks nicht mehr gelesen oder geglaubt werden (siehe Frage 13)?

Warum haben wir im Deutschen eigentlich kein treffendes Wort für «Fake News»? «Falschinformationen» klingt fast harmlos.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Live ist für mich als Radiojournalistin grossartig und gehört zum Glück zu meiner Arbeit. Ich liebe das Adrenalin in solchen Momenten. Ich bin wahrscheinlich nie so konzentriert, wie während einer Live-Schaltung. Privat höre ich morgens noch live Radio, doch auch dann meist zeitversetzt, ab der 7-Uhr-Ausgabe des «HeuteMorgen».

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich bin ohne Fernsehen aufgewachsen und habe bereits gegen Ende meiner Schulzeit angefangen, Podcasts zu hören. Sie gehören heute fest zu meinem Alltag. Ich geniesse es zum Beispiel in der Metro, Zeit für ein längeres Format zu haben.

Lieblingspodcast? Das ist schwer zu sagen, es hängt von meiner Stimmung ab. Unter der Woche sind es hauptsächlich Nachrichten- und Politpodcasts wie «Echo der Zeit», «L’Heure du Monde», «Global News Podcast», oder «das Politikteil». Am Wochenende liebe ich Geschichtspodcasts wie «Was bisher geschah», «Wie war das nochmal?», «Face à l’histoire»… Wenn ich nicht einschlafen kann, hilft mir der Kunstpodcast «Augen zu».

Die Liste wäre noch viel länger, aber wie heisst es doch so schön, wenn man einen Beitrag kürzen muss: «Kill your darlings».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Junge Menschen sind die Zukunft unseres Landes. Wir brauchen eine informierte und aufgeklärte Gesellschaft, damit die Demokratie funktionieren kann. Dass so viele junge Menschen keine Nachrichten mehr konsumieren, ist also ein Problem, das wir alle ernst nehmen müssen. Für die Medien bedeutet es, dass sie sich fragen müssen, warum das so ist, wie sie das junge Publikum erreichen können, und erklären, weshalb Medien für die Demokratie und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtig sind.

Und ja, auch wirtschaftlich brauchen die Medien junge Menschen – als Leser, Hörerinnen, Zuschauer und Abonnentinnen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Fragen wir doch ChatGPT: «Journalismus lässt sich in Teilen automatisieren – vor allem bei Routineaufgaben wie Sportberichten, Wetter oder Börsendaten. Für komplexe Recherchen, Einordnungen und ethische Entscheidungen bleibt jedoch der Mensch unverzichtbar. Automatisierung ergänzt den Journalismus, ersetzt ihn aber nicht.»

Gar nicht so schlecht die Antwort, oder? Ich würde noch ergänzen, dass Journalistinnen und Journalisten für kreative Arbeit, subjektives Empfinden, für die Eindrücke vor Ort nicht ersetzbar sind. Auch zur Überprüfung der Aussagen von Robotern sind sie notwendig. Und schliesslich -denn KI-Anwendungen werden nicht mehr verschwinden – – brauchen wir eine ständige Debatte über die ethischen Standards im Umgang mit KI.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder das eine noch das andere. Die Digitalisierung ist Gefahr, Herausforderung, Wandel und Chance zugleich.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ich denke, es wäre gut, wenn wir erkennen, dass ein vielfältiges (auch der Lokaljournalismus gehört dazu), mehrsprachiges und qualitativ hochwertiges Medienangebot kostet und zentral ist für eine funktionierende Demokratie.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja. Wenn ich mir etwas merken möchte, für Listen und für undefinierbares Kritzeln während Telefongesprächen.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Da muss man etwas differenzieren. In der Welt gibt es selten nur Schwarz oder Weiss, alles hat Schattierungen. Trump liefert den Medien mit seinem Verhalten, seinen Provokationen und seiner Informationsflut permanent Stoff für Ticker und Push-Nachrichten, die geklickt werden. Ist das wirklich gut? Naja …

Er zeigt aber auch auf, wie wichtig Medien heute sind. Sie müssen Trumps (oft falsche) Aussagen für die Gesellschaft einordnen, analysieren, hinterfragen und das Wichtige vom Unwichtigen trennen. Das ist eine grosse Herausforderung und gelingt sicher nicht immer.

Was für mich klar ist: Trump greift unabhängige Medien an und diskreditiert sie systematisch. Das ist gefährlich.

Wem glaubst Du?

Ich glaube denjenigen, die nicht vereinfachen und verallgemeinern, sondern die Welt differenziert betrachten, sich selbst auch mal hinterfragen und ihre Meinung ändern können.
Und ich glaube den kritischen Feedbacks meiner Mutter zu meinen Beiträgen.

Dein letztes Wort?

Das habe ich doch immer 😊


Zoe Geissler
Zoe Geissler hat im Bachelor an der Universität St. Gallen (HSG) Internationale Beziehungen studiert und einen Masterabschluss der Universität Zürich in Politikwissenschaften mit Nebenfach in Gender Studies. Nach dem Studium ist sie als Praktikantin bei Radio SRF News eingestiegen. Da hat sie als Redakteurin und Produzentin gearbeitet, bis sie im Sommer 2024 in die Auslandredaktion wechselte. Im Rahmen der Ausland-Stages der Journalistenschule MAZ war sie 2024 zwei Monate in Ghana. Seit April ist Zoe Geissler Frankreich-Korrespondentin für Radio SRF.


Basel, 02.07.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: zvg

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2 Kommentare zu "Zoe Geissler: «Mir gefällt, wie lebhaft Radio und Fernsehen in Frankreich sind.»"

  1. Unterwegs in anderen Welten für eine andere Welt, begegnen mir junge (und ältere) Menschen, die sich ausserhalb von Schulen und Universitäten bilden und sich nicht mit gängig aufbereiteten News informieren. Ich erlebe sie nicht als „depriviert“ (behaftet mit einem Mangel für ihr Wohlbefinden und/oder für ihre Entwicklung).

    1. Antwort:
      Wieder ein sehr guter Gedanke wurde hier von U. Keller eingebracht. „Junge und ältere Menschen, die sich ausserhalb von Schule und Uni bilden und nicht mit „gängig“ aufbereiteten News informieren (wollen) sind eben vielleicht nicht News-Depriviert….“ Ein Gendanke, der mich nicht loslässt. In der Corona-Zeit die Huldigungen auf Ursula Von der Leyen, ihre „kluge“ Politik, die weisen Entscheide…. – tausendfach gedruckt in Massen und den dazugehörigen Medien. Alle Gegenreden waren Schwurbel. Und jetzt: „Die EU-Kommission von Ursula Von der Leyen muss sich im EU-Parlament einem Misstrauensvotum stellen“. „Es geht um Vorwürfe zur Corona-Politik und ihrem intransparentem Pharma-Deal (Bis heute werden Informationen zu Textnachrichten verweigert, die von der Leyen und der Chef des US-Pharma-Konzerns Pfizer in der Corona-Krise ausgetauscht haben)“.
      Alternative Blätter (nie gefördert, aus Eigeninitiative, aus Idealismus, aus Mut, aus Zivilcourage, aus einem inneren Drang) lösen wahrlich keinen Mangel für Wohlbefinden und/oder für die Entwicklung aus… im Gegenteil – tun gut und wohl. Und der Einheitsbrei wird einerlei….

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