Viviane Manz: «Ich glaube unbedingt an das Lesen»
Das 184. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Viviane Manz, USA-Korrespondentin von Fernsehen SRF. Sie sagt, wenn sie aus den USA in die Schweiz schaue, dann sei sie «dankbar, dass die Medien in der Schweiz nicht so polarisiert sind wie in den USA.» Wer in den USA CNN und FoxNews schaue, lebe in «komplett verschiedenen Welten, in denen die Moderatorinnen und Moderatoren ihr Publikum auf ihre politische Linie einschwören». Fake News seien der Grund, weswegen sie nachts manchmal wach liege: «Wie soll eine Demokratie funktionieren, wenn wir wie im Mittelalter irgendwelche Theorien glauben?» Viviane Manz sagt deshalb: «Wenn es etwas gibt, für das es sich als Journalistin einzustehen lohnt, dann ist es die Demokratie.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
«New York Times», «Wall Street Journal», «Washington Post», Twitter.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?
Auf Instagram und Facebook publiziere ich regelmässig zu meiner Arbeit und dem Leben in den USA, auch immer wieder mit einem Blick hinter die Kamera. Twitter nutze ich als Informationsquelle regelmässig. Leider bin ich auf Twitter selber beschränkt aktiv. Jedes Medium braucht Zeit, um es vernünftig zu bedienen. Ich nutze Social Media ganz überwiegend beruflich.
Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?
Ich bin 2021 in die USA gekommen. Zeitweise sagten viele Interviewpartner ab oder wollten nur Interviews via Zoom geben. Das hat die Arbeit sehr eingeschränkt. Oft habe ich mit meinen Editoren, die mit mir die Beiträge schneiden, via Zoom gearbeitet. Der Vorteil ist, dass ich Zoom nun auch bei Bedarf sonst nutze, flexibler geworden bin.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Ich glaube, die Medien sind besser geworden. Digitale Mittel, Internet, beschleunigen und erweitern die Recherche und Produktion von Beiträgen. Umgekehrt schmälert der zunehmende finanzielle Druck wiederum aufwändige Recherchen. Wenn ich aus den USA in die Schweiz schaue, dann bin ich dankbar, dass die Medien in der Schweiz nicht so polarisiert sind wie in den USA. Wer hier CNN und FoxNews schaut, lebt in komplett verschiedenen Welten, in denen die Moderatorinnen und Moderatoren ihr Publikum auf ihre politische Linie einschwören.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Davon bin ich überzeugt. Wenn auch immer weniger auf Papier.
Was soll man heute unbedingt lesen?
So viel wie möglich – ich glaube unbedingt an das Lesen. US-Präsident Abraham Lincoln kam aus armen Verhältnissen, aber er hat alles auf Papier verschlungen. Persönlich habe ich in meiner Jugend auch viel Schund gelesen. Das finde ich nicht so schlimm – ich habe später auch sehr viel «hochwertige» Literatur gelesen, die mir die Welt verstehen hilft. Das Einzige, was man nicht lesen sollte: irgendwelche unbelegten Verschwörungstheorien aus dubiosen Quellen. Für mich persönlich: «Team of Rivals», eine Abraham-Lincoln-Biografie. «Ein Mann gegen die Welt», eine Richard-Nixon-Biografie.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Kann ich prima weglegen. Da ist die Zeit zu kostbar.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
In persönlichen Begegnungen. Wenn ich einen Beitrag machen muss, den ich mir nicht ausgesucht habe und bei dem mich das Thema zunächst nicht bewegt.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Gute Frage. Ich lese alles auf meinem Smartphone, immer und überall. In der Schweiz hatte ich die NZZ gedruckt abonniert, für meine Kinder. Damit sie herumliegt und vielleicht gelesen wird. Ein Print-Abo ist nun auch in den USA noch auf meiner to-do-Liste. Ich glaube aber nicht, dass in 20 Jahren noch Tageszeitungen gedruckt werden.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Fake News sind der Grund, weswegen ich nachts manchmal wach liege. Wie soll eine Demokratie funktionieren, wenn wir wie im Mittelalter irgendwelche Theorien glauben? In den USA glaubt etwa ein Drittel der Menschen, dass es bei der letzten Wahl Betrug gab, oder mindestens «Probleme». Ohne dass es Belege dafür gibt. Ich sehe bei Fake News bei bestem Willen keine Chance, sondern nur Gefahren.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Live TV schaue ich fast nur bei Breaking news. Sonst fast immer zeitversetzt. Und eigentlich immer auf dem Smartphone. Live Radio höre ich manchmal morgens.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Ja, manchmal mehr und manchmal weniger. Einen Liebling habe ich nicht.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?
Dass man mit 16 viele andere Dinge im Kopf hat, finde ich nicht so schlimm. Wichtig ist, dass Jugendliche wissen, wo sie zu verlässlichen Informationen kommen, mit Medien in Kontakt kommen, und hoffentlich später im Leben Medien nutzen. Wir haben deshalb vor einigen Jahren mit Franz Fischlin, Michael Marti von Tamedia und anderen Medien die Initiative YouNews gegründet, um Jugendlichen Einblick zu geben in die Medienwelt. Dass sich Menschen informieren, ist für mich absolut essentiell in einer Demokratie. Siehe oben. Medien werden heute mehr angefeindet, sind finanziell unter Druck – und doch ist es für mich nach wie vor eine tiefe Überzeugung, dass Journalismus wichtig ist für die Gesellschaft.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Ganz ehrlich habe ich mich nicht vertieft damit beschäftigt. Ich denke, für simple News Meldungen können Roboter helfen. Was ich in den USA mache, Menschen in verschiedenen Regionen treffen, sie überzeugen, dass wir sie filmen dürfen, ein Bild vor Ort vermitteln, spontan neue Geschichten finden, das kann kein Roboter. Und eine politische Analyse traue ich einer Software auch nicht zu.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Befreiung. Aber die Finanzierung ist ein Problem.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Ich glaube, ja. Im Moment sehe ich nicht, wie in einem so kleinen Land Qualitätsjournalismus und Vielfalt sich genügend finanzieren können. Vielleicht ändert sich das ja wieder. Wenn jemand eine andere gute Idee hat, umso besser.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Für Notizen bei Live-Schalten oder für Interviews, für to-do-Listen. Bei Dankesbriefen oder Postkarten. Allerdings immer seltener…
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
In den USA werden Medien seit Donald Trump regelmässig angefeindet. Das ständige Beschimpfen von Medien als «Fake News» hat das journalistische Arbeiten schwieriger gemacht und die Glaubwürdigkeit von Medien massiv beschädigt. Wenn etwas tausend Mal wiederholt wird, bleibt es hängen. Als Schweizer Journalistin habe ich da noch einen Vorteil, «I am a Journalist from Switzerland» bringt immer noch ein Lächeln hervor, auch bei Trump-Anhängern.
Trump war eine riesige Herausforderung, mit der die Medien überfordert waren. Wie umgehen mit jemandem, der so unverfroren lügt? Wenn ich eine Lüge als Journalistin kritisiere, werde ich rasch einfach als Trump-Gegnerin wahrgenommen. Es war und ist ein schmaler Grat: Wo braucht es eine klare Haltung, und wo hatte der Ex-Präsident auch recht? Trump hat zum Beispiel mit gutem Argument kritisiert, dass die Europäer militärisch Trittbrett fahren bei den USA. Aber er hat versucht, eine demokratische Wahl umzustürzen, womit er nicht mehr einfach ein Politiker ist, sondern ein Autokrat. Wenn es etwas gibt, für das es sich als Journalistin einzustehen lohnt, dann ist es die Demokratie.
Wem glaubst Du?
Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass jeder gute Gründe hat für seine Handlungen oder Aussagen. Das Prinzip, beide Seiten anzuhören, bewährt sich. Zahlen, Fakten, die Geschichte, was bisher geschah zu überprüfen. Und danach zu entscheiden, wem ich glaube.
Dein letztes Wort?
Medien zu nutzen, Journalismus zu betreiben, ist unendliches Lernen. Du erfährst immer Neues, Faszinierendes, Wichtiges. Es interessiert mich brennend und ist ein riesiges Privileg – als Macherin und als Leserin.
Viviane Manz
Viviane Manz hat in Zürich, Lausanne und Berlin Recht studiert und eine Doktorarbeit geschrieben. Sie ist über ein Volontariat bei der «NZZ», eine Stelle bei der «Basler Zeitung» und ein Stage bei SRF Fernsehjournalistin geworden. Bei SRF hat sie für «Puls», die «Tagesschau», «10vor10», die «Rundschau», «SF Spezial» und den «Kassensturz» gearbeitet. Sie war als Produzentin tagesverantwortlich für die «Tagesschau» und später stellvertretende Redaktionsleiterin der Auslandredaktion. Seit April 2021 ist Viviane Manz USA-Korrespondentin in New York und reist quer durch das Land für Reportagen und Live-Schalten.
https://www.srf.ch/news
Basel, 6. Juli 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Bild: Rob Langhammer
Seit Ende 2018 sind über 180 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier:
https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
Wenn Sie kein Fragebogeninterview verpassen möchten, abonnieren Sie einfach meinen Newsletter. Das kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen «Medienmenschen» sowie den aktuellen Wochenkommentar, einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
2 Kommentare zu "Viviane Manz: «Ich glaube unbedingt an das Lesen»"
Da müsste aber zuerst jemand vor der eigenen Haustüre den Besen schwingen, wenn man da Aussagen wie diese liest: «Wenn ich aus den USA in die Schweiz schaue, dann bin ich dankbar, dass die Medien in der Schweiz nicht so polarisiert sind wie in den USA. Wer hier CNN und FoxNews schaut, lebt in komplett verschiedenen Welten, in denen die Moderatorinnen und Moderatoren ihr Publikum auf ihre politische Linie einschwören.»
Zuerst vor der eigenen Haustüre kehren ist angesagt, wenn man wie Viviane Manz beim SRF (Schweizer Radio und Fernsehen) arbeitet.
Nicht nur ich, z.B. auch Bankunternehmer und Nationalrat Thomas Matter (SVP) stellt fest, dass sich in den letzten Jahren (gerade in Sachen Ausgeglichenheit, Ideologie, Linkslastigkeit) bei der SRG vieles verschlechtert hat, wie er im Interview der Weltwoche Nr. 28 des Jahres 2022 verlauten liess: «Es kann nicht sein, dass ich zwei Minuten «10 vor 10» einschalte und sofort bemerke, wie der Moderator politisch tickt». Und weiter: «Früher war es eindeutig sachlicher und neutraler. Denken sie an Persönlichkeiten wie Heiri Müller, Peter Achten oder Paul Spahn. Diese Moderatoren liessen nicht durchscheinen, wie sie politisch dachten. Hier gilt es zu handeln bei der SRG»
Die unumstrittene Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften belegt dass «fast drei Viertel aller SRG-Journalisten links stehen». Dies war im Jahre 2017, heute dürfte es noch einseitiger ausfallen.
Unvergessen auch die SRG-Wahlnacht-Sondersendung zu der Schlacht Hillary Clinton vs. Donald Trump. Gutgelaunt ging das SRF-Team zur Sache, je später die Nacht, je länger die Gesichter, je bissiger die Kommentare, je patziger die Analysen und wie gelähmter das Sprechen: Trump siegte, demokratisch gewählt und abgesegnet – und das durfte in Leutschenbach einfach nicht sein.
Oder als Grossbritannien (demokratische Volksentscheid) dem Brexit zustimmte, tönte es aus dem Radio – als das Europawetter verlesen wurde: «London Regen 10 Grad – die haben auch nichts anderes verdient».
ZUERST IM SCHLAGSEITIGEN SRG-KOLOSS ZUM RECHTEN SCHAUEN, bevor man den Mund über die Vereinigten Staaten von Amerika aufreisst. Aber «wessen Brot ich ess, dessen Lied ich pfeiff» gilt überall.
Vielleicht erledigt sich jedoch diese leidige Angelegenheit von selbst. Heute (inkl. ganze Familie) Initiative «200 Fr sind genug Medien(zwangs)gebühren» unterschrieben. Kürzungen können wieder zur Vernunft und Realität und anständigen Meldungen führen.
Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Gibt es überhaupt sogenannt links und rechts oder gar so etwas wie Wahrheit noch? Selber bin ich alltäglich extrem und ganz konkret damit konfrontiert, dass sowohl Medien als auch Parteien nur noch wissen wollen, was sie wissen wollen. Soll ich da nur noch lachen und sonst nichts mehr machen … ausser warten, bis das alles tut zusammenkrachen?