Valerie Zaslawski: «Ich kann mir eine Welt ohne geschriebene Worte nicht vorstellen»
Das 230. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Valerie Zaslawski, Co-Chefredaktorin von «Bajour». Sie ist überzeugt, dass es Tageszeitungen noch lange gibt, auch gedruckte. «Ich sehe nicht, dass das Bedürfnis nach Information geringer wird.» Allerdings müssten «neue Formen der Vermittlung gefunden werden». Instagram und Co. seien vielleicht wichtig, «um die Jungen anzusprechen». Das hat aber Grenzen: «Viel Hintergründiges kann über diese Kanäle nicht vermittelt werden.» Valerie Zaslawski selbst greift, sobald sie etwas Zeit hat, zu Büchern, «am liebsten auf Papier». Sie sagt aber auch: «Ich habe in meinem Leben mehr schlechte Bücher weggelegt als gute zu Ende gelesen.» Sie selbst schreibt gerne von Hand: «Ich bin viel zu langsam am Computer, ich kann immer noch kein Zehnfingersystem.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Ich frühstücke unter der Woche eigentlich selten, aber zum Kaffee darf «Bajour» natürlich nicht fehlen, auch die Websites von «BaZ» und «bzBasel» werden durchforstet. Am Wochenende blättere ich gerne durch Printmedien, mal die «NZZ am Sonntag», mal die «SonntagsZeitung» – oder durch die «WOZ» oder «Die Zeit».
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?
Ich war früher auf Facebook sehr aktiv – vor allem privat – und musste mich manchmal zwingen, das Handy wegzulegen, weil mich das Gescrolle genervt hat. Twitter habe ich seit jeher ausschliesslich beruflich genutzt, allerdings eher sporadisch. In meiner neuen Rolle als Co-Chefredakteurin bekommt Twitter eine grössere Bedeutung – überhaupt beschäftige ich mich wieder intensiver mit sozialen Medien. Das gilt auch für Instagram, wobei ich zugeben muss, dass ich hier noch keinen vorbildlichen Umgang gefunden habe.
Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?
Gar nicht so grundlegend. Ich habe während des Corona-Virus meine Tochter zur Welt gebracht, was meinen medialen Alltag zumindest zu Beginn stärker verändert hatte als die Pandemie selbst, da ich durch das Neugeborene sehr absorbiert war und kaum mehr zum Lesen kam. Oder wenn, dann bin ich sofort eingeschlafen.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Ich fühle mich noch nicht so alt, um wirklich von früher war alles besser zu sprechen. Aber doch, wahrscheinlich war früher alles besser. Damals, als die grossen Verlage noch keine Mantelredaktionen hatten, die allesamt die gleichen Inhalte abdrucken. Heute ist es egal, wo du lebst, wo du arbeitest, du liest überall dasselbe.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Ich hoffe doch sehr. Ich kann mir eine Welt ohne geschriebene Worte zumindest nicht vorstellen. Ich bin zwar ein grosser Fan von Podcasts und Radio, aber eigentlich vor allem deshalb, weil diese Medienformate mir erlauben, daneben noch etwas anderes zu erledigen – Kochen, Geschirr einräumen oder Wäsche aufhängen. Wie vorhin bereits angetönt: Sobald ich etwas Zeit habe, am Wochenende oder im Urlaub, würde ich nie auf Bücher – und damit auf das geschriebene Wort (am liebsten auf Papier) – verzichten wollen.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Ich lese im Moment vor allem Erziehungsbücher – und da würde ich «Dein selbstbestimmtes Kind» des dänischen Autors Jesper Juul empfehlen, zumindest jenen Eltern, deren Kinder früh nach Autonomie streben. Wie Juul bin auch ich dafür, Kinder als vollwertige Menschen anzuerkennen. Ich lebe in Frankreich und habe mit dem autoritären, manchmal staubigen Erziehungsstil meine Mühen.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Ich kann schlechte Bücher problemlos weglegen, ich glaube, ich habe in meinem Leben mehr schlechte Bücher weggelegt als gute zu Ende gelesen.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Beim Teilen von Zeitungen. Wenn die andere Person mir den Newsteil wegschnappt und ich im Feuilleton beginne zu lesen und dadurch auf Theaterstücke oder Kinofilme stosse, die mir sonst nicht begegnet wären (hätte ich mich ausschliesslich dem ersten Bund gewidmet).
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
So lange, wie es das geschriebene Wort gibt. Ich sehe nicht, dass das Bedürfnis nach Information geringer wird. Viel eher müssen neue Formen der Vermittlung gefunden werden.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Eine Gefahr – und diese wird durch die Entwicklung der künstlichen Intelligenz immer grösser. Eine Chance sehe ich höchstens darin, dass Journalist:innen durch Fake News vielleicht ein stärkeres Bewusstsein entwickelt haben für saubere Recherchen.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Ich höre Radio vor allem beim Autofahren. Und TV schaue ich kaum, ausser am Sonntagabend den «Tatort». Und den dann auch auf dem Laptop. Auch die «Tagesschau» schaue ich mir auf dem Computer zeitverzögert an.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Ich höre das «Echo der Zeit» oder die «Sternstunde Philosophie». Oder «LiteraturPur» von Esther Schneider. Einen Lieblingspodcast im klassischen Sinn, bei dem ich keine Folge verpassen darf, habe ich nicht.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?
Na ja, es ist bedenklich, dass ausgerechnet die Jungen sich nicht (mehr) für das Weltgeschehen interessieren. Das hat natürlich negative Folgen für unser politisches System, also die Demokratie. Die Medien müssten versuchen, neue Kanäle zu finden, um die Jungen anzusprechen. Instagram und Co. helfen dabei sicherlich. Aber viel Hintergründiges kann über diese Kanäle leider auch nicht vermittelt werden.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Ich bin immer noch sehr skeptisch, auch wenn es mittlerweile ChatGPT und Ähnliches gibt. Aber die Qualität ist nach wie vor unbefriedigend. Natürlich wird KI weiter dazulernen, sie wird jeden Tag intelligenter. Aber bis sie eine berührende Reportage oder schlaue politische Analyse schreiben kann, dürfte es noch dauern. Ich glaube allerdings, dass sich manche Sparten im Journalismus automatisieren lassen, beispielsweise Agenda-Beiträge, für die es lediglich bestimmte Fakten braucht, die zusammengetragen werden können. Aber das ist noch kein Journalismus. Doch selbst hier bleibt wichtig: Es braucht Menschen aus Fleisch und Blut, die die Qualität sichern. Sprich: Es braucht Menschen, die den Faktencheck machen, also einen letzten Blick auf die Zeilen werfen.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Weder noch. Wir lernen mit der Digitalisierung umzugehen, nicht nur in den Medien und dem Journalismus. In allen Bereichen. Der neu gelernte Umgang ermöglicht vieles, von vielem müssen wir uns aber auch verabschieden, irgendwann. Vielleicht eben auch von Agenda-Geschichten, beispielsweise aus dem Bundeshaus. So wird es wohl irgendwann keine Journalist:innen mehr brauchen, die berichten, mit wie vielen Stimmen der Nationalrat zum Geschäft XY Ja oder Nein gesagt hat. Das lesen wir auf der Website des Parlaments nach, stellen eine KI ein oder streamen die Debatte live. Die Journalist:innen, die Machenschaften unter der Bundeshauskuppel aufdecken, wird es aber weiterhin brauchen. Und vielleicht werden diese durch die Digitalisierung ein Stück weit befreit, weil sie sich und ihre Arbeit dem Wesentlichen widmen können.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Ja, wir brauchen eine Medienförderung. Nachdem das Stimmvolk auf nationaler Ebene die Medienförderung abgelehnt hat, müssen nun kantonal Wege gesucht und gefunden werden. In Basel-Stadt hat der Grosse Rat bereits einen Anzug betreffend Medienförderung an die Regierung überwiesen. Die Branche müsste sich aber erst mal einig werden, wie eine solche aussehen sollte.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ja, ziemlich oft sogar. Ich mache alle Notizen für meine Geschichten von Hand. Ich bin viel zu langsam am Computer, um direkt mitschreiben zu können. Ich kann immer noch kein Zehnfingersystem. Und werde es wohl auch nicht mehr lernen.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Ich wüsste nicht, inwiefern er für die Medien gut gewesen sein soll. Ausser aus dem gleichen Grund, wie Fake News ihr Gutes haben könnten: Journalist:innen schärfen dadurch ihren Blick fürs Wesentliche, für saubere Quellen und für Wahrhaftigkeit.
Wem glaubst Du?
Bedingungslos? Kaum jemandem. Es gibt jedoch Menschen in meinem Umfeld, die viel wissen und überzeugend sind. Ihnen glaube ich eher mal etwas, ohne es zu hinterfragen. Dasselbe gilt für meine Berufskolleg:innen; da gibt es manche (ohne Namen nennen zu wollen), denen ich quasi blind vertraue. Wenn ich aber einen Artikel schreibe, werden selbst Behauptungen meiner vertrauenswürdigsten Kolleg:innen nochmals gecheckt.
Dein letztes Wort?
Danke.
Valerie Zaslawski
Valerie Zaslawski ist 1983 in Basel geboren und hat an der Universität Basel Soziologie und Medienwissenschaften studiert. Danach absolvierte sie an der Universität Genf einen Master in Politikwissenschaften. Erste redaktionelle Erfahrungen sammelte sie beim Basler Newsportal «Online Reports». Von 2010 bis 2018 arbeitete sie bei der «NZZ», danach war sie selbstständig und lebte in Berlin. Heute ist sie bei Co-Chefredaktorin von «Bajour».
https://valeriezaslawski.ch/
Basel, 24. Mai 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Bild: Saskia Uppenkamp
Seit Ende 2018 sind über 200 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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2 Kommentare zu "Valerie Zaslawski: «Ich kann mir eine Welt ohne geschriebene Worte nicht vorstellen»"
„Heute ist es egal, wo du lebst, wo du arbeitest, du liest überall dasselbe.“ Dass dies im Prinzip auch für «Bajour» gilt, finde ich extrem schade. Bei den Blättern, für die ich schreibe, scheint mir dies nicht so: Weshalb sie wahrscheinlich auch nicht extrem viel gelesen werden.
Clichés sind Clichés, weil an ihnen etwas dran ist, sonst wären sie keine Clichés geworden…. sagte mal ein kluger Medienmann, dessen Name mir entfallen ist.
„Bajour“ habe linke Schlagseite ist der Basler Stadttenor. Und wenn ich mich auf der Internetseite von Valerie Zaslawski, Co-Chefredaktorin von «Bajour» umsehe, ist da halt schon was dran:
– Polizeigewalt an Frauen
– Feminist*innen spielen Rechten in die Hände
– Lasst uns die Periode feiern
– Grösstes alternatives Festival (Fusion) vor dem Aus?
– Der Bundesrat handelt den Energiemangel auf Kindergartenniveau ab
– City-Card für Sans-Papiers
– Ein Jahr Frauenstreik
– Wie es sich mit Nothilfe lebt – unser Asylsystem
– Klimastreik – Wo Hetero zum Schimpfwort wird
– Für gleichen Lohn und günstigere Tampons
– Migration – Italien klagt «Seenotretter» an
Irgendwie eindeutig. Schade, das Medienschaffende nicht von allen Seiten beleuchten, andere Sichtweisen einnehmen, beobachten und sich nicht mehr in andere Welten einleben können. Sondern eigentlich ganz arme und schubladisierte Wesen sind.
Weiterer Titel und Text, der mich durch die ewige ultralinke Brille einfach nur noch richtig wütend macht:
„Basler Klimaloki auf dem Weg in die Zukunft“
Applaus. Mediale Bravo-Rufe, Beat Jans der Säulenheilige….
Doch mal die Sicht eines gütigen Vermieters einnehmen, der günstigen Wohnraum bietet, dessen Bewohner allesamt glücklich sind mit ihren Etagen-Gasöfen, dessen Verbrauch sie direkt mit den IWB abrechnen können – der Vermieter aber, dem sie 2037 rücksichtslos den Gashahn abdrehen, ohne Rücksicht auf Verluste, der nicht mehr Heizen kann, der nicht mehr Kochen kann (Gasherd), der für Elektroherde Starkstrom raufziehen lassen müsste für alle Parteien, der keinerlei Reserven hat (eben wegen dem günstigen Mangel-Wohnraum) um eine Wärmepumpe zu installieren oder einen Fernwärme-Anschluss (falls vorhanden) vorzunehmen, der vielleicht in einem Alter ist, von welchem er von der Bank keine Hypo mehr erhält (für 200’000 Fr – von solchen Beträgen reden wir nämlich bei Heizungssanierung), der auch keine Hypo aufnehmen will welche er dann wiederum auf die Mieterschaft abwälzen müsste und diese unglücklich machte…; der somit von BS enteignet wird, das Haus billig Zwangsverkaufen muss an eine Bank, Versicherung oder Spekulant – denn die haben Geld zur Luxus-Sanierung, haben Juristen zum Künden der Mietverhältnisse, und so dreht sich die Spirale im Ozean des Wahnsinns von BS immer weiter……
DAVON – NIE EIN WORT. Immer nur die Mieter-Arm / Hausbesitzer Bonzen-Reich-Sicht. Immer fordern. Immer Opfer sein. Immer abwälzen. Immer demonstrieren.
Echt – so geht Journalismus nicht. Und die ewig gleiche Leier ist auch der Punkt, warum „Bajour“ trotz Finanzspritzen von Gutmenschenmillardären nie richtig durchstartet. Das Leben ist nicht Schwarz/Weiss. Das ist nicht Journalistenarbeit, das ist PR in eigener Ideologie-Sache….. Sorry „Bajour“ – aber SO es ist zum Davonlaufen – empfinde ich…..