Ursula Gabathuler: «Eine gesunde Demokratie braucht starke Medien»
Das 262. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Ursula Gabathuler, der neuen Chefredaktorin Audio/Digital in Co-Leitung bei SRF. Sie findet es «problematisch, dass sich Menschen zunehmend nur noch über Social Media informieren.» Problematisch sei das, weil «sie die Auswahl an Nachrichten einem Algorithmus» überlassen, der zudem «wahrhafte Informationen nicht von Fake News unterscheidet». Gabathuler fürchtet, dass viele Menschen «den immensen Qualitätsunterschied nicht einmal bemerken». Sie fragt sich deshalb, «ob das Publikum für digitalen Qualitätsjournalismus genug bezahlen wird». Im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz heisst Qualität bei SRF, «dass sich das Publikum nie fragen muss, ob ein Bild, Audio oder Video echt ist oder KI-generiert. Eine konsequente Kennzeichnung ist unerlässlich.» Gabathuler ist überzeugt, dass die «Halbierungsinitiative nicht nur die SRG, sondern alle Medien in der Schweiz schwächen» würde. Sie hofft deshalb, «dass es uns gelingt, der Bevölkerung diese Zusammenhänge gut zu erklären.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Die News auf Radio SRF1 höre ich auf dem Weg ins Büro. Vorher werfe ich einen ersten Blick auf die SRF News App und lese die E-Paper vom «Tagi» und der NZZ.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, YouTube, TikTok und BeReal?
Ich habe vor Jahren meinen Social-Media-Konsum eingeschränkt, weil er mich vom realen Leben ablenkt. Ich habe auf den genannten Kanälen jeweils ein Konto. Aktiv bin ich nur sporadisch und privat auf Instagram.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Für meine ersten Zeitungsartikel recherchierte ich im Jahr 1995 mit dem Telefon, durchstöberte hauseigene Dokumentationen und verschickte meine Anfragen per Fax. Das Internet war noch ein fernes Gerücht und erste eintreffende Mails ein Ereignis – heute undenkbar.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Ich vermisse die grosse Medienvielfalt von früher.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Ja.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Differenzierte und hintergründige Texte, die es zum Glück immer wieder online und in Zeitungen beziehungsweise E-Papers zu lesen gibt – und viele Bücher.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
In einen guten Roman zu versinken, ist für mich etwas vom Schönsten. Weil die Zeit dafür knapp ist, wähle ich meine Lektüre sorgfältig aus und lege ein schlechtes Buch auch mal weg.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Ich gehe offen und wach durch die Welt. Ich lebe mitten in Zürich, verbringe auch viel Zeit im St. Galler Rheintal. Gespräche mit Menschen hier und da inspirieren mich.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Schon meine Generation der Ü50 liest kaum mehr gedruckte Zeitungen. Aber als Nischenprodukt wird es die Presse weiterhin geben.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Beides: Qualitätsmedien können sich damit profilieren, dass sie keine Fake News publizieren und solche entlarven. Zudem müssen wir einen sorgfältigen Umgang finden mit KI-produzierten Inhalten. Ich finde es krass, was uns diesbezüglich auf den Social-Media-Kanälen entgegenkommt. Um so wichtiger, dass SRF News auch da präsent ist.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Lineares Radio ist mein täglicher Begleiter. TV schaue ich praktisch nicht mehr live, nur noch zeitversetzt.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Jetzt gerade höre ich «8424 Züri West». Podcasts höre ich vor allem beim Joggen: Von SRF gerne die Investigativ- und Datarecherchen bei «News Plus Hintergründe» und natürlich «Echo der Zeit». Dann auch mal «Zivadiliring», «Beziehungskosmos» oder «Zeit Verbrechen».
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Ich finde es problematisch, dass sich Menschen zunehmend nur noch über Social Media informieren. Sie überlassen die Auswahl an Nachrichten einem Algorithmus, der zudem wahrhafte Informationen nicht von Fake News unterscheidet. Sie bemerken den immensen Qualitätsunterschied nicht einmal. Medienkompetenz muss zwingend bereits in der Primarschule gelehrt werden.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Wir schreiben im Moment die Richtlinien für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz bei SRF. Mit dem Grundsatz, dass sich das Publikum nie fragen muss, ob ein Bild, Audio oder Video echt ist oder KI-generiert. Eine konsequente Kennzeichnung ist unerlässlich. Für mich ist reiner KI-Content kein Journalismus. Es fehlt die letzte Verantwortung des Menschen. Bei Recherche, Einordnung und Gewichtung.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Medien werden auch im digitalen Raum fleissig konsumiert. Es stellt sich die Frage, ob das Publikum für digitalen Qualitätsjournalismus genug bezahlen wird, ich bezweifle es.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Wenn, dann auch eine für die digitalen Medien.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ja, ich trage bei der Arbeit immer ein Notizbuch mit mir rum. Privat schreibe ich nur noch Einkaufszettel und ab und zu eine Glückwunschkarte.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Trump und seine alternativen Fakten zeigen im Schlechten auf, wie wichtig ein starker medialer Service Public für das Funktionieren einer Gesellschaft ist. Trump wäre ohne das amerikanische Mediensystem nicht passiert.
Wem glaubst Du?
Nicht denen, die mir unaufgefordert die Welt erklären.
Dein letztes Wort?
Die Halbierungsinitiative würde nicht nur die SRG, sondern alle Medien in der Schweiz schwächen. Eine gesunde Demokratie braucht starke Medien. Ich hoffe, dass es uns gelingt, der Bevölkerung diese Zusammenhänge gut zu erklären.
Ursula Gabathuler
Ursula Gabathuler (54) ist die neue Chefredaktorin Audio/Digital in Co-Leitung bei SRF. Davor leitete sie bei SRF den Bereich News Digital und die trimediale Redaktion «KassensturzEspresso». Sie hat an den Universitäten Zürich und Kapstadt Zoologie studiert und ein Nachdiplomstudium in Wirtschaftskommunikation absolviert. Heute lebt sie diese tierische Leidenschaft nur noch als Hobby aus. Sie arbeitete 12 Jahre lang für Printprodukte wie den «Beobachter». 2007 wechselte sie zu SRF und arbeitete unter anderem als Redaktorin und Produzentin beim «Kassensturz» und der «Rundschau».
https://www.srf.ch/news
Basel, 3. Januar 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 260 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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3 Kommentare zu "Ursula Gabathuler: «Eine gesunde Demokratie braucht starke Medien»"
Zum Narrativ mit den Fake News: Vieles in der real existierenden Welt läuft offensichtlich derart fundamental und selbstverständlich falsch, dass es eine grosse Mehrheit gar nicht zu merken scheint. Das hat viele Gründe: einer davon ist es, dass es Angst machen kann, die Welt so zu sehen wie sie ist.
Antwort:
….und dann wären „Fake News“ ja teilweise (oder ganz) manchmal wieder richtig, was sich ab und zu in der Nachschau bestätigt….
Eigentlich unpassend hier – denn Fr. Gabathuler konsumiert (siehe oben) SRG, Tagi und NZZ – klar auf Linie – doch damit bringt man es weit, wie man sieht…
Von der ersten Fragebogenfrage bis zum letzten Wort im Stechgleichschritt mit den meisten 260 Fragebogen Antwortenden….
Apropos Letztes Wort: Da ich mich hier immer auf einer Anti-Halbierungsinitiative-Plattform (200.- sind genug (Zwangs-) Gebühren) wähne, sei noch der ausgleichende Ausgleich (schön liberaldemokratisch) zum Initiativkomitee (und deren Sicht) verlinkt:
https://srg-initiative.ch/
Ansonsten rund um Fr. Gabathuler-Dunstkreis empfinde ich auch mein Kommentar beim vorigen (261.) Fragebogen blick- und horizonterweiternd stimmig…
Nur damit es wieder einmal gesagt ist: Fake News, Fakenews, die: in manipulativer Absicht verbreitete Falschmeldungen. Die Rede ist nicht von Meinungen, sondern von bewusst verbreiteten Falschmeldungen, wie sie auf sozialen Medien zum Beispiel vor Wahlen (USA, derzeit in Taiwan, Grossbritannien, Frankreich) zu finden sind. Was daran richtig sein soll, erschliesst sich mir nicht. Welche Linie Sie in einem Konsum von SRF, Tagi und NZZ sehen wollen, ist mir auch nicht klar, vielleicht werfen Sie professionellen Journalisten einfach vor, dass sie professionelle Journalisten sind.
Ach ja: Vielen Dank für das Kompliment der Anti-Halbierungsinitiative-Plattform. Medienökonomisch wäre eine Halbierung der Rundfunkgebühren ein Schuss ins Bein der Medienschweiz, der keinem privaten Verleger nützen würde.