Ulrich E. Gut: «Im Journalismus wird die Autorin, der Autor immer von entscheidender Bedeutung bleiben»

Publiziert am 2. Februar 2022 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Ulrich E. Gut, Jurist und Publizist. Er sagt, heute werde «die Medien- und Meinungsfreiheit nicht mehr primär als eine Freiheit parteipolitisch positionierter Organe, sondern als eine Freiheit der Journalistinnen und Journalisten gelebt.» Die Digitalisierung sieht er grundsätzlich positiv, sie führe zunächst zu einer wachsenden Angebotsvielfalt. «Aber zum grossen Teil handelt es sich um Nischenangebote. Sie sollen und können sich miteinander verbinden, sich gegenseitig stärken und unterstützen, was auch im Gang ist.» Die Zukunft von gedruckten Zeitungen sieht er pessimistisch: Er vermutet, «dass in den nächsten zehn Jahren die meisten Qualitätsmedien ganz auf elektronische Verbreitung umsteigen müssen.» Es sei «zu vermeiden, dass die Kosten des Konsums professioneller journalistischer Leistungen für einen wachsenden Teil der Bevölkerung prohibitiv werden.» 

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich beginne den Tag mit der Sichtung und teilweisen Lektüre mehrerer Schweizer E-Papers, der «FAZ» und des «Republik»-Newsletters. 

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Facebook, Twitter und LinkedIn nutze ich als Informationsquellen und als Verbreitungsmittel für eigene Texte, insbesondere meines «PolitReflex».

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Indem ich gleich bei Beginn der Pandemie fast vollständig von Print- auf E-Paper-Abonnements umgestiegen bin.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Weder noch. Zum Beispiel ist der Übergang von Partei- zu Forumsmedien an sich nicht schlecht. Heute wird – von Ausnahmen wie der «Weltwoche» abgesehen – die Medien- und Meinungsfreiheit nicht mehr primär als eine Freiheit parteipolitisch positionierter Organe, sondern als eine Freiheit der Journalistinnen und Journalisten gelebt. Ersatzlösungen müssen gefunden werden wegen dem Niedergang der grossen Printmedien. Es entstehen neue und gute Kleine und Mittelgrosse online. Eine Chance besteht darin, dass sie durch Austausch die Reichweite ihrer guten Recherchen, Analysen und Kommentare erhöhen. 

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Sicher. Immer wieder reifen in jungen Menschen Bedürfnis und Bereitschaft zu Verbreitung und Austausch anspruchsvoller Feststellungen, Gedanken, Forderungen – und damit zum schriftlichen Austausch. 

Was soll man heute unbedingt lesen?

Nicht nur schweizerische, sondern auch ausländische Qualitätsmedien. 

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lege selten ein Buch weg. In Grenzfällen lese ich es meist zu Ende, um es beurteilen zu können.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Wenn mir Menschen von Erfahrungen berichten.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

In meiner Generation gibt es noch welche, die es schätzen, ihren Lesestoff in der Hand zu halten und darin zu blättern. Aber sie müssten mehr dafür bezahlen, wozu nicht alle, die es möchten, bereit und in der Lage sind. Deshalb vermute ich, dass in den nächsten zehn Jahren die meisten Qualitätsmedien ganz auf elektronische Verbreitung umsteigen müssen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Die systematische, organisierte, politisch zielorientierte, kommunikativ und psychologisch geschickte Verbreitung von Fake News ist eine Gefahr für die Demokratie. Eine Chance für Medien können sie sein, wenn die Medienunternehmen kompetenten Journalismus mit der personellen Kapazität ausstatten, eine Reputation für verlässlichen Faktencheck aufzubauen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Ich bin noch dabei. Regelmässig höre ich «Rendez-vous am Mittag» und «Echo der Zeit». Am späteren Abend schätze ich vor allem «Zeit im Bild» (ZIB 2) von ORF mit seinen oft hervorragend geführten politischen Interviews.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Nein.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Die Notwendigkeit, mit Projektpartnerinnen und -partnern aus dieser Altersgruppe Strategien zu bilden und umzusetzen. News-Deprivierte gab es schon in den Landsgemeinden der Alten Eidgenossenschaft, die durch exklusiv informierte Landammänner und Söldnerführer dominiert wurden. Die Voraussetzungen für Strategien gegen die News-Deprivation sind heute wohl besser als je.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Vielleicht bis zu einem gewissen Grad im News-Journalismus, aber es hängt von der Sicherung der inhaltlichen und kommunikativen Qualität ab, die von kompetenten Menschen ausgeübt werden muss. Auch die Entscheide, worüber berichtet wird und wie die Prioritäten gesetzt werden – also: worauf der Roboter angesetzt wird – müssen von Menschen getroffen und verantwortet werden. Im einordnenden, analytischen, kritisch kommentierenden Journalismus wird die Autorin, der Autor immer von entscheidender Bedeutung bleiben. Jedenfalls stelle ich an mir selbst fest, dass mein Entscheid, was ich lese, anhöre, sehe, immer wieder von der Person abhängt, vor allem bei einem Medium mit sehr heterogenem Journalismus, wie etwa bei der «NZZ». 

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Zunächst zu einer wachsenden Angebotsvielfalt. Aber zum grossen Teil handelt es sich um Nischenangebote. Sie sollen und können sich miteinander verbinden, sich gegenseitig stärken und unterstützen, was auch im Gang ist. «Tod» und «Befreiung» sind aus meiner Sicht zu plakative Prognosen. 

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Auf jeden Fall! Die Frage ist aber, wer den Konsum professioneller journalistischer Dienstleistungen wird bezahlen wollen und können. Es ist zu vermeiden, dass die Kosten des Konsums professioneller journalistischer Leistungen für einen wachsenden Teil der Bevölkerung prohibitiv werden. Deshalb setze ich mich für die Annahme der Medienförderung in der Abstimmung vom 13. Februar 2022 ein.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Klärend. Er zwingt Medienschaffende zum Entscheid über ihr Selbstverständnis, ihr Rollenverständnis.

Wem glaubst Du?

Verantwortlichen Menschen und Institutionen, zum Beispiel Journalistinnen und  Journalisten, Medien, Forschenden und Lehrenden, wenn ich mit ihrer Verlässlichkeit Erfahrungen machte, die für mich schlüssig sind. 

Dein letztes Wort?

«Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch» (Hölderlin).


Ulrich E. Gut
Ulrich E. Gut (* 1952) ist in Küsnacht ZH als Sohn einer Zeitungsverlegerfamilie aufgewachsen. Er hat Jus studiert und zu «Grundfragen und schweizerische Entwicklungstendenzen der Demokratie» promoviert. Seit 1977 ist er verheiratet mit Ursula Gut-Winterberger, ebenfalls Dr. iur. Sie war von 2006–2015 FDP-Regierungsrätin im Kanton Zürich. 1984–1987 arbeitete Gut als Jurist im Generalsekretariat des Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartements (Gesetzgebungsarbeiten, später persönlicher Mitarbeiter von Bundesrat Leon Schlumpf). 1988–1998 Chefredaktor der «Zürichsee-Zeitung», dann Kommunikationsberater. 1991–1999 FDP-Kantonsrat. Heute unter anderem Präsident von «ch-intercultur» und «Unser Recht» sowie Redaktor von www.PolitReflex.ch. 


Basel, 2. Februar 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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3 Kommentare zu "Ulrich E. Gut: «Im Journalismus wird die Autorin, der Autor immer von entscheidender Bedeutung bleiben»"

  1. «Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch» (Hölderlin): hoffen lässt sich immer! – Für Menschen, die es wissen können und wollen, wird es immer offensichtlicher: der Bundesrat, seine sogenannten Experten und viele Medien haben sich bei und mit Corona hoffnungslos verrannt. Die Mehrheit scheint in der Sackgasse einer Massenpsychose zu stecken. Und je länger das noch dauert, desto schlimmer wird es. Fertig und Schluss damit. Je schneller, umso besser: für Lebensfreude anstatt Existenz- oder gar Todesangst!
    Ob mit oder ohne Corona: die alte Politik und ihre Medien – in welcher Form auch immer – sind am Ende … und das auch dann, wenn es eine grosse Mehrheit (noch) nicht wahrhaben kann oder will. Widerstand ist sinnlos. Einfach nicht mehr mitmachen. Andere Wege gehen. Wir brauchen eine neue Politik. Das geht einerseits ganz einfach: miteinander anstatt gegeneinander. Und es ist und anderseits sehr anspruchsvoll: weil es für die ganz grosse Mehrheit nicht dem Gewohnten entspricht. Sie wird es lernen: früher oder zu spät!

    1. Antwort an U. Keller
      Treffend ausgedrückt. „Die alte Politik und die alten Medien sind am Ende….“ Nein – noch nicht ganz, sie zuckeln und ruckeln noch ein wenig, feiern auch manchmal auch wieder Erfolge (….also das, was sie unter Erfolg verstehen….), aber im grossen und ganzen geht es ins Unbedeutende.
      Ich bemerke es an meinem Medienkonsum: Der furchtbar blasierte (empfinde ich), der beschlipste Florian Inhauser wird obsolet. Er bittet resolut um 19.30 zur Tages-„Schau“ (!) vor das Schweizer Farbfernsehen, bestimmt also mein Tages-Abend-Ablauf…. Um dann die vorausgesuchten, aussortierten „News“ vor-zu-lesen (vor-zu-kauen?)….
      Zuviel wird weggelassen, gerade bei „Corona“, um bei Ihrem Thema zu bleiben. So viele Aerzte hätten anders zu sagen, so viele Aerzteseminare , so viele mikroskopische Blutwerte welche eine andere Sprache sprechen (als die öffentliche) werden weggelassen. Langsam öffnen sich die Augen der Menschen: In Canada ist der Premier unauffindbar, die WHO empfiehlt die 4. Impfung NICHT – und die dauerbetrübten Wissenschaftler (nicht alle – aber es gibt da so einige…) versinken langsam wieder in der Versenkung. Nicht leicht dieses Zurücktreten in die 2. Reihe. Das selbe lässt sich auch bei unseren kant. Gesundheitsdirektoren ablesen. Die Schweinwerfer drehen ab, die Showbühne (von Hr. Engelberger usw.) wird langsam hochgeklappt, das nationale Interesse schwindet, die Bundesratsluft (Bundesratsduft) verweht – nun gilt es wieder Pressemittelungen über den Pausenapfel, die kant. Tollwut oder die Schulmilch rauszulassen….
      Und im anderen grossen Bereich der Medien: Der Unterhaltung – lache ich inzwischen viel mehr bei den Privat-Unterhalter.
      Ein Staatskomiker wie Mike Müller, welcher die Impfzweifler als A***** bezeichnet (mehrfach) und der es sogar heute auf Twitter im Zusammenhang mit dem Sirenentest nicht lassen konnte wieder herablassend und verallgemeinernd über die „Schwurbler“ herzuziehen löst bei mir kein Lachen aus. Kollege Giacobbo spaltete auch kräftig „humorvoll“ mit.
      Oder was soll dies – Die SVP unter dem Deckmantel der „Satire“ mit Naziaufmärschen zu vergleichen?!
      https://www.youtube.com/watch?v=nClyeKkjoeQ
      (3 Minuten die sich lohnen zu sehen.) Und dies auf „unserem“ SRF? Wahnsinn!
      Lässt sie nur so weiter machen – dann merken auch der Hinterste und Letzte dass sich das Umschalten und Wegschalten hin zu humoresken Naturtalenten auf Youtube oder im WWW (wundervoll gespickte Perlen en masse) mit weniger Aufwand und Geld mehr bringen.
      Sogar Schawinski, differenzierter Medienmann – welcher gegen No-Billag war und ein Buch darüber verfasste (und heute gegen das Medienförderungsgesetz ist) ist zu „individuellen Medien“ hinübergewechselt. Bei „Blue-Zoom“ (mieser Name – guter Inhalt) läuft er im Talk wie früher zur Höchstform auf (sein erster Gast Toni Brunner trägt natürlich das seinige zum ausgezeichneten informativen und humorvollen Gespräch bei). Grosses Kino:
      https://www.youtube.com/watch?v=RDxjIv0mTBo
      Merke: Nicht nur die alten Strukturen, Medien, Politik bringen’s – auch das Neue kann’s = oftmals sogar besser.

      1. Lieber Herr Zweidler, Sie dürfen natürlich Schawinski über den grünen Klee loben (ich fands eher langweilig bis peinlich, die «NZZ» schrieb: «Schawinski, scheint’s, will den Mann ((also Gast Toni Brunner)) zurück in die Politik komplimentieren. «Das Volk schreit nach dir», das sagt er allen Ernstes. Brunner flachst zurück, einer wie Schawinski würde in den Bundesrat gehören. Zuvor hat Letztgenannter nochmals Blocher bewundert («Etwas Genialeres gibt es für mich nicht»), und nach dreissig Minuten sucht man vergebens eine Erkenntnis.»)
        Was mir aber zu weit geht, ist Ihr Geschreibe rund um Corona: «So viele Aerzte hätten anders zu sagen» – das ist schlicht falsch. Es mag Ausreisser geben – Forschung und Medizin ist sicher aber in den meisten Fragen bezüglich Corona einig.
        «so viele mikroskopische Blutwerte welche eine andere Sprache sprechen (als die öffentliche) werden weggelassen». Was bitte soll ein «mikroskopischer Blutwert» sein?
        «Nicht leicht dieses Zurücktreten in die 2. Reihe.» Eben nicht. Reden Sie mal mit Ärzten und medizinischen Forschern: Die sind heilfroh, wenn sie nicht mehr von der Medienkamarilla gejagt werden. Die allermeisten sind Forscher, die sich gerne auf ihre Forschung konzentrieren würden.
        Der Rest Ihres Kommentars muss von irgendwoher kopiert sein, er hat mit dem, was Ulrich E. gut gesagt hat, absolut rein gar nichts zu tun.

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