Tristan Brenn: «Twitter ist heute meine primäre Informationsquelle»

Publiziert am 3. April 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Tristan Brenn, dem Chefredaktor von Schweizer Fernsehen SRF über seinen persönlichen Mediengebrauch, seinen Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Brenn liest Zeitungen fast nur noch digital und gibt deshalb gedruckten Zeitungen keine grosse Zukunft mehr. Er sagt über Donald Trump: «Kein Politiker der Neuzeit hat den Medien und ihrer Glaubwürdigkeit so viel Schaden zugefügt wie dieser amerikanische Präsident.» Und Brenn ist sich sicher: «Die ‹Tagesschau› wird auch in Zukunft von vielen Menschen nachgefragt werden.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Mein Frühstück ist hastig, da bleibt nicht viel Zeit. Ich höre die Radionachrichten und dann läuft Virus-Musik im Hintergrund. Ich gehe auf Twitter und weiss, dass mir nichts Wichtiges entgeht. Interessante Artikel, die ich nicht gleich lesen kann, speichere ich mit einem Klick auf Pocket, meiner Lieblings-App. In diese «Tasche» geht alles rein zum Späterlesen. Mein privates Archiv, simpel und effizient. Der Tagesanzeiger landet noch immer frühmorgens in meinem Briefkasten – und bleibt immer öfter ungelesen, weil ich ihn digital lese. Es ist ein Solidaritätsabo, wie meine anderen Papier-Abos auch: «WoZ», die Samstagsausgabe der «NZZ», die «NZZ am Sonntag». Ich lese sie praktisch nur noch digital.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Twitter ist heute meine primäre Informationsquelle. Früher oder später kommt hier alles Wesentliche vorbei, ist alles freigeschaltet. Und natürlich nutze ich Twitter, um selber Informationen zu teilen, zu kommentieren und zu diskutieren. Mein Konto bei Facebook schläft seit Jahren friedlich vor sich hin, ich hab noch nie etwas darauf publiziert. Die Datenkrake war mir immer unsympathisch, wobei ich mir bezüglich Daten keine Illusionen mache, was andere Plattformen betrifft. Instagram beobachte ich mit wachsendem Interesse, bin aber auch hier nicht aktiv. Mich fasziniert, wie schnell die Plattform auch für journalistische Inhalte wichtig wurde. Die Abonnentenzahlen von SRF News sind in kürzester Zeit nach oben geschnellt.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Ich schaue zuerst, dass bei uns alles in die Gänge kommt. Und dann spielt es natürlich eine Rolle, wo etwas passiert und worum es sich handelt. Wenn sich 9/11 heute ereignen würde, wäre CNN noch immer eine meiner ersten Adressen. Schnell, zuverlässig, mit einem ungeheuren Netz an Informanten und JournalistInnen, die nahe dran sind.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Das kommt auf die Perspektive an. Für Verlage war es früher ein Paradies mit garantierten Millionengewinnen. Heute geht’s um die nackte Existenz. Dasselbe gilt für JournalistInnen, die heute um ihren Job bangen müssen. Aus Nutzerperspektive ist das Gegenteil der Fall: Es findet zwar eine Medienkonzentration bei den Verlagen statt. Doch wer hat früher schon mehrere Tageszeitungen gelesen? Solange sich die Regionalseiten differenzieren und zum Beispiel der Inlandteil gute Recherchen und Hintergründe liefert, was oft der Fall ist, geht dieses Konzept auch für die Leser auf. Hinzu kommt: als Mediennutzer finde ich heute Dutzende von Nischenprodukten, interessante Blogs, hundertfach spannende Inhalte, und das alles in einer Formenvielfalt, die es früher nicht gab, auch mit neuen, datengetriebenen Recherchemöglichkeiten (Data Journalismus). Also aus Nutzersicht: sehr vieles ist besser als früher.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Uwe Johnson, Jahrestage. Der ineinander verschachtelte geschichtliche Bogen, den Johnson vom Mecklenburg der Vor- und Nachkriegszeit hin zum New York der 60er Jahre schlägt, ist atemberaubend, intellektuell scharfsinnig, sprachlich brillant.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich kämpfe mich meistens durch und nerve mich dabei ohne Ende. Erstaunlich eigentlich, jeden Online-Artikel, der schlecht ist, drücke ich gnadenlos weg. Beim Buch hab ich bis zuletzt die Hoffnung, es werde alles noch besser.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Überall dort, wo der Zufall im Spiel ist. Zufällige Bekanntschaften, ein Artikel, auf den ich zufällig stosse. Wenn ich etwas bewusst ansteuere, weiss ich ja schon, dass es mich interessiert.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Wenn ich die Veränderung meines eigenen Medienkonsums betrachte, so fürchte ich, nicht mehr lange. Die Einbrüche bei den Werbeeinnahmen sind dramatisch – ohne Hoffnungsschimmer am Horizont, so brutal das auch klingt. Fünf bis zehn Jahre? Ich hoffe, ich täusche mich. Die Wochenzeitungen werden sich sicher länger halten.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Sie sind selbstverständlich eine Gefahr. Je mehr Fake News im Umlauf sind, desto mehr erodiert die Glaubwürdigkeit der Medien generell. Noch mehr Gefahr kommt von jenen, die dauernd «Fake News» schreien, wenn ihnen die Wahrheit nicht passt. Klar, man kann auch sagen, je mehr Fake News, um so wichtiger wird der Stellenwert seriöser Medien. Ich bin da eher skeptisch.

Hat die «Tageschau» für alle um 19’30 Uhr noch eine Zukunft?

Die «Tagesschau» hat noch immer fantastische Ratings, das geht von 500‘000 bis 800‘000 Zuschauern jeden Abend. Gleichzeitig steigt der Altersdurchschnitt, wie bei allen traditionellen Medien. Ich wage mal die die Prognose, dass es die «Tagesschau» auch noch in zehn Jahren gibt. Das wichtigste Gut von Medien ist Glaubwürdigkeit. Hier ist die «Tagesschau» an der Spitze, sie wird darum auch in Zukunft von vielen Menschen nachgefragt werden.

Wie hältst Du es persönlich mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich schaue sehr oft zeitversetzt, vor allem Magazine und Dok-Filme. Dasselbe gilt beispielsweise für das «Echo der Zeit», dessen «Verfallszeit» weniger schnell verläuft als bei anderen Newsformaten, das hör ich auch am nächsten Morgen auf dem Weg zur Arbeit. Live-Sport, vor allem Fussball, lasse ich mir fast nie entgehen.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Podcasts sind eine erstaunliche Erfolgsgeschichte. Trotzdem hör ich sie nicht oft, es fehlt mir einfach die Zeit für alle Medienformen.

Sind digitale Assistenten wie Alexa oder Google Home eine neue Chance für das Radio – oder eine Gefahr für die Menschheit?

Sie sind eine Chance, auf jeden Fall. Auch das Radio muss die neuen technologischen Möglichkeiten nutzen. Tut es das nicht, läuft es Gefahr wie alle anderen Medien, bedeutungslos zu werden. Warum eine Gefahr für die Menschheit?

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Es bedeutet, dass sie sich noch mehr Mühe geben müssen, die Jungen zu erreichen, mit Formen und Ansprachen, die Ihnen entsprechen, mit noch mehr Erklärstücken, die ihre Lebenswirklichkeit reflektieren. Wir versuchen das online auf unserer App und auf Drittplattformen mit neuen, dialogfähigen Erzählformen, das funktioniert erstaunlich gut. Auf der anderen Seite: mich nimmt mal wunder, wie das vor 10, 20 oder 30 Jahren war. War es nicht immer so, dass ein grosser Teil der Jugendlichen schlicht anderes im Kopf hatten als «News»? Mit Sicherheit. Eine wissenschaftliche Untersuchung dazu, falls machbar, würde mich brennend interessieren.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Klar, das würde Pietro Supino gefallen. Ein Drittel dünkt mich massiv übertrieben. Journalismus lässt sich im Newsbereich automatisieren, im Erstellen von Börsenberichten, von Sportnachrichten etc. Das wird ja schon heute praktiziert. Auch Summaries, Schlagzeilen etc. können schon bald automatisiert werden. Ich war kürzlich an einem Medien-Kongress in Lissabon, da hat der Chefentwickler von Facebook in Paris ein Programm vorgestellt, das auf Knopfdruck aus dreiseitigen Artikeln automatisierte Zusammenfassungen von fünf, zehn oder 15 Zeilen generierte. Das war inhaltlich erstaunlich akkurat und sprachlich gar nicht schlecht. Das war faszinierend und erschreckend zugleich, zumindest für die anwesenden Journalisten. Die Medienmanager waren entzückt. Wer allerdings meint, dass einordnender Hintergrundjournalismus und originäre Recherchen bald schon von Robotern erledigt werden, hat nicht verstanden, was Journalismus ist.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Unbedingt – falls die Finanzierungsfrage gelöst wird. Das ist heute leider nicht der Fall. Professioneller Journalismus ist wichtiger denn je.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Praktisch nie mehr, mal einen Einkaufszettel. Und jedes Mal erschrecke ich, weil meine Schrift von Mal zu Mal schrecklicher wird.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Ganz klar: Er ist gut für Auflagen, Klickzahlen und Ratings. Für die Medien ist das höchstens ein Pyrrhussieg. Kein Politiker der Neuzeit hat den Medien und ihrer Glaubwürdigkeit so viel Schaden zugefügt wie dieser amerikanische Präsident. Millionen von Amerikanerinnen und Amerikanern sind wegen den Lügen von Trump überzeugt, dass Qualitätsmedien wie die New York Times, CNN oder die Washington Post lügen. In Europa ist dasselbe zu beobachten. Das ist fatal, weil es die Gesellschaft in den westlichen Ländern zersetzt hat.

Wem glaubst Du?

Leuten, die fähig sind, auch mal sich selber und ihre Überzeugungen zu hinterfragen. Umgekehrt: Leute, die sich immer im Besitz der Wahrheit wähnen, sind mir ein Graus. Es gibt leider viel zu viele davon, auch unter Medienschaffenden.

Dein letztes Wort?

So weit ist es noch nicht.


Tristan Brenn

Tristan Brenn ist 54 Jahre alt und hat Germanistik, Vergleichende Literatur und Geschichte studiert. Er war Mitbegründer des ersten Bündner Lokalradios «Grischa», freier Journalist und Texter. Seit 25 Jahren arbeitet er für SRF, zunächst als Reporter der Tagesschau, dann Produzent Arena, Reporter und Produzent der Rundschau, Redaktionsleiter der Rundschau von 2007 bis 2010 und danach als  Nachrichtenchef. Seit vier Jahren ist Tristan Brenn Chefredaktor der Informationsabteilung von SRF TV.

https://www.srf.ch/news


Basel, 3. April 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jede Woche ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar und einen Buchtipp. Einfach hier klicken.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.