Tina Uhlmann: «Tageszeitungen sind nur noch Attrappen»

Publiziert am 20. Januar 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute: Tina Uhlmann, Journalistin und Verlegerin. Sie sagt, das Internet sei für sie «ein Arbeitsinstrument, kein Lebensraum.» Der Beruf der Journalistin habe «seinen Reiz eingebüsst, seit man meist vor dem Bildschirm sitzt, Texte auf Handyhäppchen eindampft, und die Zeitung als eine Art Abfallprodukt weit weg digitalgedruckt wird.» Gute Texte hätten eine «lange Halbwertszeit» und seien «nicht nur heute gültig». Tina Uhlmann widmet sich deshalb gerne Büchern: «Bücher sind verdichtetes Leben – und einfach nahrhafter als News-Fastfood.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Beim ersten Kaffee die Stille. Beim zweiten manchmal das Radio.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Für mich ist das Internet ein Arbeitsinstrument, kein Lebensraum. Ich bin zwar bei Facebook, Twitter und Instagram, aber nicht aktiv. Beruflich schaue ich mir die Selbstdarstellung von Leuten an, die ich zum Beispiel interviewen werde – das kann sehr aufschlussreich sein. Oder ich versuche, Leute auf diesen Kanälen zu kontaktieren, die ich anders nicht finden kann.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Sehr. Recherchen vor Ort sind nur noch reduziert möglich. Interviews sind telefonisch oder am Bildschirm eindeutig weniger ergiebig. Muss ich an Sitzungen teilnehmen, geht es per Skype oder Zoom meist etwas schneller als live, was mir ganz recht ist.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder noch. Es war einfach anders. Natürlich hatten wir mehr Zeit zum Recherchieren und zum Schreiben, weil es kein Internet gab, dass dann doch immer schneller war. Dafür hatten wir weniger Quellen zur Verfügung und waren auch weniger überprüfbar, was manche von uns doch recht schludrig werden liess. Dennoch: Der Beruf hat seinen Reiz eingebüsst, seit man meist vor dem Bildschirm sitzt, Texte auf Handyhäppchen eindampft, und die Zeitung als eine Art Abfallprodukt weit weg digitalgedruckt wird. Was heute besser ist: Es gibt mehr Frauen in den Medienbetrieben – nur immer noch zu wenige und leider kaum in den Chefetagen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Natürlich. Am Anfang war das Wort. Und das letzte ist noch lange nicht geschrieben. Gute Texte haben eine lange Halbwertszeit, sie sind nicht nur heute gültig. Und gerade jetzt erleben wir, wieviel mehr gelesen wird, sobald die Leute Zeit haben.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Bücher. Das sage ich nicht nur, weil ich neben meiner journalistischen Arbeit seit sechs Jahren einen kleinen Verlag führe. Bücher sind verdichtetes Leben – und einfach nahrhafter als News-Fastfood.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Da ich viele Bücher lese, um sie zu rezensieren, kann ich sie nicht weglegen – ein Urteil darf ich mir erst bilden, wenn ich das ganze Buch gelesen habe. Was ich privat lese, wähle ich bewusst aus, und wenn doch einmal ein schlechtes Buch dabei ist, dann kann ich ganz gut mittendrin aufhören.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Gespräch mit Menschen, die nicht zu meinem Umfeld gehören.
Und eben, in Büchern, insbesondere aus anderen Kulturkreisen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Gibt es sie denn noch? Die gedruckten Tageszeitungen dieser Tage sind zum Teil nur noch Attrappen. Die Redaktionen dahinter sind in den letzten Jahren komplett ausgehöhlt worden, das habe ich bei Tamedia (heute TX Group) selbst miterlebt und das bekomme ich auch als freie Mitarbeiterin diverser anderer Medien mit. Bis zu zwanzig Titel werden da mit denselben Mantel-Inhalten abgefüllt, ob die sich für das jeweilige Zielpublikum nun eignen oder nicht. Die gedruckten Ausgaben interessieren die Verleger längst nicht mehr, wobei sie gegen aussen natürlich das Gegenteil behaupten.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Solange Medien Fake News nicht selbst weiterverbreiten, weil man für Quellenbeurteilung keine Zeit mehr hat, solange können Fake News auch eine Chance sein. Indem man ihnen echte News gegenüberstellt, die inhaltlich wie sprachlich soviel besser sein müssen, dass sich jede Diskussion erübrigt.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich nutze sie selten und selektiv. Ich höre Nachrichten, das «Echo der Zeit», schaue ab und zu «10 vor 10» oder eine «Arena».

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Kein Liebling, aber das Format mag ich.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Zu grosse Frage. Ich kann nur mutmassen.

Für die Medien: Dass News bald nicht mehr gefragt sein werden und man etwas Anderes, Nachhaltigeres anbieten sollte?

Für die Gesellschaft: Dass die nachkommende Generation sich bereits von der überalterten Gesellschaft abgekoppelt hat und gar nicht mehr zu erreichen ist?

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Nein, natürlich nicht, ebenso wenig wie jede andere Kunst. Pietro Supino mag ein erfolgreicher Unternehmer sein, von Journalismus hat er wenig Ahnung. In der Zeit, in der ich ihn als Redaktorin bei Tamedia erlebt habe, hat er nichts anderes gemacht, als Qualität abgebaut. Und für den havarierten Rest einstiger Flaggschiffe wie den «Tagesanzeiger» will er nun noch mehr staatliche Subventionen. Vielleicht lassen sich damit die Roboter anschaffen?

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Das werden wir sehen. Der Journalismus, wie wir ihn lange verstanden haben, wird ganz verschwinden, dieser Prozess ist ja schon weit fortgeschritten. Es genügt aber nicht, dass nun technologieaffine «Content Manager» die unterschiedlichsten Medien bespielen, wenn der Inhalt, den sie dabei nach Belieben verwursten, nichts wert ist. Aus dieser Sackgasse muss der Journalismus tatsächlich befreit werden. Aber ein neues Berufsprofil ist für mich noch nicht zu erkennen.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Nun, man kann eigentlich schon jetzt nicht mehr leben davon, weder auf den Redaktionen, wo man tausend Aufgaben übernehmen muss, die wenig mit Journalismus zu tun haben, noch als immer schlechter bezahlte Freie. In diesem Sinne nein. Aber möglicherweise ist die Entkoppelung von Geldverdienen und journalistischer Arbeit auch eine Befreiung, welche neue Qualität und Kreativität zulässt.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja. Notizen in einem Gespräch oder auf Reportage mache ich immer von Hand.

Brainstorming mit mir selber auch.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er ist für niemanden gut.

Wem glaubst Du?

Meinen eigenen Augen und Ohren.

Dein letztes Wort?

Das letzte Wort lasse ich als Journalistin gern anderen.


Tina Uhlmann
Tina Uhlmann ist 1968 in Zürich geboren und da auch aufgewachsen. Studium der Ethnologie, Nebenfach: Spanisch/Neuere lateinamerikanische Literatur. Ausland: Uni Granada (E), Havanna (CUB). 1990-92 Diplomlehrgang am MAZ/Volontariat beim «Zürcher Unterländer». Danach als freie Journalistin für verschiedene Zürcher Medien und für die «Berner Zeitung» (Kulturberichterstattung aus Zürich). Ab 1995 Kulturredaktorin bei der «Berner Zeitung», 2009 Austritt und bis heute Arbeit als Freie für die «BZ» und die «SonntagsZeitung», die AZ/CH-Media, für SDA, «WoZ», «Loop», «Education», «Emma» und «Süddeutsche». Zwischenzeitlich Abschlussredaktorin bei Tamedia (40%). Seit 2010 eigenes Schreibatelier mit Kursen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Seit 2015 Verlag Sage und Schreibe. Wohnort Bern, verheiratet, drei erwachsene Kinder.
atelier-sageundschreibe.ch


Basel, 20. Januar 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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2 Kommentare zu "Tina Uhlmann: «Tageszeitungen sind nur noch Attrappen»"

  1. Präsident Donald Trump hob exakt heute (20.01.2021) in die Lüfte Richtung Florida ab. Und exakt ab Mittag WAR er der 45. Präsident der USA.
    Was macht dies mit der Frage: „Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?“ Bleibt sie bestehen, wird sie fallengelassen?
    Ich tendiere fürs Letztere. Hauptgrund: Es wird von den Fragebogengästen oft gar nicht auf die Fragestellung eingegangen. Es wird nicht erklärt, weshalb DT für die MEDIEN gut/schlecht sei. Was sein Charakter mit den MEDIEN macht. Mit den Lesern. Mit der Aufmerksamkeit.
    Weshalb also eine Frage stellen, die gar nicht beantwortet wird. Denn auf DIE Frage sind Antworten wie: „Er ist für niemanden gut“, „Hoffentlich ist das mit Trump bald vorbei“, „Schlecht“, „Er ist zu viel des Schlechten“, „Nicht einfach nur für die Medien. Trump ist vor allem schlecht für die Menschheit. Für den Planeten. Für die Demokratien“….. einfach nicht sachlich korrekt.
    Das sind doch – mit Verlaub – keine entsprechenden Antworten auf diese entsprechende Frage. Deshalb: Abstellen, aufhören. Weil = Die Fragebogengäste können oft ihre gestellte Frage nicht sachlich beantworten.
    Neue Zeiten, neuer Präsident – neue Frage? „Ist Joe Biden gut oder schlecht für die Medien?“ Auf den ersten Blick eine langweilige Frage, auf den zweiten Blick doch eine interessante Frage. Was macht es mit den Klicks, den Auflagen, den Einschaltquoten? Was macht es mit den Journalisten? Verändern diese ihre Haltung zum Weissen Haus? Sind die Medien-Konsumenten hier in der Schweiz wirklich an der ernsten amerikanischen Politik interessiert oder wirklich (auch) nur (wie viele Amis) am neusten „Tratsch und Klatsch“ rund um die US-Politik, so wie z.B. dass es in Burlington im Bundesstaat Vermont in einem „Diner“ ein Sandwich namens Donald Trump zu kaufen gäbe, und dass dieses mit Fleisch, Salat, Bacon und mittelscharfen Senf belegt sei…..
    Wird auch jeder Schritt von Biden auf unseren News-Tickern erscheinen, gibt es auch so eine Bilderflut, wird Mrs. Biden auch durchleuchtet, die Mode, die Kinder, die Hüte….
    Ich empfinde es langsam an der Zeit, die Frage auszuwechseln: Längerfristig wird doch Trump immer wie mehr zu „Schnee von Gestern“, die jetzige Frage somit immer irrelevanter. Die neue Frage gäbe den Gästen wieder mehr Raum zum Nachdenken, differenzierter zu antworten und die Emotionen nicht mehr so hochkommen zu lassen.
    Einen (zeitgemässen) Versuch wäre es doch wert….
    NB: Natürlich könnte man die Frage auch umdrehen: „Sind die Medien gut für Joe Biden?….“ Doch lassen wir das.

  2. Endlich sagt das, was ich schon lange denke, einmal jemand: „Die gedruckten Tageszeitungen dieser Tage sind zum Teil nur noch Attrappen.“ Und gesagt ist aber auch hier Folgendes nicht: Es wird auch im Bereich Medien viel zu viel Abfall produziert und – auf Papier oder digital – veröffentlicht.

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