Sylvia Egli von Matt: «Ein Beruf ohne Nachwuchs steht vor einer schwierigen Zukunft»

Publiziert am 22. Januar 2020 von Matthias Zehnder

Sylvia Egli von Matt hat jahrelang als Direktorin die Schweizer Journalistenschule MAZ geleitet. Im Fragebogeninterview macht sie sich heute Sorgen um den Nachwuchs: Es sei ein Alarmzeichen, «dass zunehmend weniger junge, gut qualifizierte Frauen und Männer in den Beruf einsteigen wollen. Volontariatsstellen könnten teils kaum mehr adäquat besetzt werden, sagen Ausbildungsverantwortliche in Redaktionen.» Für die Zukunft sei wichtig, dass sich die Medien selbstkritisch fragen, ob sie die jungen Menschen richtig abholen. «Jugendliche zu begeistern ist gar nicht so schwierig, wenn wir die richtigen Themen richtig aufbereiten.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Radio SRF, «Tagi», «Republik», abonnierte Newsletter, zum Beispiel «Infosperber», NZZ, «Blendle» sowie, je nach Lage der Weltpolitik, ausgewählte Medien-Websites.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Eher beobachtend aus beruflichem Interesse. Twitter ist eine wichtige Infoquelle.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Erst auf den Webseiten von SRF und BBC. Dann zappe ich durch die News von Tagi und NZZ – und, je nach Sprachraum, in dem das schlimme Ereignis passiert, suche ich lokale Medien-Websites.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

So pauschal gesehen: Weder – noch. Früher hatten wir JournalistInnen mehr Zeit für Recherche und Reflexion – und durch die andere Organisation bzw. Konstanz wohl auch grössere Dossierkompetenz. Heute gibt es dafür einfachere Recherchemöglichkeiten, mehr gewinnbringende Teamarbeit – etwa im Bereich des Datenjournalismus – und neue Visualisierungsmöglichkeiten. Doch Tempo- und Anpassungsdruck scheinen mir enorm. Ein Alarmzeichen ist, dass zunehmend weniger junge, gut qualifizierte Frauen und Männer in den Beruf einsteigen wollen. Volontariatsstellen könnten teils kaum mehr adäquat besetzt werden, sagen Ausbildungsverantwortliche in Redaktionen. Ein Beruf ohne geeigneten Nachwuchs steht vor einer schwierigen Zukunft.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ich hoffe sehr und bin eigentlich auch überzeugt, dass wir diese hohe Kulturtechnik nicht aufgeben. Eine rein orale und visuelle Gesellschaft wäre eine enorme Verarmung.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Ich mute mir nicht an zu wissen, was MAN gelesen haben muss. Mich brachte etwa der Briefwechsel zwischen Mary Mc Carthy und Hannah Arendt zum Nachdenken, oder ganz aktuell das Büchlein aus den 50 er Jahren, das mir ein Freund jüngst schenkte: «L’homme qui plantait des arbres» von Jean Giono. Es zeigt, wie aktuell und gültig auch 70 jährige kleine Texte sind. Ein wunderbarer Beweis für die Bedeutung des geschriebenen Wortes.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich kann sie besser weglegen als früher – doch ich gebe jedem Buch, das ich gekauft habe oder geschenkt bekomme, eine gewisse Chance. Doch fertig lesen muss ich nicht mehr – ganz – alles. Die Frage, ob ich meine doch immer begrenzter werdende Lebenszeit für ein Buch einsetze, das mich nicht packt, mir keine Anregung bringt oder dessen Sprache mich nervt, rückt zunehmend in den Vordergrund.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

An sehr vielen Orten: In Gesprächen mit meiner Familie, mit FreundInnen, an Sitzungen. Aber auch bei der Lektüre der «Zeit» und der «WOZ» – im Kino, beim Surfen im Netz, beim Reisen…

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Wenn ich das wüsste… Jüngst erklärte mir ein Medienjournalist, dass das dafür bestimmende Kriterium die Druckmaschinen seien. Wenn diese ersetzt werden müssten, komme das Ende der gedruckten Tageszeitungen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Sie sind wohl beides, so zynisch das klingen mag. Als Gefahr sehe ich die Unterwanderung der Glaubwürdigkeit von publizistischen Medien. Zur Chance werden sie, wenn eben diese Medien ihren Job gut machen, recherchieren, entlarven, erklären.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Nachrichten höre ich immer noch gern um 7 Uhr und das Echo der Zeit um 18 oder 19 Uhr. Roger Federer’s Spiel möchte ich live sehen, nicht zwei Stunden später. Anderes, wie Dokumentationen oder Gespräche, höre bzw. schaue ich oft auch später.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Noch zu wenig. Ich bin sie aber am Entdecken. Wenn ich noch lieber Kopfhörer tragen würde, wären sie wunderbar für die vielen Zugsreisen.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Die Medien müssen sich wohl selbstkritisch fragen, ob sie diese jungen Menschen richtig abholen. Wenn ich an die Klima-Jugend denke, wenn ich mich erinnere an die stundenlang wartenden Kinderschlangen vor der Neuausgabe eines Harry Potter Bandes, dann meine ich, Jugendliche zu begeistern ist gar nicht so schwierig, wenn wir die richtigen Themen richtig aufbereiten. Andererseits stelle ich an 16-Jährige nicht den Anspruch, dass sie «Tagi» oder NZZ lesen, das tat unsere Generation auch kaum. Sie sollen aber Lust bekommen, mehr über die Welt wissen und verstehen zu wollen. Diese Neugier können allerdings nicht nur die Medien fördern, sondern ebenso die Eltern/Grosseltern, die Schule, Vereine…

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Reine Resultate und einfache Fakten lassen sich durch Rechner zusammenstellen. Journalismus aber, der hinterfragt, einordnet und erklärt, Journalismus, der diesen Namen verdient, Journalismus, für den man bereit ist zu bezahlen, weil er einzigartig ist, wird wohl noch lange von Medienprofis gemacht.

Stichwort Medienkonzentration in Zürich: Spielt es eine Rolle, an welchem Ort in der Schweiz Verlage und Redaktionen angesiedelt sind?

Jein. Wichtiger als die örtliche Ansiedlung einer Redaktion scheint mit deren Zusammensetzung und deren Haltung. Es sollen Journalistinnen und Journalisten aus den verschiedenen Regionen, mit verschiedenen Hintergründen und Jahrgängen zusammen arbeiten. Und sie sollen raus gehen, nicht nur vor die Redaktionstüre, sondern in andere Gegenden und Gebiete.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Für Gesellschaft und Demokratie ist er unerlässlich und muss Zukunft haben. Das ist er, wenn er professionell attraktiv gemacht und als solcher erkennbar ist. Hier haben auch die Verlage eine grosse Verantwortung, in dem sie Werbebotschaften nicht als Journalismus verkaufen.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja – Tagebuch, Einkaufslisten, Ansichtskarten für EnkelInnen und Tanten. Und wichtige Erkenntnisse aus Sitzungen, die in spezielle Notizbücher kommen.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Beides. Mit seinen dauernden Twitterattacken versucht er, die Medien zu entwerten und ihre Bedeutung zu untergaben. Folge kann Verlust der Glaubwürdigkeit der Medien sein. Wie Auflagenzahlen zeigen, hat Trump aber auch positive Wirkungen – man will eben noch immer genau geprüften Journalismus.

Wem glaubst Du?

Glauben ist nicht so mein Ding. Ich möchte wissen, verstehen, dazu lernen.

Dein letztes Wort?

Der Medienwandel bedeutet Wandel für alle – Medienunternehmen, JournalistInnen, Nutzende. Wir sollten diesen Wandel verstehen und aktiv begleiten – statt ihn resignativ hinzunehmen.


Sylvia Egli von Matt
Sylvia Egli von Matt ist Vizepräsidentin der Eidg. Medienkommission und des Fachhochschulrates der Hochschule Luzern sowie Mitglied der Schweizerischen Unesco-Kommission. Sie hat an der Universität Zürich Pädagogik, Psychologie und Politische Wissenschaften studiert und war danach unter anderem politische Journalistin beim «Tages-Anzeiger» und Direktorin der Schweizer Journalistenschule MAZ.
www.eglivonmatt.ch


Basel, 22. Januar 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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