Sybil Schreiber: «Wie entlässt man einen Roboter?»

Publiziert am 24. Juni 2020 von Matthias Zehnder

Sie ist die weibliche Hälfte der Kult-Kolumne «Schreiber vs. Schneider». Im Fragebogeninterview wünscht sich Sybil Schreiber «noch lange mutige Tageszeitungen» und sagt, Donald Trump sei «für schlechte Medien gut, für gute Medien überflüssig». Sie wünscht sich «weniger Trampelpfade im Medienwald» und fragt sich, welche neuen Aufgaben die Robotisierung des Journalismus mit sich bringt: «Wird es eine Roboter-Destroy-Abteilung geben? Werden Roboter abgeworben? Wird es Edelfeder-Robby’s geben?»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich frühstücke am Wochenende sehr gerne ohne Weltgeschehen. Aber im Alltag gehört der Radiosender SWR1 dazu, besonders mag ich um 6.56 Uhr die Rubrik «Anstösse». Kluge Gedanken zum Zeitgeschehen voller Spiritualität und Menschenliebe. Dazu die «Zeit», kommt einmal die Woche, begleitet mich meist mehr als sieben Tage, sehr klug, sehr unaufgeregt, immer bereichernd.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Kein Twitter, aber Facebook und Instagram. Eine gute Form, um mit Freundinnen, Bekannten und Fans zu kommunizieren. Leicht, heiter, direkt, visuell. Auf diese Weise bekommen wir auch viel Feedback zu unserer Kolumne «Schreiber vs. Schneider», zu unseren Büchern und Kursen. Und ganz ehrlich, diese Resonanz ist für mich ein grandioser Energiespender.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich war mehr im Netz, die Pressekonferenzen live zu verfolgen war sehr bewegend. Seit Corona sind Zoom und House zu patenten Begegnungsorten geworden.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Wandlungen machen das Leben reicher, spannender, vielseitiger. So gesehen zieht der Wandel gewisser Medien, die in eine mir ferne Richtung gehen, einfach auch ein Wandel meines Konsumverhaltens nach sich. Ich lese heute andere Zeitungen als vor zwanzig Jahren.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Auf alle Fälle. Wer weiss, vielleicht wird die Sinnlichkeit eines Buches, einer raschelnden Zeitung noch viel wertvoller werden.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

«Im Meer schwimmen Krokodile» von Fabio Geda.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Lesen ist Lust. Ich gebe einem Buch 80 Seiten, wenn es mich dann nicht packt, berührt, fasziniert, landet es im Stapel der ungelesenen Bücher. Gut möglich, dass ich in ein zwei Jahren noch mal einen Versuch starte. Wenns dann wieder nicht klappt, ab ins Brockenhaus damit.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Durch Begegnungen. Im Zug, am Fluss, an der Tankstelle, nach Lesungen, während Kursen. Zufällige Gespräche mit fremden Menschen sind ein Fundus an Geschichten. Der Orgelspieler in einem Bergdorf, der sich als Schreiner einen Finger absägte und trotzdem die Orgel spielen konnte. Die Frau an der Kasse mit ihren schrill lackierten Nägeln samt fliegenden Schwalben, die sie sich zur bevorstehenden Pensionierung gegönnt hat. Gut möglich, dass diese Menschen in meine Kurzgeschichten tanzen werden.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Keine Ahnung, Hauptsache es gibt noch lange mutige Tageszeitungen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Sie sind einfach nur grässlich! Dass Lügen in dieser weltumspannenden Form verbreitet werden können, wird uns alle verändern. Wem glauben wir was? Worauf ist noch Verlass? Und resultiert daraus eine Istdochehallesfake-Haltung?

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio ist mein Lieblingsmedium und den ganzen Tag im Einsatz. Fernsehen selten, meistens «Tatort» oder «Polizeiruf». Ein Ritual aus meiner Jugendzeit.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Nein. Noch nicht. Aber eventuell lancieren wir selber einen, und wer weiss, vielleicht wird der dann mein Lieblingspodcast.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ein beunruhigender Kontaktverlust mit einer so spannenden Generation, die ja aktuell politisch toll aktiv ist.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Die Herren vom Verwaltungsrat müssten sich dann ganz neuen Aufgaben widmen: Wie entlässt man einen Roboter? Wird es eine Roboter-Destroy-Abteilung geben? Werden Roboter abgeworben? Wird es Edelfeder-Robby’s geben? Enthüllungs-Robbianen?

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Tod? Befreiung? Klingt grad so, als wäre Journalismus Krieg. Die Digitalisierung treibt doch neue Blüten. Eine Fülle, die reizvoll ist. Auch wenn ich im Daten-Dschungel oft den Weg verliere.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Logisch, ich bin Optimistin.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Heitere Postkarten, unleserliche Einkaufszettel und leidenschaftliche Liebesbriefe.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Für schlechte Medien gut, für gute Medien überflüssig. Muss man darüber schreiben, wenn Trump rülpst? Ich wünsche mir weniger Trampelpfade im Medienwald.

Wem glaubst Du?

Meinem Gefühl, verlässlichen Menschen und Taten mehr als Worten.

Dein letztes Wort?

Lesen ist leise. Tut gut in dieser lauten Zeit.


Sybil Schreiber
Sybil Schreiber bietet als weibliche Hälfte der Kultkolumne «Schreiber vs. Schneider» seit zwanzig Jahren Woche für Woche in der «Coopzeitung» selbstironischen Einblick in ihr Leben als Paar. Sie gibt Schreibkurse, steht gemeinsam mit ihren Mann Steven Schneider auf der Bühne (aktuell mit ihrem Programm «endlich erwachsen») und ist auch literarisch unterwegs. Mit ihrem Debüt «Sophie hat die Gruppe verlassen» wurde sie ins Hauptprogramm an die Solothurner Literaturtage 2018 eingeladen. Im Herbst erscheint das neue Buch von Schreiber & Schneider «Nun sag, wie hast du’s mit der Liebe?» bei Elster& Salis.
www.schreiber-schneider.ch


Basel, 24. Juni 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Kommentar zu "Sybil Schreiber: «Wie entlässt man einen Roboter?»"

  1. Die eine «Schreiber vs. Schneider» – Hälfte nun auch im Zehnder-Interview….
    Wegen dieser unterirdischen Dauerkolumne in der Coop-„Zeitung“ habe ich dieselbe abbestellt. Und bei der zuckersüssen Abbestellungs-Nachfrage des Coop-Teams auch genau diesen Grund genannt.
    Genutzt hat es wohl wenig. Die Kolumne geht weiter. (OK – positiv für mich ist = ich habe weniger Altpapier….)
    Ich ertrug einfach nicht mehr das Edel-Feder-Paar, welches immer ihren Töchtern huldigt (selbstverständlich beide in Hochschulen gehend), welches auf Umwelt macht, aber schon in Namibia den Sonnenuntergang guckte, ein Week-End in New-York auf den Wolkenkratzern verbrachte, welches im biederen EFH in Zurzach wohnt, aber das „Urbane Leben“ preist, ich mag auch nicht mehr lesen, was der Haushund treibt, die Hauskatze, der Gartenigel, dass das Ticket in einer Tiefgarage einer österreichischen Stadt bei der Einfahrt mit ihrem Lieblings-Campingbus klemmte, dass die Elektrischen Zahnbürsten vom Parterre und Obergeschoss stets verwechselt werden, weil sie die selben Farben haben (ach wie ist das Leben doch hart) – solch Elitegeschreibe ist ein Schlag ins Gesicht aller Alleinerziehenden, Schlechtverdienenden oder Kranken, welche alle mit massiv anderen Problemen zu kämpfen haben!!!
    Alles ins Lächerliche ziehen, echte Probleme ignorieren und nur über Kanuabenteuerfahrten, eigenen Schreibhäusern in Altstädten berichtend, über gecharterte Ferienhäuser welche nicht dem gewünschten Standart entsprechen klagend und über I-Phone-Lappalien berichtend – das tat ich mir nicht mehr lägner an!
    Ehemals stolze Coop-„Zeitung“, wo gingst du hin mit solchen Beiträgen….

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