Susanne Sugimoto: «Es braucht dringend mehr Ressourcen im Journalismus»

Publiziert am 6. Dezember 2023 von Matthias Zehnder

Das 258. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Susanne Sugimoto, Co-Geschäftsführerin von Sugimoto-Consulting. Sie sagt, das veränderte Medienkonsumverhalten habe die Bereitschaft verringert, für Inhalte zu bezahlen. «Darunter leidet der Journalismus heute. Gleichzeitig sind glaubwürdige Medientitel, welche die Breite der Bevölkerung erreichen, heute von besonderer Bedeutung.» Eine der grossen Qualitäten der klassischen Medien sei es, «dass sie mir auch Beiträge zu Themen auf der Seite präsentieren, auf die ich selbst nicht gekommen wäre. Das erweitert den Horizont und lässt ein Neues entdecken.» Dem Journalismus in der Schweiz fehlen heute aber die nötigen Ressourcen: «Stellenabbau und Spardruck seitens der Verlage führen uns in eine Negativspirale mit unabsehbaren Folgen.» Daran sei nicht die Digitalisierung schuld: «Medien sterben analog und digital, weil die finanziellen Ressourcen fehlen.» Sie fordert deshalb: «Wir müssen uns alle an einen Tisch setzen und darüber sprechen, wie die Medienförderung der Zukunft aussehen wird. Nur die Zustellungsvergünstigung ist keine zeitgemässe Lösung mehr.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Es ist ein ganzes Menu. Für den Überblick gehören für mich die NZZ, «Republik», die BaZ, auf lokaler Ebene ausserdem «bajour» und als nach Basel ausgewanderte Zürcherin auch «Tsüri». Am Wochenende kommt die WoZ dazu.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, YouTube, TikTok und BeReal?

LinkedIn nutze ich unter der Woche täglich, auch beruflich als publizistischen Kanal. Aus der LinkedIn-Community erhalte ich viele für mich relevante Informationen. Instagram nutze ich immer öfter als Infoquelle. Dies, weil diverse Medien – «Die Zeit» und «Die Süddeutsche» – dort regelmässig ihren Inhalt anteasen. X, ehemals Twitter, verfolge ich selten, die Diskussionen werden mir dort oft zu polemisch geführt. Und Facebook ist eher Infotainment. An Tiktok taste ich mich gerade heran.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Abgesehen von der Sitzungskultur wenig. Ich war schon zuvor digital unterwegs.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Wenn ich die heutige Medienwelt anschaue, bietet sie mir als Konsumentin viele Chancen. Selten zuvor war es so einfach, täglich je nach Interesse mal die NYT oder die «Frankfurter Allgemeine» zu lesen. Viele Inhalte sind kostenlos zugänglich. Dieses veränderte Konsumverhalten hat aber die Bereitschaft verringert, für Inhalte zu bezahlen. Darunter leidet der Journalismus heute. Gleichzeitig sind glaubwürdige Medientitel, welche die Breite der Bevölkerung erreichen, heute von besonderer Bedeutung. In einer Zeit von «Fake News» und einer sich zunehmend polarisierenden Gesellschaft ist eine gemeinsame Faktenbasis für die Diskussion unerlässlich.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja. Unbedingt.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Beiträge von glaubwürdigen Medientitel – und dabei sollte man auch Beiträge lesen, die nicht nur die eigenen bestehenden Interessen ansprechen. Eine der grossen Qualitäten der Medien war früher, dass sie mir auch Beiträge zu Themen auf der Seite präsentiert haben, auf die ich selbst nicht gekommen wäre. Das erweitert den Horizont und lässt ein Neues entdecken.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich kann sie weglegen. Es ist aber möglich, dass mich in einem schlechten Buch ein Aspekt packt und ich es dennoch zu Ende lese, auch wenn ich es nicht überzeugend finde.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Von Freunden und Bekannten und in klassischen Medien.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Das ist schwierig zu sagen. Eine disruptive Entwicklung kann den Prozess unerwartet beschleunigen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Sie sind eine Herausforderung und eine Chance. Wenn es ein Medientitel schafft, als glaubwürdige Marke Fakten zu garantieren, kann sie profitieren. Die Qualität von «Fake News», getrieben auch durch KI, macht die Arbeit von Medienschaffenden jedoch zunehmend anspruchsvoll. Wer das begreift, kann eigentlich nur zum Schluss kommen: Es braucht dringend mehr Ressourcen im Journalismus. Stellenabbau und Spardruck seitens der Verlage führen uns in eine Negativspirale mit unabsehbaren Folgen. Und es braucht einen Plan, wie sich der Gesellschaft Medienkompetenz vermitteln lässt, damit die Leser:innen Wahres von Unwahrem unterscheiden können.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Informationssendungen schaue ich noch immer am Fernsehen, allerdings meist zeitversetzt, wann immer es in meine Agenda passt.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Wenig. Das macht mich hibbelig. Als visueller Mensch lese ich lieber.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Es ist zuerst einmal eine Aussage, die zum Nachdenken anregt, gerade auch mit Blick auf die Demokratie. Wir brauchen eine gemeinsame Basis, um demokratische Diskussionen führen zu können. Für die Medien sollte es vor allem bedeuten, dass sie sich fragen müssen, wie sie diese junge Generation erreichen. Damit meine ich nicht, dass sie sich überlegen müssen, wie sie diese für die bestehenden News-Angebote begeistern können, sondern wie sie die Informationen aufbereiten müssen, damit die Auseinandersetzung mit Informationen in die Lebensrealität der jungen Menschen passt.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Die Produktion gewisser Texte lässt sich automatisieren – und das geschieht auch heute schon. Für die Zukunft eines Medienhauses ist das jedoch nicht die entscheidende Frage. Die Ansprüche an Medientitel werden auch zukünftig dieselben sein: Glaubwürdigkeit, Aktualität, Einzigartigkeit, Qualität – das sind die Faktoren, die für Mediennutzende zählen. Bei vielen dieser Aspekte kann Automatisierung eine Rolle spielen. Sie kann die Arbeit erleichtern, aber die Gefahr besteht, dass einzelne Bereiche darunter leiden. Zum Beispiel können Glaubwürdigkeit und Qualität darunter leiden, wenn automatisierte Prozesse zum Einsatz kommen. Und ehrliche gesagt, möchte ich es mir, gerade bei Texten mit mehreren Protagonist:innen nicht nehmen lassen, einen Text zu gestalten, mit allen Stilmitteln, die es gibt

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch. Medien sterben analog und digital, weil die finanziellen Ressourcen fehlen. Die Digitalisierung hat unseren Alltag verändert. Darin können Medien eine Chance sehen und im besten Fall eine Überlebensstrategie daraus entwickeln.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja. In der kleinteiligen Schweiz ist es noch schwieriger als in anderen Ländern, rentable Businessmodelle für Journalismus zu entwickeln. Der Regionaljournalismus verschwindet bis auf ein paar innovative städtische Projekte, die allerdings ständig in finanziellen Schwierigkeiten stecken. Anstatt journalistisch zu arbeiten, müssen sie viel Zeit für Fundraising aufwenden. Kultur- und Wissenschaftsjournalismus wurden von den grossen Verlagen fast ganz weggespart. Eine kritische gesellschaftliche Einordnung findet hier kaum mehr statt. Wir müssen uns alle an einen Tisch setzen und darüber sprechen, wie die Medienförderung der Zukunft aussehen wird. Nur die Zustellungsvergünstigung ist keine zeitgemässe Lösung mehr.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Selten. Glückwünsche und Kondolenzschreiben.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Wie jede extreme und radikalisierende Persönlichkeit ist Donald Trump für die Medien reizvoll. Es ist schwierig, sich dem zu entziehen, die notwendige Distanz zu behalten und den Inhalt wieder in den Fokus zu rücken. Das ist eine Herausforderung für alle Medien.

Wem glaubst Du?

Journalistinnen und Journalisten, deren Arbeiten ich kenne und Medientitel, die genügend Ressourcen in die journalistische Arbeit und Recherchen investieren.

Dein letztes Wort?

Es gibt viele gute Medien. Wir müssen sie nur wollen, lesen, hören, nutzen und vor allem unterstützen.


Susanne Sugimoto
Susanne Sugimoto hat an der Universität Zürich Geographie und Wirtschaftsinformatik studiert und hält einen Master in Advanced Studies in Communication and Leadership der ZHAW. Sie war in verschiedenen Grossunternehmen (Coop, Holcim) in leitenden Funktionen in der Kommunikation tätig und ist Gründungsmitglied des Online-Magazins «Republik». Heute ist sie Co-Geschäftsführerin ihres eigenen Kommunikationsunternehmens, Co-Präsidentin von Fairmedia und Co-Redaktionsleiterin des Fachmagazins «The Philanthropist».
https://sugimoto-consulting.ch/


Basel, 6. Dezember 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: Ferdinando Godenzi

Seit Ende 2018 sind über 250 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

Wenn Sie kein Fragebogeninterview verpassen möchten,  abonnieren Sie einfach meinen Newsletter. Das kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen «Medienmenschen» sowie den aktuellen Wochenkommentar, einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman: www.matthiaszehnder.ch/abo/

 

3 Kommentare zu "Susanne Sugimoto: «Es braucht dringend mehr Ressourcen im Journalismus»"

    1. Es ist immer die Frage, was man mit «Medien» meint. Wenn Sie alles meinen, was da über die Bildschirme kreucht und fleucht, dann hat die Zahl der Medien dramatisch zugenommen. Wenn man die publizistischen Medien anschaut, dann sieht die Sache ganz anders aus: Seit 2009 ist die Zahl der publizistischen Titel in der Schweiz von 310 auf 251 zurückgegangen. Die verbreitete Auflage hat sich dabei von 8,8 Mio Ex. auf 4,8 Mio Ex. praktisch halbiert.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.