Susanne Marxer: «Es ist ein Mythos, dass die Medien früher besser waren»

Publiziert am 26. Oktober 2022 von Matthias Zehnder

Das 200. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Susanne Marxer, Leiterin der Abteilung Medien im Bundesamt für Kommunikation (Bakom). Sie sagt, früher sei die Qualität der Medien in der Schweiz keinesfalls besser gewesen. Trotzdem «muss die Tendenz Sorgen bereiten: Zusammenlegung oder Ausdünnung von Redaktionen, Entlassungen, Arbeitsbedingungen. Darunter leiden die Vielfalt und die Qualität, aber auch das Ansehen des Berufs.» Sie geht davon aus, dass sich die Medienlandschaft der Schweiz weiter verändern wird. Das betrifft vor allem gedruckte Tageszeitungen: Sie vermute, dass «die tagesaktuelle Informationsbeschaffung schon bald grossmehrheitlich via Internet erfolgt. Die gedruckte Presse sehe ich bei weniger Ausgaben mit mehr Vertiefung.» Marxer ist überzeugt, dass die Schweiz eine Medienförderung braucht. Aber: Staatliche Medienförderung lasse sich «staatsfern ausgestalten, was ein absolut zentraler Grundsatz» sei. 

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Am Morgen klicke ich mich als Erstes durch ein paar Websites. Häufig mache ich einen sehr frühen morgendlichen Spaziergang und höre das «Echo der Zeit» vom Vorabend.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Man möchte ja nichts verpassen und überall dabei sein. Die Zeit (und die Lust) ist aber begrenzt. Ich fokussiere also: Twitter ja, Facebook passiv, Instagram nein. 

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Die Corona-Zeit hat das Leben extrem entschleunigt. Wie viele andere habe auch ich das Spazieren entdeckt, und was eignet sich dafür am besten? Podcasts. Das Angebot an interessanten Podcasts ist mittlerweile riesig. 

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Ich glaube, es ist ein Mythos, dass die Medien früher besser waren. Im Gegenteil: Früher gab es viel weniger verfügbare Angebote, und die Qualität war meines Erachtens auf keinen Fall besser. Trotzdem muss die Tendenz Sorgen bereiten: Zusammenlegung oder Ausdünnung von Redaktionen, Entlassungen, Arbeitsbedingungen. Darunter leiden die Vielfalt und die Qualität, aber auch das Ansehen des Berufs.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Aber sicher. Die Frage ist nur, ob analog oder digital.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Es ist egal – Hauptsache lesen. Lesen entspannt, lesen regt an, lesen erweitert den Horizont. Ich finde es dabei wichtig, dass man sich bewusst von der Tagesaktualität löst und auch Literatur jeglicher Art, Sachbücher, Krimis, Comics, Magazine oder anderes liest.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Früher nicht, aber mittlerweile sehe ich keinen Sinn mehr, mich mit Büchern abzumühen, die mir nicht gefallen. Es gibt so viele Bücher, wieso soll ich also ein schlechtes Buch lesen – wobei dies natürlich sehr individuell ist, was ein schlechtes Buch ist.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Da gibt es viele Gelegenheiten: Gespräche, zappen am TV, sich auf YouTube von Video zu Video hangeln und so weiter.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

«Tages» würde ich bezweifeln, denn ich vermute, dass die tagesaktuelle Informationsbeschaffung schon bald grossmehrheitlich via Internet erfolgt. Die gedruckte Presse sehe ich bei weniger Ausgaben mit mehr Vertiefung.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Einerseits können sich die Medien als vertrauenswürdige Informationsquellen abgrenzen. Das ist eine grosse Chance. Andererseits sind Fake News grundsätzlich Gift für das gesellschaftliche Zusammenleben und sie haben das Potenzial, Medien insgesamt in Verruf zu bringen. 

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Linear konsumiere ich viel weniger als on demand. 

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja, häufig. Dabei bin ich für vieles offen: Information, Kultur, Wissen, Fremdsprachen etc. Nie verpasse ich den Sonntags-Podcast von Tamedia «Nia liest», insbesondere wegen der schönen Radio-Stimme.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ich glaube nicht, dass diese Generation grundsätzlich nicht an politischen und gesellschaftlichen Themen interessiert ist. Ich vermute aber, dass die junge Bevölkerung vom riesigen Angebot, aber auch von der überbordenden Menge schlechter Nachrichten schlichtweg überfordert ist. Die Frage ist: Sind diese Altersgruppen für immer verloren? Das würde dazu führen, dass die Leitmedien konstant an Bedeutung verlieren würden, womit ihre eigene Existenz gefährdet wäre, aber auch der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Demokratie Schaden nehmen würden. 

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Wahrscheinlich mehr, als wir uns heute vorstellen können. 

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Der Kampf um Aufmerksamkeit im World Wide Web ist gnadenlos. Vielleicht müsste eine Art «must carry» oder eine privilegierte Sichtbarkeit zugunsten von Qualitätsmedien überlegt werden.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja. Staatliche Medienförderung lässt sich übrigens staatsfern ausgestalten, was ein absolut zentraler Grundsatz ist. 

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Den Einkaufszettel. 

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Gut war allenfalls, dass er das Phänomen Fake News bekannt gemacht hat und die Bevölkerung sensibilisiert wurde. Aber wenn einer der mächtigsten Politiker ihm unliebsame Medien als Lügenpresse verunglimpft und die Pressefreiheit angreift: sehr schlecht. 

Wem glaubst Du?

Glaube verbinde ich mit Religion. Ich vertraue den Qualitätsmedien. Aber es schadet nie, mehr als ein Medium zu konsultieren und sich zudem auch unbequemen oder überraschenden Perspektiven zu stellen. 

Dein letztes Wort?

Es gibt keine Demokratie ohne freie Medien.


Susanne Marxer
Susanne Marxer ist seit November 2020 Leiterin der Abteilung Medien im Bundesamt für Kommunikation (Bakom) und unter anderem zuständig für die Medienregulierung. Vorher war sie Co-Sektionsleiterin im Bakom mit Schwerpunkt Rechtsetzung, unter anderem als Projektleiterin des Entwurfs eines Bundesgesetzes über elektronische Medien oder des Massnahmenpakets zugunsten der Medien. Sie hat in Bern Rechtswissenschaften studiert und mit dem Doktorat abgeschlossen.
https://www.bakom.admin.ch/


Basel, 26. Oktober 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 190 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/ 

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Ein Kommentar zu "Susanne Marxer: «Es ist ein Mythos, dass die Medien früher besser waren»"

  1. Durch die konsequente Ausblendung mehrerer Sichten
    mit evidenzbasierten Fakten, zwecks Erhaltung der eigenen Deutungshoheit, werden die Medienhäuser täglich unglaubwürdiger. Die Lüge mit Halbwahrheiten und Fakes wird gesellschaftskonform gemacht und damit klare Wahrheiten vertuscht.

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