Susanne Brunner: «Ich liebe Live-Radio und -Fernsehen»

Publiziert am 8. Januar 2020 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Susanne Brunner, Nahostkorrespondentin von Schweizer Radio SRF, über ihren persönlichen Mediengebrauch, ihren Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Sie sagt, «Fake News» seien immer schon eine Gefahr gewesen: «nicht für die Medien, sondern für uns Menschen. Wer nicht richtig informiert ist, handelt falsch, löst im schlimmsten Fall Kriege aus.» Sie liebe Live-Radio und -Fernsehen. «Gerade auch in der Region, wo ich jetzt gerade lebe. Live-Radio ist in Jordanien das freieste Medium, die Leute sagen ihre Meinung da ziemlich unverblümt, es wird diskutiert.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Das Radio.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Ich bin nicht auf Facebook, Twitter ist für mich ein quasi obligatorisches Arbeitsinstrument, auf Instagram gebe ich vor allem meinem erweiterten Freundeskreis «Lebenszeichen», damit sie wissen, wo im Nahen Osten ich mich gerade aufhalte.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Je vielfältiger die Quellen, desto besser. Ich war US-Korrespondentin, als 9/11 geschah. Da gab es unglaublich viele Fehlinformationen in den Medien, vor allem in den ersten Stunden nach den Anschlägen. Aber auch danach. Ein solches Ereignis ist auch sehr vielschichtig. Es gibt die Ebene der Augenzeugen – ich konnte mit Freunden in New York reden –, es gibt aber auch die polizeiliche und geheimdienstliche Ermittlungsebene, und die (welt-)politische – da sind wohl bis heute nicht ganz alle Fragen geklärt worden, obwohl 2004 der «9/11 Commission Report» veröffentlicht wurde, für den über 1200 Leute in mehreren Ländern befragt wurden. Im Nahen Osten kommt man fast nur über direkten Kontakten zu Informationen, die einem ermöglichen, mühsam ein Bild der Wahrheit zu erstellen. Denn: in den Staatsmedien gibt es kaum relevante Informationen, und die sozialen Medien sind voll von Gerüchten. Die Wahrheitssuche ist ja auch DIE grosse Herausforderung für uns JournalistInnen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Das kann ich nicht objektiv beurteilen. Früher war ich jünger und konsumierte Medien anders als heute, deshalb kann ich nicht einfach so einen Direktvergleich machen.

Wie hat sich Dein Urteil über die Schweizer Medien verändert, seit Du in Amman bist?

Warum sollte sich in Amman mein Urteil über Schweizer Medien verändern? Was sich allenfalls verändert hat, ist meine Wahrnehmung der Themen, die die Schweiz beschäftigen. Hier in Jordanien sind Zugsverspätungen kein Thema, weil es kaum öffentliche Verkehrsmittel gibt, und Pünktlichkeit keine absolute Grösse ist.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Solange wir noch lesen und schreiben lernen, hat das geschriebene Wort auf jeden Fall eine Zukunft. Und Menschen werden viel tun, um das geschriebene Wort zu retten, das habe ich in Bagdad gesehen. Dort zerstörte 2007 eine Bombe den gesamten Büchermarkt an der Mutannabi-Strasse, den es seit dem achten Jahrhundert gibt. Doch er wurde wiederaufgebaut, heute gibt es dort wieder Bücher, Schreibende und vor allem auch Lesende, obwohl viele kaum Geld fürs Nötigste haben. Auf diesem Büchermarkt tummeln sich gerade auch sehr viele junge Leute. Wenn das geschriebene Wort selbst im kriegsversehrten Bagdad noch eine solche Bedeutung hat, dann hat es sicher eine Zukunft.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Ein Buch, das man nicht weglegen kann, bis die letzte Seite gelesen ist. Idealerweise möglichst viele solche Bücher, Artikel, Gedichte, Essays, Briefe.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich habe keine Geduld für schlechte Bücher. Wenn mich ein Buch nach ein paar Seiten nicht packt, lege ich’s weg. Ausser, ich muss es für meine Arbeit lesen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Überall!

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Das weiss ich nicht.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Meine allererste Journalismus-Vorlesung im 1984 handelte von «Fake News». Es ging damals um die Berichterstattung über die Titanic-Katastrophe von 1912. Der Professor zeigte uns damals eine Zeitungsschlagzeile: «Titanic sinking, no lives lost.» Heute werden solche Falschmeldungen zwar schneller verbreitet als früher, aber «Fake News» waren immer schon eine Gefahr: nicht für die Medien, sondern für uns Menschen. Wer nicht richtig informiert ist, handelt falsch, löst im schlimmsten Fall Kriege aus.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich liebe Live-Radio und -Fernsehen. Gerade auch in der Region, wo ich jetzt gerade lebe. Live-Radio ist in Jordanien das freieste Medium, die Leute sagen ihre Meinung da ziemlich unverblümt, es wird diskutiert.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich erlebe hier selbst so viel, dass ich nur wenig Zeit habe für Podcasts. Ich höre meist nur solche, die mir FreundInnen empfehlen.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Hätte das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich mich mit 16 zu meinen News-Gewohnheiten gefragt, hätte ich geantwortet: «lese keine Zeitungen, lese lieber Bücher, höre kein ‹Echo der Zeit› (‹so langweilig, keine Musik›), höre lieber ‹Radio 24› oder ‹SWF 3›.» Ich würde aber heute nicht behaupten, dass ich mich zur «News-Deprivierten» entwickelt habe. Ich möchte die fög-Zahlen nicht kleinreden. Ich bin nur überzeugt, dass sich News-Bedürfnisse je nach Alter verändern können oder ganz einfach unterschiedlich sind. Meine Grossmutter (selig) las in den «Glarner Nachrichten» jeweils nur das Amtsblatt und die Rubrik «Unfälle und Verbrechen». Die NZZ las sie nie. Selbst, als sie endlich das Stimmrecht bekam. Trotzdem ging sie immer recht gut informiert abstimmen. Sie kam auf vielen verschiedenen Wegen zu ihren Informationen: Indem sie mit ganz unterschiedlichen Leuten sprach, mal etwas am Radio hörte, oder auch mal durch einen Artikel, den ihr jemand empfohlen hatte, und der so geschrieben war, dass er sie interessierte. Sie interessierte, was unterschiedliche Menschen zu einem Thema zu sagen hatten. Das ging mir genauso. Eines meiner journalistischen Schlüsselerlebnisse war eine «Input»-Sendung auf damals DRS 3 zur Sandoz-Katastrophe von 1986. Da kamen alle zu Wort, und am Schluss konnte ich mir eine eigene Meinung bilden. Solche Sendungen, Reportagen, Artikel, Podcasts, die News relevant und inspirierend machen, werden auch «News-Deprivierte» erreichen. Vorausgesetzt, es gibt noch Leute, die Zeit und Geld in Recherche und Produktion investieren.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Nein.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Es gibt im Nahen Osten viele mutige Investigativ-Journalistinnen und -Journalisten, die trotz Zensur, Verfolgung und Drohungen alles daransetzen, professionellen Journalismus zu machen. Sie glauben daran. Obwohl in dieser Region eigentlich fast alles dagegenspricht. Und nun soll ich sagen, rein publikums- und finanzstatistisch gesehen habe professioneller Journalismus keine Zukunft? Klar hat er eine Zukunft.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Oh, ehrlich…! Hier hat Präsident Trump möglicherweise gerade ein Pulverfass angezündet, und dabei ist ein neuer Krieg das Letzte, was diese Region braucht… das beschäftigt mich gerade viel mehr, als die Frage, ob Trump gut oder schlecht für die Medien ist…

Wem glaubst Du?

In dieser Region: meinem Bauchgefühl.

Dein letztes Wort?

Hoffentlich noch lange nicht…


Susanne Brunner

Susanne Brunner ist seit 2018 Nahostkorrespondentin von Schweizer Radio SRF. Die Glarnerin wuchs in Kanada, Schottland, Deutschland und der Schweiz auf. In Ottawa studierte sie Journalismus. Bei SRF war sie zuerst Redaktorin und Moderatorin, unter anderem bei «Input» und «Focus» (SRF3), machte einen Abstecher zu «10 vor 10» beim Schweizer Fernsehen, danach folgten sechs Jahre als USA-Korrespondentin in San Francisco. Nach ihrer Rückkehr war sie Korrespondentin in der Westschweiz, bevor sie 2006 zum «Tagesgespräch» auf SRF 1 und SRF 4 News wechselte, das sie bis zu ihrem Umzug nach Amman, Jordanien, moderierte.
https://www.srf.ch/news/international


Basel, 8. Januar 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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