Susan Boos: «Früher war alles besser, weil wir jung waren»

Publiziert am 13. März 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit der Zürcher Journalistin Susan Boos, die bis 2017 Redaktionsleiterin der «WoZ» war, über ihren persönlichen Mediengebrauch, ihren Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Boos findet die Idee von «Tagi»-Boss- Pietro Supino, man könne Journalismus auch durch Roboter erledigen lassen, «ehrverletzend». Sie sagt: «Immer mehr intellektuell Schiffbrüchige treiben ohne Kompass durchs Netz – offen für Unsinn und Propaganda.» Deshalb lasse sich feststellen: «Als Geldmaschine hat der Journalismus ausgedient, als Berufung hat er eine lichte Zukunft.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Nix Frühstück. Vor dem Aufstehen ziehe ich mir die Nachrichten von Radio SRF1 rein. Nachher les ich quer durch die Beete – von der «Aargauer Zeitung» bis zu «Wired».

Im Zweifel lieber Text ohne Bild oder Bild ohne Text?

Im Zweifel Ton ohne Text und Bild.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Was ist das? Im Ernst: Wenn ich recherchiere, scanne ich alle Social Media, sowie ich auch immer noch Bibliotheken konsultiere, je nach Thema und Notwendigkeit. Aber selber habe ich keine Zeit, das Social-Media-Monster zu füttern.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Das hängt vom Schlimmen ab. Beim Super-GAU von Fukushima direkt bei den ExpertInnen – da es mein Thema ist. Also über individuelle Kanäle und Kontakte. Ansonsten für die schnellen Infos das Radio. Für erste Analysen und Backgrounds die grossen Zeitungen, immer aber auch linke, unabhängige Medien wie «taz», «telepolis», «Guardian», «Mother Jones» etc.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Früher war natürlich alles besser, weil es keine Computer, kein Internet und keine Social Media gab.

Die Filterbubble fand in der Kirche statt. Und die hatte ihre eigenen Blätter, schimpfte gegen die wilde Ehe, das Frauenstimmrecht, die Abtreibung und den Antichrist. Die freisinnige Presse war auf Kommunistenfresserkurs. Frauen waren Sekretärinnen, nie Chefredaktorinnen.

Aber ansonsten war alles besser, weil wir jung waren.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Interessante Frage, keine Ahnung.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

«LTI» von Victor Klemperer.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Es fehlt die Zeit, um schlechte Bücher zu Ende zu lesen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Überall, weil mich blöderweise fast alles interessiert.

Wie lange gibt es noch gedruckte (Tages)Zeitungen?

So lange es noch Druckereien gibt und sich die Verleger das Papier noch leisten.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Uff, was sind True News?

Wenn man unter «Fake News» den Unsinn versteht, den Menschen mit Macht erzählen, beflügeln sie den Journalismus. Weil wir JournalistInnen uns daran abarbeiten, die Wahrheit zu finden, die es so einfach nicht gibt.

Wenn man unter «Fake News» diffamierende Propaganda versteht, sollten wir sie auch so nennen. Denn sie ist tödlich, nicht nur für JournalistInnen.

Sobald es Mut braucht, JournalistIn zu sein, hat der Unsinn in den Aggregatszustand der diffamierenden Propaganda gewechselt.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Höre und schaue live, wenn es zeitlich grad passt.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ab und zu. Nicht wirklich.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Immer mehr intellektuell Schiffbrüchige treiben ohne Kompass durchs Netz – offen für Unsinn und Propaganda.

Eine bittere Erkenntnis, die eine demokratische Gesellschaft beschäftigen muss. Aber vielleicht war es nie anders und akzentuiert sich immer in Zeiten des Umbruchs.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Hält er wirklich so wenig von den JournalistInnen, die für seine Blätter arbeiten? Das wäre ehrverletzend.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Solange die Aufklärung nicht tot ist, ist der Journalismus unausrottbar. Manchmal kann man damit viel Geld verdienen, manchmal riskiert man das Leben dafür.

Deshalb lässt sich im Moment konstatieren: Als Geldmaschine hat der Journalismus ausgedient, als Berufung hat er eine lichte Zukunft. Menschen gehen dafür in den Knast – Türkei 68, China 47, Ägypten 25, Saudi-Arabien 16, Eritrea 16 inhaftierte JournalistInnen Ende 2018. Für welchen anderen Beruf tun das die Leute?

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Manchmal stundenlang. Wie soll man sonst im Gerichtssaal Notizen machen?

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Ist er gut oder schlecht für die Welt? Da sind wir wieder bei den True News, dem Unsinn und der Propaganda…

Wem glaubst Du?

Niemandem. Drum bin ich Journalistin geworden.

Dein letztes Wort?

Ich muss jetzt an die Sonne.


Susan Boos

Susan Boos war ursprünglich Primarlehrerin, begann 1984 bei der «Ostschweizer AZ», hat daneben ein bisschen Jus, Ethnologie und Politologie studiert, ist dann aber im Journalismus hängen geblieben. Sie hat drei Bücher über Nukleares geschrieben, das letzte über die AKW-Katastrophe von Fukushima. Dreizehn Jahre leitete sie die Redaktion der WOZ.  Seit Anfang 2018 flottiert sie frei recherchierend für die WOZ und hat nun den Traumjob.

www.woz.ch – das Archiv mit allen Texten ist frei zugänglich.


Basel, 13. März 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jede Woche ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar und einen Buchtipp. Einfach hier klicken.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.