Stefanie Hablützel: «Mein Wunsch: Mehr Kooperation, weniger Futterneid»
Das 272. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Stefanie Hablützel, freie Journalistin mit Schwerpunkt investigative Recherchen. Sie sagt, sie lese aus digital Zeitungen «meist im Layout, weil es ästhetisch die grössere Freude ist und inhaltlich die bessere Übersicht bietet.» Sie hofft deshalb: «Es wäre schön, wenn dieses Geschäftsmodell weiterhin Bestand hat.» Denn: «Interessensgetriebene Desinformationen im Internet ist inzwischen so erfolgreich, dass die Arbeit von professionellen Journalist:innen diskreditiert wird.» Newsdeprivierte Jugendliche machen ihr keine Sorgen: «Relevanter ist, dass rund 40 Prozent der gesamten Bevölkerung kaum journalistische Medien konsumieren. Das ist ein demokratiepolitisches Risiko.» Zumal jetzt Chatbots «reproduzieren, was sie im Internet (gratis und oft ohne Quellen) abgrasen». Wäre Medienförderung eine Lösung? Nur «wenn bisherige Finanzierungsmodelle wegfallen», findet Stefanie Hablützel. «Viel wichtiger aber sind mutige und gut ausgebildete Medienschaffende.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Radio SRF 1 mit «Heute Morgen» und dem «Regionaljournal». Dann, je nach morgendlichem Zeitbudget, «Südostschweiz», «Engadiner Post» und die nationalen Tageszeitungen plus ein Blick auf Twitter.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok und BeReal?
Diese unterhaltsamen Zeitfresser habe ich von meinem Mobiltelefon verbannt. Auf dem Laptop scrolle ich mich ab und zu durch die Feeds um zu schauen, was so läuft. Hinweise auf eigene Publikationen veröffentliche ich am liebsten auf LinkedIn, die Debatte ist dort am besten.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Ich lese deutlich mehr und gezielter. Wichtige Werkzeuge sind Suchaufträge in der Schweizerischen Mediendatenbank SMD, Fachzeitschriften in der Bibliothek und diverse Newsletter zu Themen (zum Beispiel «Down to Earth» vom Guardian) und zum Journalismus (zum Beispiel «Online Recherche Newsletter» von Sebastian Meineck).
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Ich bin sehr froh, dass ich die Ära des Fax nicht erleben musste und schätze das Öffentlichkeitsprinzip – auch wenn sich manche Behörden damit schwertun. Die Informationsfülle in Mausklickdistanz ist riesig und erleichtert eine Recherche ungemein.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Ja. Geschriebene Worte sind unschlagbar punkto Effizienz und Aufbewahrung.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Sachbücher («Umweltrecht in a nutshell» von Alain Griffel), Publikationen von Journalistinnen und Journalisten («Die Asbestlüge» von Maria Roselli, «Auge um Auge. Die Grenzen des präventiven Strafens» von Susan Boos), Literatur («Die Kinder sind Könige» von Delphine de Vigan), Fachbücher zu Journalismus («Journalistisches Texten» von Jürg Häusermann).
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Ich ärgere mich, dass ich sie gekauft habe und lege sie weg.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Es gibt keinen bestimmten Ort. Inspirierend sind zufällige Begegnungen, Gespräche, Ausflüge, Spaziergänge, Museen und Bibliotheken.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Zeitungen mit ihrer Grösse sind bis heute unschlagbar punkto Informationsvermittlung. Auch wenn ich Zeitungen digital lese, tue ich dies meist im Layout, weil es ästhetisch die grössere Freude ist und inhaltlich die bessere Übersicht bietet. Es wäre schön, wenn dieses Geschäftsmodell weiterhin Bestand hat.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Interessensgetriebene Desinformationen im Internet ist inzwischen so erfolgreich, dass die Arbeit von professionellen Journalist:innen diskreditiert wird.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Live immer am Donnerstag «Sounds», sonst meistens zeitversetzt.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Evergreens beim Putzen und Spazieren sind die «Samstagsrundschau» und das «Tagesgespräch». Sonst querbeet je nach Interesse. Ein eindrückliches Hörerlebnis war «Saal 101 – Dokumentarhörspiel zum NSU-Prozess». Das 24-teilige Stück erzählt den NSU-Prozess mit Protokollen und Notizen der ARD-Gerichtsreporterinnen und -reporter nach.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Relevanter ist, dass gemäss dem aktuellen «Jahrbuch Qualität der Medien» rund 40 Prozent der gesamten Bevölkerung kaum journalistische Medien konsumieren. Das ist ein demokratiepolitisches Risiko. Ich selbst habe mich bis 25 nur punktuell mit Nachrichten auseinandergesetzt («Das Magazin», die alte «Weltwoche», «Kunstbulletin», «Parkett»).
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Roboter sind nützliche Helfer für Journalist:innen, beispielsweise zum transkribieren und übersetzen (gibt es sogar für Rätoromanisch https://textshuttle.com/de). Doch Chatbots reproduzieren bloss, was sie im Internet (gratis und oft ohne Quellen) abgrasen. Die kritische Vernunft können sie nicht ersetzen. Entscheidend für die künftige Verwendung sind die Rahmenbedingungen und Kriterien, die immer von Menschen gesetzt werden. Hier braucht es Transparenz und Regeln.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Sollen zwölfjährige Gymnasiast:innen am Computer mit Photoshop gestalten dürfen oder ist das schädlich für sie? Diese Diskussion musste ich 2002 an einer Kantonsschule – damals als Lehrerin für Bildnerisches Gestalten – führen. Ich sehe das entspannt: Die Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten, für die Gestaltung wie für den Journalismus.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Medienförderung hilft, wenn bisherige Finanzierungsmodelle wegfallen. Viel wichtiger aber sind mutige und gut ausgebildete Medienschaffende.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ich schreibe regelmässig von Hand («Energel Liquid Gel Ink» von Pentel). Dazu gehören Ideen für Artikel, dramaturgische Strukturen und Notizen.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Offensichtlich lohnt es sich finanziell, jede Bewegung des ehemaligen US-Präsidenten zu vermelden, inhaltlich hingegen sicher nicht.
Wem glaubst Du?
Glauben ist nicht meine Domäne, deshalb bin ich mit 16 zusammen mit meinen Eltern aus der katholischen Kirche ausgetreten. Ich interessiere mich für Fakten und Argumente.
Dein letztes Wort?
Ich beobachte immer wieder, dass wichtige Recherchen und Analysen zu Missständen versanden, weil andere Medien sie nicht aufgreifen. Mein Wunsch: Mehr Kooperation, weniger Futterneid. Damit – wie von Jürg Häusermann schön formuliert – Journalismus Öffentlichkeit schafft und Diskussionen anstösst.
Stefanie Hablützel
Stefanie Hablützel (48) ist Freie Journalistin mit Schwerpunkt investigative Recherchen. Sie lebt in Chur. Bis Sommer 2023 war sie zu 50 Prozent für Radio SRF im Studio Chur tätig, 2013 – 2019 Co-Präsidentin des Recherchenetzwerks investigativ.ch. Hablützel hat an der Universität Basel Soziologie und Geschichte studiert (BA) und verfügt über das Höhere Lehramt für Bildnerisches Gestalten der Zürcher Hochschule der Künste.
https://habste.ch/
Basel, 13. März 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 270 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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2 Kommentare zu "Stefanie Hablützel: «Mein Wunsch: Mehr Kooperation, weniger Futterneid»"
Susan Boos …
Danke für den Hinweis. Ist korrigiert. Vermutlich die galoppierende Auto-Korrektur…