Simon Schaffer: «Vertrauen ist alles.»

Publiziert am 31. Mai 2023 von Matthias Zehnder

Das 231. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Simon Schaffer, Podcast Produzent bei «NZZ Akzent». Er sagt, dass heute «zu viele gute Leute aus dem Journalismus aussteigen», gleichzeitig würden aber «tolle Leute (darunter viele junge) hart daran arbeiten, dass es weiter geile Sachen gibt». Eine grosse Gefahr sieht er in Fake News. Schaffer ist deshalb überzeugt, dass es weiterhin «vertrauenswürdige Redaktionen, Teams, die gute Arbeit machen» gibt – und auf der Nutzerseite «Menschen, die darauf vertrauen». Die Digitalisierung der Medien führe zwar «zu richtig viel Chaos und zu vielen Fragen». Der Prozess der Digitalisierung «läuft und läuft», werde «hoffentlich immer vielseitiger», und deshalb werde er «vielleicht nie zu einem Ende kommen.» Schaffer ist überzeugt: «Ob es jetzt Hören, Fühlen oder eben Anschauen und Lesen ist: Hauptsache gut gemacht.» Guter Journalismus «mit hohem Mensch-Anteil» werde gesucht bleiben.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Das Medium Marmite auf Brot und Butter! Nein, im Ernst, ich probiere, beim Frühstück noch nicht allzu viele Infos zu konsumieren.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

An mein Facebook-Profil will ich lieber nicht denken, das gammelt so vor sich hin. Bei Twitter bin ich noch, aber ganz ehrlich, wirklich sympathisch ist das auch inhaltlich nicht mehr. Die Algorithmen (und nicht nur die) machen mir echt Sorgen. Und Insta wechselt mal zwischen inspirierend, dann belastend und wieder für einige Wochen gelöscht.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Eher wenig, denke ich.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder noch. Würde ich heute durch die damalige Zeit gehen können, würde ich wohl einiges in den Redaktionen sehr fragwürdig finden. Machismo allenthalben. Ich habe keine Ahnung von der angeblich «goldenen Zeit», ich war nicht dabei. Ich weiss nur, dass heute zu viele gute Leute aus dem Journalismus aussteigen, während gleichzeitig tolle Leute (darunter viele junge) hart daran arbeiten, dass es weiter geile Sachen gibt.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ich hoffe doch. Ich denke, wir wollen unsere Sinne ja sinnvoll nutzen. Ob es jetzt Hören, Fühlen oder eben Anschauen und Lesen ist: Hauptsache gut gemacht. Geschrieben wird noch lange. Gelesen auch.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Das schlicht fantastische Buch «God, Human, Animal, Machine» von Meghan O’Gieblyn gibt mir aktuell Halt in der Diskussion um Künstliche Intelligenz. Generell sind O’Gieblyns Kolumnen im Magazin «Wired» pure Poesie, hochphilosophisch – und oft lustig.

Daneben Weltuntergang und der gute Umgang damit: «Parable of the Sower» der Prophetin Octavia Butler.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lese meistens fertig. Warte häufig bis zum Schluss, ob das, was mir missfallen hat, nicht doch ein Kunstgriff war.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Bei TikTok und Instagram gelegentlich. In Büchern und Podcasts. Am meisten aber: Fremden Leuten zuhören.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Ich habe keinen blassen Schimmer. Und das meine ich neutral.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Gefahr. Vertrauen ist alles. Vertrauenswürdige Redaktionen, Teams, die gute Arbeit machen, wird es aber weiterhin geben. Und damit auch andere Menschen, die darauf vertrauen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Lineares Fernsehen habe ich ehrlich gesagt schon lange nicht mehr geschaut, war auch nie der «Tagesschau»-Typ. Radio aber schon. In der Küche, beim Sport im Wohnzimmer.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Die Favoriten wechseln zu häufig. Regelmässig «NZZ Akzent» und «Megahertz» wegen der Arbeit. Hie und da auch «Apropos» und das «Politbüro». Dann: den grossartigen Wissenschaftspodcast «Ologies», für die Seele. Weil ich einen totalen Crush auf Moderatorin Alie Ward habe und sie Wissenschaft und Humor zum Schreien gut verbindet. Hie und da mal eine Folge «The Ezra Klein Show». Mein Guilty-Laber-Pleasure ist «Fest und Flauschig». Das wird aber immer mehr abgelöst von «Too many Tabs».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Dass man sie noch nicht abgeholt hat. Nicht, dass man alle aufs Mal abholen könnte … eher den Boden bereiten.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Keine Ahnung. Ein Teil vielleicht. Ob man das soll, ist eine andere Frage. Wenn Herr Supino sich den Boden für künftige Entscheidungen schlauerweise bereits jetzt selbst bereiten will, soll er das tun. Wirklich guter Journalismus wird wohl gesucht bleiben. Mit hohem Mensch-Anteil.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Sie führt zu richtig viel Chaos und zu vielen Fragen wie dieser hier. Währenddessen der Prozess läuft und läuft und hoffentlich immer vielseitiger wird. Solange es uns in dieser Form gibt, wird er vielleicht nie zu einem Ende kommen.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Unbedingt. Aber mit Blick auf die bereits stark monopolisierten Regionen. Eine, die langfristig – oder herrje, mittelfristig! – ausgerichtet ist; die auch junge Medienschaffende und ihre Ausbildungen fördert. Am Schluss: gute Information für Nutzer:innen als oberstes Ziel.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Täglich. Knapp lesbar in mein Notizbuch bei der Arbeit (Linkshänder halt). Schwer entzifferbar ins Tagebuch.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht. Zu starke Fokuspunkte sind gefährlich. Es hat keinen Mehrwert, wenn alle zu oft über denselben verlogenen Narzissten berichten. Einige Leute hat es darin bestätigt, dass man ohne Rücksicht auf Konsequenzen lügen und Medien instrumentalisieren kann. Dass es okay ist, ein Arsch zu sein. Das ist es aber nicht.

Wem glaubst Du?

Freund:innen, guten Büchern und immer öfter auch meinem Bauchgefühl.

Dein letztes Wort?

Viel Hass und Ablehnung könnten durch stärkere «Exposure», also durch mehr Kontakt mit den abgelehnten Menschengruppen, reduziert werden.


Simon Schaffer
Simon Schaffer hat die HMS und die Berufsmatura absolviert, war bei der SBB und hat dann Journalismus an der ZHAW studiert. Als Praktikant hat er sich bei «Radio SRF 1» in Audio-Produktion verliebt, ein Praktikum im «Bundeshaus Radio» gemacht und bei «Radio 1» in Zürich als Reporter und News Redaktor gearbeitet. Daneben war er im Vorstand der «Jungen Journalistinnen und Journalisten Schweiz JJS» und da zuletzt Co-Präsident. Seit April 2023 ist er Podcast Produzent bei «NZZ Akzent».
https://www.nzz.ch/podcast/akzent


Basel, 31. Mai 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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6 Kommentare zu "Simon Schaffer: «Vertrauen ist alles.»"

  1. Bin selber als Autor mit „tollen Leuten (darunter viele junge) unterwegs, die hart daran arbeiten, dass es weiter gute (bitte nicht geile!) Sachen gibt“. Dies allerdings fast nur noch im Rahmen von Non-Mainstream-Medien: Alles andere scheint mir vergebene Liebesmüh!

  2. …..Wundert mich, das jemand, welcher bei der NZZ ist, nach unbedingter Medienförderung ruft. Der freie Markt, welcher die NZZ predigt und bei anderen Förderungen (die Begehr-Liste in der Schweiz ist lang) immer predigt.
    Guter junger Mann, trotzdem lese ich die NZZ nicht, da ich keine Aktien habe, nicht aus der Region Zürich stamme, die „Wissenschaftsseiten“ sich immer auf die alte wissenschaftliche Sicht (schwarz und weiss, zu wenig experimentell) bezieht und beim Politischen geradezu vom Massenmedium NZZ auf z.B. die Tamedia-Blätter oder Ringier-Gazetten wechseln kann, man merkt es gar nicht mehr. Beispiel? Titel von letzthin: „Orban streut Sand ins Getriebe der EU“ – die NZZ sieht also die EU schlechthin als funktionierendes, gut geöltes Getriebe, und wenn da einer kommt und „Sand“ reinstreut, ist klar, wer auf der guten und auf der schlechten Seite steht. „Sand“ in Form von einem Hinterfragen, in Form von einem Beschluss mal nicht zustimmen weil er vielleicht dem eigenen Land undienlich ist, den EIGENEN LANDSLEUTEN, welchen einem ja wählten(!). Vielleicht weil man es einen Schnellschuss findet, länger Probleme damit sieht. All das wird ausgeblendet – da die EU mit dem geschliffenen über alles hinwegtösenden Getriebe; da der, welcher noch eigenständig denken kann, Meinung hat, welcher manchmal räuspert und nicht kopfnickend absahnt und einsteckt…..
    Nein, für solches kaufe ich keine NZZ mehr und unterstütze dabei indirekt noch die FDP, welchen „uns Kleinen“ in der Schweiz nicht schaut und das Leben schwer(er) macht…. Sorry Monsieur Schaffner…..

    1. Sie erklären mir dann einfach gelegentlich:
      – wie Sie eine Zeitung beurteilen wollen, die Sie nicht lesen.
      – was das Problem der «alten wissenschaftliche Sicht » ist (meines Wissens gibt es nur eine Art und Weise, wie man wissenschaftlich arbeiten kann).

      Wenn Sie die NZZ lesen würden, wüssten Sie, dass es in dem Artikel über Orban und die EU nicht darum geht, dass Orban etwas anderer Meinung ist. Ein Problem ist ein ernsthafter Konflikt mit Österreich, weil Orban die Freilassung Tausender ausländischer Häftlinge angeordnet hat, die wegen Menschenschmuggel in Ungarn verurteilt sind. Das verstösst sogar gegen ungarisches Recht. Die Unterbringung der Schlepper werde Ungarn zu teuer, hiess es aus Budapest…

      1. ANTWORT
        Ich diskutiert gerade HEUTE mit jemandem über „Wissenschaft“. Er sagte, er lasse sich von der Wissenschaft nicht diktieren. Die Wissenschaft sei immer Stand jetzt der kleinste anzunehmende Irrtum. Und nicht das Absolute.
        Man nehme Newton – er sagte so – offiz. Wissenschaft damals….. und irgendwann später kam Einstein – und sagte so. Offiziell. Und alles Offizielle war wieder Und unsere Universität Basel gibt viel Offizielles raus. Und in 30 Jahren merkt man, das es Irrtum war. Deshalb – Wissenschaft und Medien / Wissenschaft und politische Ableitungen daraus = gefährlich, gefährlich. Und somit hatte mein Gesprächspartner doch recht, wenn er sagt, er lasse sich von der Wissenschaft nicht diktieren und offiziell „lenken“ oder politisch „beeinflussen“, was manchmal die NZZ oder andere Medien mit den Konsumierenden versuchen…

        1. Da bringen Sie aber zwei Dinge durcheinander.
          a) die Gültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse
          b) die persönliche Handlungs- und Meinungsfreiheit
          Beide sind nicht voneinander abhängig. Ein Beispiel:
          a) Die Pest ist eine ansteckende Infektionskrankheit, die von dem Bakterium Yersinia pestis ausgelöst wird. Das ist eine wissenschaftlich gültige Erkenntnis.
          b) Sie sind selbstverständlich frei, zu meinen, die Pest sei eine Strafe Gottes und Weihwasser statt Desinfektionsmittel zu nutzen.
          Dass Sie b) meinen, ändert aber an a) nichts.
          Wissenschaft «diktiert» nichts, sondern stellt fest und das immer nur provisorisch (bis eine bessere Theorie mehr erklärt). Deshalb ist der Schritt von Newton zu Einstein auch kein Problem (und sowieso kein Widerspruch).
          Ich vermute, Probleme entstehen da, wo Information und Meinung durcheinandergeraten. Wenn ein Spital darüber informiert, dass das Bakterium Pestis am besten mit Antibiotika behandelt wird und den Einsatz von Streptomycin empfiehlt, dann ist das keine Meinung, sondern eine wissenschaftlich abgestützte Information. Wenn dagegen ein Politiker sagt, die Pest werde in den nächsten Jahren im Mittelland wieder aufflammen, dann ist das keine Information, sondern eine Meinung.
          Um den amerikanischen Politiker Daniel Patrick Moynihan zu zitieren: «You are entitled to your opinion. But you are not entitled to your own facts.»

          1. Mit Herz und Kopf finde ich es immer wieder gut, dass ich weiss, das ich eigentlich nichts weiss: Und mit Hand und Fuss, dass niemand weiss, dass ich Rumpelstilzchen heiss.

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