Simon Jacoby: «Es gibt nichts Flüchtigeres als eine Tageszeitung!»

Publiziert am 21. August 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Simon Jacoby, Verleger und Chefredaktor von Tsüri.ch, über seinen persönlichen Mediengebrauch, seinen Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Er sagt: «Früher hatte man das Geld, heute haben wir die Möglichkeiten. Ich bin froh, dass ich nicht früher lebte.» Auch wenn seine Beziehung zu Facebook langsam abkühle, gebe es bei ihm «zum Kaffee nichts Gedrucktes». Jacoby weint der gedruckten Tageszeitung keine Träne nach, denn «Onlineangebote können Tageszeitungen ersetzen».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Du meinst so klassische Medien von Redaktionen, die senden? Oder gelten auch soziale Medien und andere Plattformen? Auf jeden Fall: Zum Kaffee gibt es bei mir nichts Gedrucktes (die WOZ kommt ja nur am Donnerstag und nicht so früh am Morgen), sondern den Blick auf mein Smartphone. Dort scrolle ich durch Instagram, hole mir bei «watson» und beim «Tagi» die wichtigsten News, schaue, ob jemand was spannendes auf Facebook gepostet hat (Tendenz sinkend) und lese meine spärlich abonnierten Newsletter wie zum Beispiel den Social Media Watchblog.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Gut! Meine Beziehung zu Facebook kühlt langsam ab, aber es ist halt doch immer noch eine wichtige Plattform, gerade für lokale Communitys, wegen themenspezifischen Gruppen und dem Messenger. Instagram ist quasi meine Pausenunterhaltung und ich möchte immer gerne mehr in meine Storys posten als ich tatsächlich tue. Ich weiss nicht recht: Soll ich damit noch richtig anfangen oder mich gleich bei Tiktok probieren oder es ganz sein lassen? Twitter nutze ich nur punktuell, wenn ich etwas recherchiere oder ich fürchte/hoffe, einen Shitstorm zu erspähen.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Als erstes schaue ich wohl in Livetickern auf Newsportalen meines Vertrauens (z.B. «watson», CNN), was als gesichert gilt, von dort gelange ich dann auf Twitter und Instagram, wo erste Eindrücke von Augenzeugen rumschwirren. Später dann hoffe ich auf Bewegtbilder aka Fernseh-Beiträge in der SRF Play App, welche mir hoffentlich Hintergründe liefern können.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Früher kenne ich halt nur aus Erzählungen: Es klingt alles sehr luxuriös, etwas starr und darum vielleicht etwas langweilig. Genug Ressourcen sind für den Journalismus sicher gut, zu viel kann aber auch hemmend sein. Früher hatte man das Geld, heute haben wir die Möglichkeiten. Ich bin froh, dass ich nicht früher lebte.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Klar!

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Alles auf Tsüri.ch, alles auf Matthiaszehnder.ch, die ersten beiden Bücher von Harari und alles von Max Frisch und Jon Gnarr.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich kann Bücher easy weglegen, wenn sie mich nicht sofort packen. Den ersten Harry Potter-Band habe ich zweimal angefangen und bin zweimal nach rund 50 Seiten ausgestiegen. Ich habe grundsätzlich nicht die grösste Konzentrationsspanne und bevorzuge Bücher mit maximal 200 Seiten.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Von den Menschen in meinem Leben und vom vermeintlich sinnlosen rumsurfen im Internet.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Keine Ahnung, einige wenige Jahre vielleicht?! Irgendwann sind die Druckmaschinen amortisiert und können abgestellt werden.

Können flüchtige Onlineangebote die handfeste Tageszeitung ersetzen?

Was ist denn das für eine kulturpessimistische Frage?! Es gibt nichts Flüchtigeres als eine Tageszeitung! Ja, Onlineangebote können Tageszeitungen ersetzen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Für die Medien, die Fake News verbreiten sind sie eine Gefahr. Für alle anderen Medien eine Chance.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich kann mich nicht daran erinnern, als ich das letzte Mal linear Radio gehört oder fern geschaut habe. Auf Youtube oder in den Mediatheken der Sender schaue ich mir das Zeug aber gerne an!

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Sehr selten höre ich das Echo der Zeit. Mein Arbeitsweg ist mit fünf Minuten zu kurz für eine echte Podcast-Leidenschaft.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Es bedeutet ganz einfach, dass sich die Medien überlegen müssen, wie sie die Jungen erreichen wollen und können. Gratis-Tipp: Sie ernst nehmen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ja, da bin ich ausnahmsweise mit Supino einverstanden. Ich denke auch, dass sich ein Teil des Journalismus automatisieren lässt. Aber bestimmt nicht alles: Wie soll ein Roboter ein Porträt schreiben?

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Natürlich! Die Frage ist nur, wer die Löhne bezahlt, aber da werden wir bestimmt eine Lösung finden.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, aber nur, wenn ich in einem Meeting sitze und mich nicht traue, auf dem Handy oder dem Laptop Notizen zu machen, weil dann die anderen denken könnten, ich sei abgelenkt.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Für die Medien ist er perfekt (die Verkaufszahlen der US-amerikanischen Zeitungen gehen seither durch die Decke), für die Menschen eine Katastrophe.

Wem glaubst Du?

Meinen Lieblings-Menschen und meinem Bauchgefühl.

Dein letztes Wort?

Ade.


Simon Jacoby

Simon Jacoby (30) ist seit knapp zehn Jahren Journalist und Unternehmer (er unternimmt gerne etwas). Vor fünf Jahren hat er mit einem kleinen Team das Stadtmagazin Tsüri.ch gegründet, welches inzwischen sieben fixe Stellen und rund zehn Freelancer beschäftigt. Davor hat er Politologie studiert (Bachelor), an der ZHdK einen Master abgebrochen, beim «PUNKT Magazin» geschrieben, bei «watson» ein Praktikum gemacht und ein Print-Magazin herausgegeben.
https://tsri.ch/


Basel, 21. August 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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2 Kommentare zu "Simon Jacoby: «Es gibt nichts Flüchtigeres als eine Tageszeitung!»"

  1. Ist doch eigenartig, dass hier an dieser Stelle von vielen CH-Medienschaffenden gewusst wird, was Donald Trump ist. Schlecht, eine Katastrophe, schädlich – kurz meist vernichtende Antworten. Woher will man das wissen, wenn man in der CH zur Schule ging, Super-Ausbildung hinlegte, gute Karriere macht(e), überdurchschnittliche Job-Freiheiten besitzt, eher zu den gut/besserverdienenden gehört in der CH?
    Was weiss man denn über den US-Präsi als Direktbetroffener US-Bürger? Nichts. Gut, müssen die Schweizer nicht den Amerikanischen Präsidenten wählen. Gut, muss nicht „Watson“ den Präsi bestimmen, gut darf die ARD nicht an der Wahl des US-Präsi teilhaben….
    SONDERN – Amerikanische Menschen die dort auch leben, lieben und lachen. Und arbeiten. Jahrelang liessen sie sich von den vorhergehenden Präsidenten mit schönen Worten überzeugen, es gefiel allen, was sie sagten. Doch im Alltag nutzten die Worte nichts.
    Alle US-Bürger wissen, dass es mit den Jobs, dem Wohlstand, der Arbeit, der Alltagsfreude unter Trump nur in eine Richtung geht: Nach oben. Da muss man nicht die Gallup-Umfragen lesen, nicht die Zahlen der Nationalen Statistikbehörde, welche auch nur nach oben zeigen.
    Es reicht, sich in der eigenen Familie umzusehen, wo plötzlich nicht mehr so viele arbeitslos sind. Es reicht, auf die Strasse zu gehen und zu sehen, dass noch nie so wenig Afro-Amerikaner arbeitslos waren. Er reicht die alleinerziehende Nachbarin zu sehen, welche plötzlich anstatt (unter Obama und Co. mit den warmen Worten) sich mit 3 Scheiss-Jobs bis weit in die Nacht hinein versuchte, sich selbst und ihre zwei Boys durchzuschlagen, sondern welche jetzt plötzlich einen gutbezahlten, geregelten Job in einem Betrieb hat und plötzlich mit einem Kombi-Wagen heimkehrt, der sie auch anständig mit (wieder bezahlbaren) Einkäufen aus Walmart füllen kann, denn die zwei Boys haben Hunger…..
    Ja, das zählt doch, und jetzt merkt man erst, wie absurd die Meinungen der CH-Medienschaffenden in diesem existenziellen Zusammenhang über die US-Bürger und deren Präsi sind.
    Tja, und dann gibt es da noch Joe. Jahrelang war er ohne Job. Kinder und Frau gammelten ebenfalls rum. Doch weil sich neue Industrie im County ansiedelte, erhielt er eine Stelle bei der Stadt.
    Der erste selbstverdiente Lohn seit langem. Genügend. Unbeschreiblich. Als er seine Girls allesamt zu Popcorn, ja zu Cola einlud – sogar ein Autokinobesuch lag seit Jahren wieder drin, leuchteten die Augen seiner Girls. Sie gehörten wieder zur Zivilisation. In der Schule konnten sie seit langem wieder mal was erzählen.
    Doch fast noch ein „Mü“ mehr leuchteten die Augen von Joe selbst. Ist es die wiederaufgegangene Sonne, die ihm verdammt gerade jetzt ins Gesicht sticht. Nein, er kann es nicht verleugnen. Die Freudentränen kullern. Auch der harte Bursche ist halt nicht aus Stein. Wenn grosses widerfährt. Gerade jetzt. Er presst seine Lippen zusammen, will es nicht zugeben. Doch: Stolz, er ist wieder wer, er kann der Familie wieder mal was geben. Er glaubt es selbst noch nicht. Der schönste Tag in seinem Leben wurde ihm gegeben.
    Und er dankte. Gott natürlich. Und Trump. Der Aufschwung, spürbar in jeder Ritze des Landes. Gott und Trump – Trump und Gott. Wer kann es verübeln, wenn viele diese beiden gleichstellen. Wer jahrelang untendurch musste, sich mit Drecksjobs knappest über Wasser hielt, nur der begreift, was die meisten Amerikaner empfinden. Dankbarkeit und ein Gefühl, für dieses es keine Worte gibt.
    Unbeschreiblich, das dies alles keine Hollywood-Story ist, die im Nichts verfliesst, sobald der Abspann kommt. Sondern Realität.
    Echt. Wirklichkeit geworden.
    Und deshalb, genau deshalb, wird Donald Trump auch wieder gewählt.
    (Und dies ganz ohne CH-Medienschaffende.)

  2. Frage aus dem Interview: „Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?“ Antwort Simon Jacoby: „Für die Medien ist er perfekt (die Verkaufszahlen der US-amerikanischen Zeitungen gehen seither durch die Decke), für die Menschen eine Katastrophe.“ Meine These: Extreme Macht–Komiker wie beispielsweise Blocher, Johnson, Köppel, Salvini und Trump sind für Medien (ob digital oder print) das tägliche Brot. Nach dem Prinzip „Hauptsache: es bringt Profit und macht Spass“ generieren Medien damit weltweit Milliarden.
    Ohne Medien würde es solche Extrem-Komiker kaum geben: Gemeinsam fahren sie unsere Erde an die Wand.

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