Simon Bärtschi: «Heute sind Medien in der Schweiz viel nützlicher als früher»

Publiziert am 22. März 2023 von Matthias Zehnder

Das 221. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Simon Bärtschi ist Chefredaktor der «Berner Zeitung» und der Redaktion «BZ»/«Bund». Er sagt, die «Digitalisierung erlöst unser Metier und macht es vielfältiger.» Aber in der digitalen Welt lauere halt überall starke Konkurrenz: «Das erschwert vielen das Überleben.» In kommerzieller Hinsicht stand es laut Bärtschi früher deshalb wohl besser um die Schweizer Medien, publizistisch aber eher schlechter: «Alle haben viel gemeint, aber vielleicht weniger gewusst. Heute sind Medien in der Schweiz sicher viel nützlicher als früher.» Wie lange es noch gedruckte Tageszeitungen gibt, weiss auch Bärtschi nicht. Er sagt bloss: «Vielleicht noch länger, als wir denken.» Allerdings muss auch er zugeben: «Im Newsroom von ‹BZ› und ‹Bund› in Bern raschelt höchst selten noch eine Zeitung.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Die «NZZ», der «Blick» sowie unsere Kanäle «Berner Zeitung» und «Bund». Alles digital.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Twitter ist für mich sehr nützlich für die Informationsbeschaffung. Instagram ist bei unserem Publikum sehr beliebt. Und dort erreiche ich von unterwegs auch meine Töchter am schnellsten. Facebook nutze ich seltener, es ist allerdings eine wertvolle Stütze für die Erinnerung.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Er ist digitaler als vorher – in allen Belangen. Virtuelle Redaktionsmeetings sind bei uns Standard. Im Newsroom von «BZ» und «Bund» in Bern raschelt höchst selten noch eine Zeitung. Und ich drücke weniger Hände als vor der Pandemie.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Kommerziell stand es klar besser, publizistisch wohl eher schlechter. Alle haben viel gemeint, aber vielleicht weniger gewusst. Heute sind Medien in der Schweiz sicher viel nützlicher als früher.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Das geschriebene Wort kam, um zu bleiben. Es wird kaum verschwinden.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Alles, was einem unters Auge kommt, möglichst querbeet.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich will meine Freizeit nur mit guten Büchern verbringen, meist packen sie mich in den Ferien. Schlechte Bücher sind verschwendete Zeit.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Auf Reisen, bei Freunden und Nachbarn, in Museen, in der Beiz.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Who knows, 10 Jahre? Vielleicht noch länger, als wir denken. Als Trägermedium sind Zeitungen immer noch ziemlich praktisch, obschon alle am Handy hängen.   

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Fake News sind eine Chance für die professionellen Medien. Sie unterstreichen die Notwendigkeit solider Recherchen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio und TV nutze ich bei Breaking News, bei Abstimmungen und für den Live-Sport.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Podcasts haben es schwer bei mir. Ich zappe bei vielen rein, werde aber schnell untreu. Ausgenommen sind unsere Podcast «Gesprächsstoff» sowie «Dritte Halbzeit».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Das ist eine ernsthafte Herausforderung für die Medien, weil damit das Publikum massiv schrumpft. Sie sollten Wege finden, diese Gruppe mit neuen Zugängen anzusprechen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Bis zu einem gewissen Grad, ja. Daten zu Text verarbeiten, ist aber noch keine Publizistik. Ein Roboter schreibt für die «BZ» Matchberichte aus den unteren Berner Fussball-Ligen. Damit allein lässt sich kein Digital-Abo verkaufen, das ist ein Service für Fans. Gute Redaktionen sind unverzichtbar. Sie sind kreativ, leidenschaftlich, begeisterungsfähig, überraschend. Einen solchen Roboter kenne ich nicht.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Digitalisierung erlöst unser Metier und macht es vielfältiger. Der Weg zum Publikum wird deutlich kürzer und wir können ganz einfach in Erfahrung bringen, was bei Nutzerinnen und Nutzern zieht. Aber im digitalen Geschäft lauert halt überall starke Konkurrenz. Das erschwert vielen das Überleben.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ich bin kein Freund davon.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Nein. Bloss noch die Geburtstagskarten für alle Redaktorinnen und Redaktoren. Wohl kann niemand das Gekritzel lesen, aber es kommt immer von Herzen.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Für die Medien war Trump ein Geschenk.

Wem glaubst Du?

Ich gebe mir stets Mühe, zuerst allen Menschen zu glauben.

Dein letztes Wort?

Dafür ist es viel zu früh.


Simon Bärtschi
Simon Bärtschi ist Chefredaktor der «Berner Zeitung» und der Redaktion «BZ»/«Bund». Vor seinem Wechsel nach Bern war er Mitglied der Chefredaktion von «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung» in Zürich, zuvor stellvertretender Chefredaktor und Nachrichtenchef der «SoZ». Bärtschi hat an der Uni Bern ein naturwissenschaftliches Studium abgeschlossen, später an der Columbia University in New York ein Leadership-Programm absolviert. Er lebt nach 20 Jahren in Zürich heute bei Bern.
https://www.bernerzeitung.ch/


Basel, 22. März 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 200 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

Wenn Sie kein Fragebogeninterview verpassen möchten,  abonnieren Sie einfach meinen Newsletter. Das kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen «Medienmenschen» sowie den aktuellen Wochenkommentar, einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman: www.matthiaszehnder.ch/abo/

2 Kommentare zu "Simon Bärtschi: «Heute sind Medien in der Schweiz viel nützlicher als früher»"

  1. „Was soll man heute unbedingt lesen?
    Alles, was einem unters Auge kommt, möglichst querbeet.“
    Gefällt mir. Das gibt „Gesamtschau“
    und nicht bloss SRF-„Tagesschau“ –
    „Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
    Ich bin kein Freund davon.“
    Gefällt mir: Einer der nicht für sich den gesicherten 1. Klasse Sessel will
    sondern (wie alle andern Angestellten) sich mit der einfachen 2. Klasse – Bank begnügt.
    Félicitations.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.