Sarah Serafini: «Menschen, die keine Zeitung lesen, kann ich nicht ernst nehmen»

Publiziert am 11. Oktober 2023 von Matthias Zehnder

Das 250. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Sarah Serafini, Co-Leiterin Aktualität beim «Beobachter». Sie sagt, sie benutze Twitter nur beruflich, «wobei mir Elon den Spass daran verdorben hat.» Die Corona-Krise habe dazu geführt, dass sie mehr Telefoninterviews führe und dass «Medienstellen noch mehr zu ‹Medienverhinderungsstellen›» geworden sind. Überhaupt habe Corona Narben hinterlassen: «Wer sich bereits eine Meinung gemacht hatte, liess sich nicht davon abbringen. Selbst etablierte Medien wurden in Zweifel gezogen.» Sarah Serafini findet, «der Markt, die Konkurrenz und die gnadenlose Leserschaft fordern den Journalismus krass heraus. Ich glaube, das macht ihn qualitativ besser – aber die Arbeitsbedingungen schlechter.» Zur Herausforderung durch die KI sagt sie, das Schreiben lasse sich womöglich automatisieren, «für die Emotionen wird es immer Menschen brauchen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich frühstücke nicht, aber ich scrolle auf «Watson» im Bett zum Wach werden, höre SRF3 unter der Dusche und lese «Tagi» und «NZZ» zum Kafi.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Auf Facebook habe ich zwei Accounts, einen privaten und einen öffentlichen. Twitter nutze ich nur beruflich, wobei mir Elon den Spass daran verdorben hat. Wichtiger für den Job ist inzwischen LinkedIn. Instagram ist bei mir sehr privat.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich führe mehr Telefoninterviews, leider. Und Medienstellen wurden noch mehr zu «Medienverhinderungsstellen».

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Der Markt, die Konkurrenz und die gnadenlose Leserschaft fordern den Journalismus krass heraus. Ich glaube, das macht ihn qualitativ besser – aber die Arbeitsbedingungen schlechter.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja, sicher.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Tageszeitungen. Menschen, die keine Zeitung lesen, kann ich nicht ernst nehmen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich leg sie weg.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Von Freundinnen, meiner Familie, neuen Bekanntschaften. Und unseren Praktikantinnen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Schon noch ein paar Jahre. Vielleicht, bis meine Generation tot ist? Auf jeden Fall nicht für immer.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Nach der Corona-Pandemie muss ich sagen: Ich halte sie für gefährlich. Wir dachten, wir könnten mit aufklärenden Fakten-Checks gegen Fake News anschreiben und sind gescheitert. Wer sich bereits eine Meinung gemacht hatte, liess sich nicht davon abbringen. Selbst etablierte Medien wurden in Zweifel gezogen. Das hat Narben hinterlassen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio hör ich oft, Fernsehen guck ich selten. Wenn, dann «10 vor 10». Oder den «Tatort» am Sonntagabend.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre oft Podcasts. Geflasht hat mich «190220 – Ein Jahr nach Hanau». Toll find ich «Fest&Flauschig», «Zeit Verbrechen», «Serial», das «Politikteil», «This American Life», «Beziehungskosmos», «Alles gesagt?», «Unter Pfarrerstöchtern», «Das 5. Viertel», …

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Sind Junge wirklich news-depriviert? Ich glaube, sie interessieren sich durchaus für die Welt, in der sie leben. Das sieht man ja auch am Engagement von Jungen, die gegen die Klimakatastrophe auf die Strasse gehen. Diese Kids konsumieren einfach ganz anders Medien als wir. Von klein auf haben sie ein Smartphone in der Hosentasche und tragen das Internet darin rum. Für uns bedeutet das: Wir müssen dieser Zielgruppe attraktivere Angebote machen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Das Schreiben lässt sich automatisieren, das Denken teilweise, für die Emotionen wird es immer Menschen brauchen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch. Es verändert die Medienlandschaft. An manchen Orten zum Besseren, weil es Platz gibt für neue Innovationen. An manchen zum Schlechteren, weil die Digitalisierung Alteingesessenem den Todesstoss verpasst.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Nicht mal mehr die Einkaufsliste.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Kurzfristig ist er super. Er lässt Traffic-Zahlen in die Höhe schnellen. Die Leute werden offenbar nicht müde, sich über jedes noch so kleine Trump-Fürzchen in der Kommentarspalte die Finger wund zu schreiben. Längerfristig ist Trump schlecht für alles. Für meine Laune, die Gesellschaft, die Medien.

Wem glaubst Du?

Denjenigen, die transparent machen, dass auch sie nichts wissen.

Dein letztes Wort?

Objektiver Journalismus ist eine Illusion.


Sarah Serafini
Sarah Serafin hat das journalistische Handwerk auf verschiedenen Lokalredaktionen und an der Schweizer Journalistenschule MAZ gelernt. Bei der «Schweiz am Sonntag» hat sie Primeurs gejagt und danach bei «Watson» gelernt, Geschichten schnell und online zu erzählen. Seit Ende 2022 arbeitet sie für den «Beobachter», wo sie abwechselnd das Ressort Aktualität leitet und als Redaktorin schreibt. Für ihr berührendes Porträt «Das vernichtete Leben der Fulya Demir» («Watson», 20. 04. 2022) ist Sarah Serafin 2023 mit dem Zürcher Journalistenpreis ausgezeichnet worden.
https://www.beobachter.ch/unsere-redaktion/sarah-serafini


Basel, 11. Oktober 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 240 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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Ein Kommentar zu "Sarah Serafini: «Menschen, die keine Zeitung lesen, kann ich nicht ernst nehmen»"

  1. …..Oh, da werden sie, Frau Serafini, sehr viele Menschen aber nicht mehr ernst nehmen können.
    Ich lese zwar Zeitung, finde aber gerade die Gedankengänge und Herzensentscheidungs-Anregungen von Info-Abstinenten manchmal erfrischend, grossartig und weniger abgebrüht.
    Zudem sei zu sagen, das ein Grossteil der CH-Bewohner (inkl. Migranten) sehr hart arbeitet, und nach der „Büez“ man lieber gesellig beisammensitzt, abschaltet beim Fischen an einem Weiher (Im Elsass fischen ab 17 Uhr fast ausschliesslich nur noch Nicht-Französischsprechende), einfach in die Sonne, den Wald, das Wasser schauend, die Schuft- und Schwielen-Hände zur Ruhe legen;
    Es gibt Grossfamilien-Manager/innen (Mütter, Väter) bei denen es den ganzen Tag wuselt und die Zeitung zum Unwichtigsten des Tages gehört (respektive inexistent ist);
    Es gibt Kranke, Schwache, Gebrechliche, ans Bett gebundene welche es eher interessiert zu Gesunden, kleine Fortschritte zu machen oder einen menschlichen Besuch zu erhalten, ein Lächeln. Ob in – Breaking News – China nun ein Sack Reis umgefallen ist – ist in solch Lebenssituationen irrelevant (er).,,,,
    Dieses andere Leben, Lebensformen, Mitmenschen, Zeitgenossen alle nicht erst zu nehmen geht mir so was auf den Senkel. Zeugt von Arroganz und macht Einsam. Meinungseinsam. Lebensideevielfalt-Einsam. Schade um die Schiessschartengedanken-Abhängigkeit.
    NB 1: In der Mitte meines Lebens beginnen mich die „Anderslebenden“, die „Andersfühlenden“ und „Herzinfomenschheit“ (auf das sie mehr werden) lieber und lieber zu werden….
    NB 2: GRATULATION ZUM 250. FRAGEBOGENINTERVIEW. DIES DUCHZUHIEHEN UND SUPERBE FRAGEN ZU STELLEN = GROSSARTIG. DANKE UND FELICITATIONS !!!

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