Sarah Nowotny: «Jeder Moment ohne Bildschirm tut gut»

Publiziert am 14. Juli 2021 von Matthias Zehnder

Die Fragebogeninterview-Sommerserie mit Schweizer Korrespondent:innen über ihre Mediennutzung – heute mit Sarah Nowotny, Osteuropakorrespondentin von Radio SRF. Sie sagt, die Coronakrise habe sie zwar innert Wochen radikal digitalisiert, doch «es funktioniert auf die Dauer nicht, nicht rauszugehen, Dinge nicht selber zu sehen, zu hören, zu riechen.» Sie ist zuversichtlich, dass es gedruckte Tageszeitungen noch eine ganze Weile gibt, jedenfalls so lange, «wie auch andere Menschen manchmal die Nase voll haben von Bildschirmen und Live-Tickern». Über den mangelnden Nachrichtenkonsum von Jugendlichen macht sie sich keine Sorgen: «Ich bin nicht sicher, ob es News braucht zum Leben. Ich glaube, es braucht eher Zusammenhänge. Und ich glaube, mit 16 sollte man anderes im Kopf haben als die uns so heilige Aktualität.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

«Newsday», die Morgensendung der BBC am Radio.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Facebook für Albernheit, Instagram für Schönes und Twitter für den Beruf. In meinem Berichtsgebiet sind viele kluge Leute auf Twitter.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich bin innerhalb von Wochen digitaler geworden, habe gemerkt, was sich alles im oder dank dem Internet machen lässt. Und habe dann wiederum gemerkt: Es funktioniert auf die Dauer nicht, nicht rauszugehen, Dinge nicht selber zu sehen, zu hören, zu riechen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Wer hier nicht «beides» sagt, muss schon lange pensioniert sein. Ich erschrecke manchmal, wenn ich im Medienarchiv sehe, dass genau derselbe Artikel in zwölf verschiedenen Zeitungen erschienen ist. Und freue mich, wenn etwas Neues entsteht.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Fragt sich das jemand ernsthaft? Natürlich, auch im Internet lesen wir ja Geschriebenes.

Was soll man heute unbedingt lesen?

«Sandberg» von Joanna Bator.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich kann sie weglegen, es fühlt sich aber jedes Mal nach Niederlage an.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Bei der Arbeit. Ich hätte früher nie gedacht, dass ich eines Tages über Yaks im Emmental, die Sicherheit von Atomkraftwerken, Homophobie in Polen und Sargbauer in Ungarn berichtet haben würde.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

So lange, wie auch andere Menschen manchmal die Nase voll haben von Bildschirmen und Live-Tickern.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Chance. Ich glaube, Fake News könnten dafür sorgen, dass seriöse Medien für viele Menschen Anker bleiben oder werden.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich war ein komisches Kind, habe nachts unter der Bettdecke das Musikprogramm von DRS1 gehört. So etwas verwächst sich nicht. Ich höre und schaue immer noch linear.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Erstens: ja. Zweitens: nein, es gibt zu viel Spannendes. Ich hoffe allerdings, die Mode alles so episch wie möglich auszubreiten, geht bald einmal vorbei. Mich erschöpft das.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ich bin nicht sicher, ob es News braucht zum Leben. Ich glaube, es braucht eher Zusammenhänge. Und ich glaube, mit 16 sollte man anderes im Kopf haben als die uns so heilige Aktualität. Ausserdem bin ich nicht sicher, ob die Dinge früher besser waren. Kurz: Ich bin da ziemlich entspannt. Aber auch froh, dass die Medienhäuser Tiktok und -Co. für sich entdecken.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Auf Ebene des Verwaltungsrats vielleicht schon.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch, das Handwerk – Geschichten finden, Geschichten recherchieren, Geschichten erzählen – das bleibt immer gleich. Und wird sein Publikum finden.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja. Siehe eine Frage weiter oben.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Sehr oft. Notizen unterwegs, Einkaufszettel, Karten. Das sieht zwar nicht schön aus, aber jeder Moment ohne Bildschirm tut gut.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er hat uns allen gezeigt, wie stark unsere Berichterstattung von unseren Haltungen und Meinungen abhängt – das sollten wir stärker hinterfragen.

Wem glaubst Du?

Gott. Aber er redet nie mit mir.

Dein letztes Wort?

Eigentlich möchte ich noch eine Weile lang weiterschreiben.


Sarah Nowotny
Sarah Nowotny ist seit 2019 gemeinsam mit Roman Fillinger Osteuropakorrespondentin von Radio SRF. Sie lebt in Warschau und reist durch die ganze östliche EU auf der Suche nach spannenden Geschichten. Davor war sie bei Radio SRF in Bern zuständig für Schweiz-Themen. Und noch früher hat sie für die «NZZ am Sonntag» im Bundeshaus gearbeitet und für den «Bund» auf der Lokalredaktion.
https://www.srf.ch/news/international


Basel, 14. Juli 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Kommentar zu "Sarah Nowotny: «Jeder Moment ohne Bildschirm tut gut»"

  1. Zuckte zusammen, als ich diesen Nachnamen las: Erinnerungen kamen sofort auf an frühere Deutsche Medien der Ausgeglichenheit, als wahre Informationsquellen und liebgewonnene Sendungen damals.
    Ich denke zurück an die Zeit als Friedrich Nowottny (* 16. Mai 1929 in Hindenburg, Oberschlesien) uns die Welt erklärte, ruhig, gewissenhaft, sachlich, unabhängig, kritisch, gutgelaunt. Dem ehemaligen Journalisten und ehemaligem Intendant des Westdeutschen Rundfunks Köln (WDR) hörte man bei seiner profunden Berufsausübung gerne zu. Fern waren ihm die heutigen Ideologie-Anstalten, Lücken-Infotainment-Shows, Belehrungsinstitute und Medientempel der Freudlosigkeit.
    Dachte schon, Sahra Nowotny sei ein Spross dieser grossen Dynastie, bis ich bei der Nachnamen-Schreibweise genauer hinschaute…
    Nichts desto trotz: Anlehnen und Orientieren am Fast-Namensvetter ist dennoch von Vorteil – nicht zuletzt würden auch die Nutzerinnen und Nutzer von „unserem“ SRF davon profitieren…

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