Sarah Fluck: «Wer kritisch berichtet, riskiert viel – den Job, die Freiheit, manchmal sogar das Leben.»
Das 342. Fragebogeninterview, heute mit Sarah Fluck, Afrika-Korrespondentin von Radio SRF. Sie sagt, X sei für ihre Arbeit als Korrespondentin am wichtigsten: «Dort erfahre ich oft zuerst, was bei politischen Protesten passiert, was der Präsidentensohn wieder von sich gibt oder wo gerade eine spannende Fotoausstellung eröffnet wird.» Seit allerdings mehrere Journalist:innen wegen X-Posts des Landes verwiesen wurden, sei sie vorsichtig: «Ich retweete nur noch und kommentiere kaum.» In Afrika seien heute «viel weniger Journalist:innen unterwegs als noch 2015, als ich angefangen habe», festangestellte Korrespondent:innen gebe es kaum noch. Spannende Neuigkeiten erfahre se beim Bier mit den Fussballkollegen und bei lokalen Comedians auf TikTok. «Und auf WhatsApp, in diesen ewig langen Sprachnachrichten, die mit ‹I’m not sure if this is true, but…› anfangen – und dann folgt eine Viertelstunde Weltpolitik.» Sie habe nicht das Gefühl, dass Jugendliche sich nicht mehr für die Welt interessieren: «Bei Begegnungen spüre ich oft Neugier, auch für Afrika. Aber viele finden keinen Zugang, der sich nach ihnen richtet. Nichts, das ihren Ton trifft – besonders im deutschsprachigen Raum.» Ideen gebe es genug. «Aber bis wir sie umsetzen, ist die Zielgruppe oft schon wieder auf der nächsten Plattform. Wir müssen schneller, mutiger – und viel experimentierfreudiger werden.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Während der Kaffee köchelt, läuft bei mir SRF 4 News oder der BBC World Service. Danach scrolle ich meist durch die internationalen Rubriken der «Süddeutschen Zeitung», der «New York Times» und von «The Guardian». Im Laufe des Morgens bringt mir dann ein Bodaboda-Fahrer meine Ausgabe des «Daily Monitor» – Ugandas unabhängiger englischsprachiger Tageszeitung.
Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?
X ist für meine Arbeit als Korrespondentin am wichtigsten – dort erfahre ich oft zuerst, was bei politischen Protesten passiert, was der Präsidentensohn wieder von sich gibt oder wo gerade eine spannende Fotoausstellung eröffnet wird. Seit allerdings mehrere Journalist:innen wegen X-Posts des Landes verwiesen wurden, bin ich vorsichtig: Ich retweete nur noch und kommentiere kaum. TikTok und – etwas überraschend – die hier sehr beliebten WhatsApp-Stories sind für mich echte Fundgruben für Geschichten. Auf Instagram teile ich Eindrücke aus meinem Reporterinnen-Alltag, besonders von Recherchereisen, für die sonst kaum Platz ist. Facebook nutze ich fast nur noch wegen der Gruppen – dort läuft viel praktisches Networking: Journalist:innen empfehlen gute Fahrer:innen oder Übersetzer:innen, Expats verkaufen Autos und Matratzen. Der Rest der Plattform hat für mich stark an Bedeutung verloren.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
News kommt heute aus allen Ecken – über Social Media, Messaging-Apps oder Podcasts. Ich verbringe deutlich mehr Zeit damit, Fakten zu überprüfen, weil die Quellenlage unübersichtlicher geworden ist.
Dann sind in Afrika heute viel weniger Journalist:innen unterwegs als noch 2015, als ich angefangen habe – festangestellte Korrespondent:innen gibt es kaum noch. Dafür ist der kollegiale Austausch untereinander gewachsen: Man hilft sich, teilt etwa Tipps und Kontaktnummern.
Auch die Technik hat sich verändert: Sie ist leichter zugänglich und macht vieles einfacher. Gleichzeitig sind die Anforderungen gestiegen – viele produzieren heute parallel Radiobeiträge, Onlineartikel, Videos und Fotos.
Wenn Du an die Medien in Deinem Berichtsgebiet denkst – was ist anders als in der Schweiz?
Die Bedingungen sind oft grundlegend anders. In Uganda gibt es nur ganz, ganz wenige wirklich unabhängige Journalist:innen. Wer kritisch berichtet, riskiert viel – den Job, die Freiheit, manchmal sogar das Leben. Und trotzdem gibt es Menschen, die genau das tun. Dieser Mut beeindruckt mich jedes Mal aufs Neue.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Sicher. Fast jedes Reel, jedes TikTok-Video ist ja heute untertitelt – das geschriebene Wort lebt also fröhlich weiter. Was ich aber gerade mega feststelle: Meine Rechtschreibung leidet. Ausgerechnet wegen all der Autokorrekturen und KI-Hilfen.
Was soll man heute unbedingt lesen?
«The Continent» – die beste Wochenzeitung Afrikas, gratis als PDF per WhatsApp. Kurz, klug, gemacht von afrikanischen Journalist:innen.
«Kongo – eine Geschichte», weil es die Geschichte Kongo-Kinshasas über Menschen erzählt, nicht über Jahreszahlen.
«Der Schattenkönig» , über äthiopische Frauen im Krieg gegen Mussolinis Invasion – voller Kraft, Erinnerung und Widerstand.
«Die erste Frau», weil man viel über Uganda, Patriarchat und Selbstermächtigung lernt – ohne dass es je belehrend wird.
«My Sister, the Serial Killer» – eine kurze, schräge Geschichte aus Nigeria, die gleichzeitig zum Lachen und Gruseln ist.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Zeit für ein schlechtes Buch habe ich nie – das Leben ist zu kurz und mein Stapel ungelesener Bücher zu hoch.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Beim Bier mit den Fussballkollegen, in den Lyrics ugandischer Afrobeats – da steckt manchmal mehr Gesellschaftsanalyse als in mancher News-Story. Bei lokalen Comedians auf TikTok. Und auf WhatsApp, in diesen ewig langen Sprachnachrichten, die mit «I’m not sure if this is true, but…» anfangen – und dann folgt eine Viertelstunde Weltpolitik.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Das Ende der Tageszeitung als Massenprodukt ist eingeläutet. Jetzt schlägt die Stunde der Liebhaberobjekte – für alle, die Rascheln und Druckerschwärze mögen.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Sicher keine neue Entwicklung – aber ganz klar eine Gefahr. Es ist verrückt, welche Falschinformationen kursieren, egal ob in Afrika oder Europa. Und ich merke in Gesprächen immer wieder, wie oft irgendwelche Fake News die Runde machen – gefühlt häufiger und hartnäckiger als früher. Das untergräbt Vertrauen und macht unsere Arbeit zwar wichtiger, aber auch anstrengender.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Ich bin ohne Fernseher aufgewachsen und dann direkt ins Streaming-Zeitalter eingestiegen – lineares Fernsehen habe ich so gut wie nie geschaut, höchstens mal via App oder das Ski-Rennen bei den Grosseltern. Live-Radio höre ich ab und zu bei Breaking News oder nach wichtigen Abstimmungen – ich mag, dass ich da oft innert weniger Minuten eine erste Einschätzung oder Analyse eines Ereignisses erhalte.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Ich geb’s zu: Ich bin süchtig – und immer offen für neue Tipps.
Für tiefgründige Afrikanachrichten höre ich «Into Africa» (CSIS), fürs schöne Storytelling «Short Cuts» von der BBC – das ist wie träumen mit Kopfhörern. «Modern Love» bringt mich regelmässig zum Weinen. Und «Podcast and Chill» oder «Normal Gossip» sind meine Go-tos fürs Lachen – getestet im Gotthard-Stau.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Das ist eine Warnung in knallrot. Zum Glück bekommt Medienkompetenz in Schulen mehr Gewicht. Und ich habe nicht das Gefühl, dass grundsätzlich kein Interesse da ist – im Gegenteil. Bei Begegnungen spüre ich oft Neugier, auch für Afrika. Aber viele finden keinen Zugang, der sich nach ihnen richtet. Nichts, das ihren Ton trifft – besonders im deutschsprachigen Raum. Ideen gäbe es genug. Aber bis wir sie umsetzen, ist die Zielgruppe oft schon wieder auf der nächsten Plattform. Wir müssen schneller, mutiger – und viel experimentierfreudiger werden.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Ein Teil lässt sich sicher automatisieren – gewisse Meldungen, Börsentexte, Spielberichte, Wahlergebnisse, Verkehrs- oder Wettermeldungen. Und ja, KI macht meine Arbeit an vielen Stellen besser: als Lektorin, Sparringspartner, Recherchehilfe. Aber gerade im Auslandjournalismus lebt vieles von Begegnungen, Zwischentönen, kulturellem Kontext. Das kann keine Maschine ersetzen.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Das Ende der Schreibmaschine hat den Journalismus nicht begraben – nur unsere Tippfehler schneller gemacht. Mit der Digitalisierung ist es ähnlich: Sie wirbelt vieles durcheinander, macht aber auch enorm viel möglich. Mein Job hat sich dadurch stark verändert – und viele Geschichten wären ohne digitale Tools gar nicht machbar. Aus El Fasher in Darfur etwa bekomme ich heute Sprachnachrichten – anders wäre eine Berichterstattung aus dem kriegsgebeutelten Sudan kaum denkbar. In Ländern wie Eritrea, die keine Journalist:innen reinlassen, ist das manchmal der einzige Weg, um Stimmen vor Ort zu hören. Die Welt teilt Infos in Echtzeit – ein Geschenk, aber auch eine tägliche Reizüberflutung.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Klar ja. Unabhängige Medien sind kein Selbstläufer – das sehe ich in vielen Ländern, aus denen ich berichte. Wo sie fehlen oder unter Druck stehen, fehlt oft auch die Kontrolle der Macht. Aber wenn wir unabhängigen Journalismus wollen, müssen wir auch was dafür zahlen. Demokratie zum Dumpingpreis funktioniert nicht.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ja – sogar Interviewnotizen. Ich kann mir Handgeschriebenes besser merken, und es überlebt jeden Stromausfall. Aber seit meinem früheren Leben als Sekundarlehrerin weiss ich auch: Meine Handschrift ist «krass kracklig».
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Für den Journalismus als demokratische Institution ist Trump ganz klar schlecht: Er untergräbt systematisch das Vertrauen in Medien, nennt kritische Berichterstattung «Fake News», greift Journalist:innen persönlich an und macht Misstrauen zur Strategie. Gleichzeitig zeigt er uns im Alltag auch unsere Grenzen auf – mit dieser ständigen Themenflut, der Dauererregung, dem Tempo. Oft kommen wir kaum hinterher mit der Einordnung. Das ist ein echter Stresstest für den ganzen Berufsstand.
Wem glaubst Du?
Wer sich hinterfragen lässt.
Dein letztes Wort?
«Prüfet alles – das Gute behaltet.» Steht schon in der Bibel, passt aber auch wunderbar zum Journalismus.
Sarah Fluck
Sarah Fluck hat Afrikapolitik an der SOAS in London studiert. Nach ersten Jahren als Sekundarlehrerin fand sie über ein Volontariat beim «Tages-Anzeiger» den Einstieg in den Journalismus. Danach hat sie als freie Journalistin aus Ostafrika berichtet. Seit 2024 arbeitet sie als Afrika-Korrespondentin für Radio SRF. Sarah Fluck lebt in Kampala, der Hauptstadt von Uganda. https://sarahfluck.com/de/
Basel, 16.07.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Bild: zvg
Seit Ende 2018 sind über 330 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
Wenn Sie kein Fragebogeninterview verpassen möchten, abonnieren Sie meinen Newsletter.
- Das neue Fragebogeninterview
- Hinweis auf den Wochenkommentar
- Ein aktueller Sachbuchtipp
- Ein Roman-Tipp
Nur dank Ihrer Unterstützung ist das Fragebogeninterview möglich. Herzlichen Dank dafür!
Ein Kommentar zu "Sarah Fluck: «Wer kritisch berichtet, riskiert viel – den Job, die Freiheit, manchmal sogar das Leben.»"
„Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?“ heisst die Frage. S. Fluck reagiert auf diese mit: „Klar ja; ja klar“….
Es scheint gottgegeben dass subventionierte Medien „unabhängig“ seien. Dem ist aber leider nicht immer so wie etliche Beispiele aus nah und fern zeigen….
Steuergeldsubvention oder verordnete Gebühren (z.B. SRG/SRF-Medienabgabe; zwingend) führen nicht „gesichert“ zu unabhängiger Berichterstattung. Deshalb kann an jeglicher Art von Subvention gezweifelt werden. Denn alles andere wäre ja zu schön….