Samuel Burgener: «Heute sind die Journalistinnen und Journalisten besser.»

Publiziert am 6. März 2024 von Matthias Zehnder

Das 271. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Samuel Burgener, Leiter des Nachrichtenressorts und Tagesleiter bei der NZZ. Er sagt, er habe heute «viel mehr berufsbedingtes, stressiges und wohl unnützes Pflichtgefühl beim Lesen». Trotzdem beginnt er seinen Tag klassisch mit der NZZ, dem «Tagi» und dem «Blick». «Früher», sagt er «waren die Arbeitsbedingungen besser. Heute sind die Journalistinnen und Journalisten besser.» Um die Zukunft und die jungen Nachrichtenverweigerer macht er sich keine grossen Sorgen: «Von 16 bis 29 zählte ich auch zu den News-Deprivierten. Okay, bis 25.» Irgendwann komme man in ein Alter und in einen Zustand, in dem man «wissen will, was in Afghanistan, Polen oder Jemen passiert», was ein Leitzins sei und «warum sich Renzo Blumenthal und Ladina getrennt haben». Vor der KI hat Burgener keine Angst: «Viel schlimmer als Roboter, die schreiben wie Journalisten, sind Journalisten, die schreiben wie Roboter.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Sehr klassisch, ich lese: Immer die NZZ, den «Tagi», den «Blick» und die «Süddeutsche». Regelmässig «Die Zeit», den «Walliser Boten» und die «Republik». Andere punktuell.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok und BeReal?

Facebook ist die alte, ländliche Heimat, ist Nostalgie und Boomertum. Twitter ist wichtig für den Beruf, noch immer. Auf Instagram folge ich nur japanischen Denim-Brands.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Ich habe viel mehr berufsbedingtes, stressiges und wohl unnützes Pflichtgefühl beim Lesen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Früher waren die Arbeitsbedingungen besser. Heute sind die Journalistinnen und Journalisten besser.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Falls nicht, habe ich auch keine.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Welch uferlose Frage. Ein Versuch: Die Liste meiner zehn liebsten Bücher (verändert sich ab und zu minimal):

Alexander Solschenizyn – Archipel Gulag

Corinna S. Bille – Theoda

Michail Bulgakow – Meister und Margarita

Harper Lee – To Kill a Mockingbird

Lucia Berlin – Was ich sonst noch verpasst habe

Saul Bellow – Die Abenteuer des Augie March

Plinio Martini – Nicht Anfang und nicht Ende

Mely Kiyak – Frau sein

William Faulkner – Als ich im Sterben lag

David Albahari – Mutterland

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich habe in den vergangenen zehn Jahren, ausser «Hagard» von Lukas Bärfuss, kein einziges schlechtes Buch gelesen. Ich lese oft Kanon, höre auf die richtigen Tippgeber/innen und wende viel Zeit auf für die Recherche, bevor ich ein Buch lese.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Ich weiss, dass mich fast alles interessiert.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Gibt es die noch?

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Was an Fake News gut sein soll, leuchtet mir nicht ein.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Schwiizer Nati und Lauberhorn auf SRF. Die Spiele des FC Sion im Radio-Live-Kommentar auf Rhone FM.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Eher selten. «Zeit-Verbrechen» in den Ferien. «Echo der Zeit» regelmässig. Manchmal: «The Daily» von der «New York Times». «Qui Bono». «Jagoda Marinic» etc.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Ich bin da entspannt: Von 16 bis 29 zählte ich auch zu den News-Deprivierten. Okay, bis 25. Irgendwann kommt man in ein Alter und in einen Zustand, in dem man wissen will, was in Afghanistan, Polen oder Jemen passiert. Wie die Schweizer Innenpolitik funktioniert. Was ein Leitzins ist. Wie Jon Fosse schreibt. Warum sich Renzo Blumenthal und Ladina getrennt haben.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Viel schlimmer als Roboter, die schreiben wie Journalisten, sind Journalisten, die schreiben wie Roboter. Und Pietro Supino würde wohl auch ein paar Roboter entlassen, um zu sparen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Journalismus ist Journalismus ist Journalismus. Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ich bin sehr gespalten.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ich zeichne sogar. An langen Sitzungen, um wenigstens minimal fokussiert zu bleiben.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schwierig: Er war schlecht, weil durch ihn unzählige Menschen das Vertrauen in die Medien verloren haben. Und er war gut, weil durch ihn unzählige Menschen gemerkt haben, wie wichtig Geopolitik ist.

Wem glaubst Du?

Ich halte es mit Maxim Biller: «Wer nichts glaubt, schreibt.»

Dein letztes Wort?

Hopp HC Saas-Fee Avalanche!

Samuel Burgener

Samuel Burgener ist Leiter des Nachrichtenressorts und Tagesleiter bei der NZZ. Geboren 1987, aufgewachsen in Saas-Fee. Startete den beruflichen Werdegang mit 20 Jahren bei der Lokalzeitung Walliser Bote und absolvierte zeitgleich die Ausbildung am MAZ in Luzern. Daraufhin Praktika bei der NZZ, der Süddeutschen Zeitung und der FAZ. Dann acht Jahre Sportredaktor bei der NZZ. Ab 2020 freier Journalist, Coach und Dozent für verschiedene Medien. Von 2021 bis 2023 Blattmacher, Textchef und Mitglied der Chefredaktion beim Walliser Boten.

Basel, 6. März 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 270 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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