Salvador Atasoy: «Manchmal beschleicht mich das Gefühl, wir hadern damit, dass sich Dinge verändern.»

Publiziert am 6. Februar 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Salvador Atasoy, Leiter «Medientalk» auf SRF4 News und Moderator von «Heute Morgen», über seinen persönlichen Mediengebrauch, den Umgang mit Sozialen Medien, das lineare Radio und die Zukunft des Journalismus. Und über Donald Trump.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Meine Welt ist das gesprochene Wort. Ich will wissen, was die Kolleginnen und Kollegen machen – meine Eigenen natürlich, aber auch die Anderen. Die BBC, Deutschlandfunk, Podcasts ohne fixe Stationen. Sprich, mein mobiler Lautsprecher darf nicht fehlen – oder der Knopf im Ohr.

Im Zweifel lieber Text ohne Bild oder Bild ohne Text?

Gutes Audio ist Kino im Kopf.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Social Media ist für mich heute ein Teil des normalen Medienkonsums. Kommunikationsfachleute tummeln sich eher auf Twitter, kurz, klar, sehr oft auch erheiternd. Insta und FB sind für mich eher für Celebs, Influencing und vor allem FB auch für längere, tiefergehende Diskussionen und Gruppen mit Special Interest.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Das kommt sehr auf den Standpunkt an. Letzten Endes geht es um Deutungshoheit im Massen(medialen)Diskurs. Und dabei vor allem um die Frage: was ist «Wahrheit»? Gut ist sicherlich, dass Medienschaffende nicht mehr einfach hinstehen können und sagen: «hey, es ist im Fall so und so». Userinnen und User hinterfragen, helfen mit, es entsteht eine Community, Transparenz und Interaktion. Was mir Sorgen macht, ist die Gruppe der «Newsdeprivierten» – und der statistische Fakt, dass diese Gruppe wächst. Wenn immer mehr Leute den Bezug dazu verlieren, welche Quellen vertrauenswürdig sind und welche nicht, dann erhält der Begriff «Fake News» eine neue Definition. Es geht dann nicht mehr um «Schreiben was (nicht) ist» – sondern nur noch um «was glaube ich». Das kann nicht gut kommen. Ein Blick in Max Webers «Wirtschaft und Gesellschaft» reicht, um sich den Rest auszumalen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Von Menschen. Meist auf Reisen und von anderen Kulturen. Oft im persönlichen Gespräch, aber natürlich auch via Medien und Social Media.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lese kaum Belletristik. Mich interessieren Sachbücher. Ich lese Dinge oft fertig, auch schlechte – aber meist mit Unterbrüchen. Dann sehe oder höre ich was und denke, hm, da war doch noch was – und dann lese ich an der entsprechenden Stelle wieder weiter. Das Leben ist ein Buchzeichen. Ich mag das.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

9/11 – da war ich in Kenia, irgendwo im Busch. Hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, was passiert ist. Ich dachte eigentlich, in Mombasa sei was in die Luft geflogen. Heute versuche ich via Web zu den Quellen zu gehen, die am nächsten dran sind. Dazu natürlich Social Media. Aber eben, Fake News – man hat dann innerlich eine gewisse Distanz – das kennen wir ja auch aus dem journalistischen Alltag. Man sieht Dinge, macht einen Schritt zurück, denkt zuerst darüber nach, bevor man sich ein Urteil bildet.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Wäre ich Verleger, müsste ich nicht nachdenken. Aber, auch hier – das kommt auf den Standpunkt an. Punkto Medienvielfalt war’s früher klar besser. Punkto Geschwindigkeit, Storytelling und Möglichkeiten, die wir als Journalistinnen und Journalisten haben, ist es heute klar besser. Ausbildung, Digitalisierung, die Spielwiese hat sich exponentiell vergrössert. Ich will nicht wieder zurück zur Bandmaschine.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Ich mag keine Listicles.

Papierbuch oder Kindle?

Das ist Geschmackssache. Mein Vater würde sagen: Papierbuch. Ich sag: Solange die Leute lesen, cool – mir egal wie.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Solange wir dafür bezahlen – bzw. so lange sich jemand findet, der das finanziert. Das kann ewig sein – oder in 20 Jahren ein Ende haben. Prognosen sind was für Meteorologen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Aus Macher-Perspektive: live ist top. Du musst fit sein in der Birne, präsent, fokussiert. Da mir das bewusst ist, schaue ich anderen sehr gerne zu, wie sie mit dieser Situation klarkommen. Ich leide und ich freue mich. Daher: ich häng an live.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Tonnen. Aber keinen absoluten Liebling. Das ist total stimmungsabhängig. Wichtig für mich ist zum Beispiel das «Introducing Mixtape». Ich mag Musik.

Sind digitale Assistenten wie Alexa oder Google Home eine neue Chance für das Radio – oder eine Gefahr für die Menschheit?

Eine Gefahr für die Menschheit? So wie die Borg in «Star Trek»? Nicht digitale Assistenten sind eine Gefahr. Userdaten und Algorithmen in Kombination mit KI – das ist zweifelsohne DIE grosse Herausforderung. Alexa ist (nur) eine Spielerei mit grossem (Markt-)Potential.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Das ist, gelinde gesagt, ein richtig grosses Problem. Die Zahl wirft ein schales Licht auf ein Kapitel, mit dem wir uns auseinandersetzen werden müssen. Nämlich damit, dass zwar die Zahl der Möglichkeiten sich zu informieren exponentiell zugenommen hat – aber Kuration, Selektion und Einbettung in Zusammenhänge Dinge sind, die man erlernen muss. Die Gegenfrage lautet daher: Was muss man tun, um bewussten Medienkonsum zu erlernen?

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja, zweifelsohne. Wenn auch nicht in der Art wie das bisher der Fall war.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Sehr viel sogar. Aber ich habe eine Geheimschrift. Mein Gekritzel ist so hässlich, nur ich kann meine Handschrift lesen. Die Post schickt mir regelmässig Briefe zurück mit Adressat unbekannt.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Donald Trump ist derzeit POTUS und damit in erster Linie ein Politiker. That’s it. Journalistinnen und Journalisten müssen Handlungen einordnen, berichten, analysieren.  Nur: Die Gesellschaft ist im Wandel – das betrifft nicht nur das Mediensystem sondern auch die Politik. Manchmal beschleicht mich einfach das Gefühl, wir hadern damit, dass sich Dinge verändern. Wir sind, ob wir wollen oder nicht, ziemlich nostalgisch. Donald Trump trägt daran keine Schuld.

Wem glaubst Du?

Oh, ich habe doch einen Lesetipp – Niklas Luhmanns Gedanken zum Radikalen Konstruktivismus und zur Realität der Massenmedien. Auch wenn die Theorie eine Schwäche hat, wenn es um den Referenzpunkt des Glaubens und der Realität geht – sie ist bestechend.

Dein letztes Wort?


Salvador Atasoy

Salvador Atasoy ist verantwortlich für die Sendung «Medientalk» auf SRF4 News – zudem moderiert er die Info-Sendung «Heute Morgen», die meistgehörte Nachrichtensendung der SRF-Ketten. Zuvor schrieb er für die FAZ oder die Sonntagszeitung. Atasoy studierte Biologie und Soziologie und schrieb eine Dissertation zum Thema «Der Begriff der Qualität im Journalismus». Salvador Atasoy hat diverse Lehraufträge – unter anderem an der HSG, der Universität in St. Gallen.

www.srf.ch/sendungen/medientalk


Basel, 6. Februar 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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2 Kommentare zu "Salvador Atasoy: «Manchmal beschleicht mich das Gefühl, wir hadern damit, dass sich Dinge verändern.»"

  1. oft wenn ich alleine unterwegs bin – als pendler, beim einkaufen, beim joggen und sport im allgemeinen. ich komm schon auf meine 2h pro tag. locker.

    ich nehm meine umgebung aktiv wahr – aber ich habe zb kein interesse an den telefongesprächen anderer leute im zug. die einen vertiefen sich in ihre zeitung – und ich in podcasts.

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