Sabrina Weiss: «Guter Journalismus wird immer Menschen brauchen»

Publiziert am 7. Dezember 2022 von Matthias Zehnder

Das 206. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Sabrina Weiss, freie Journalistin und Autorin mit den Schwerpunkten Wissenschaft, Umwelt und Gesundheit. Sie sagt, was die sozialen Medien angehe, sei Instagram ihr persönlicher Favorit, sie habe «eine Vorliebe für Fotos und Videos». Mit klassischen Medien tut sie sich eher schwer: «Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal einen Fernseher eingeschaltet habe.» Sie schaue oder höre Sendungen meist «online oder sehe Ausschnitte, wenn sie über soziale Kanäle geteilt werden». Das gilt auch für gedruckte Tageszeitungen: Weiss sagt, sie werde «gedruckte Zeitungen nicht unbedingt vermissen. Aber ich hoffe, dass es Zeitschriften noch eine Weile in gedruckter Form geben wird.» So oder so findet Weiss es «spannend, Teil einer sich verändernden Medienlandschaft zu sein. Wir müssen nur mit dem Publikumsinteresse Schritt halten.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Leider bin ich kein Morgenmensch und lasse das Frühstück normalerweise ausfallen. Ich höre Podcasts auf meinem Arbeitsweg und sobald ich an meinem Schreibtisch sitze, lese ich bei einer Tasse Kaffee verschiedene englisch- und deutschsprachige Medien.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Instagram ist mein persönlicher Favorit, ich habe eine Vorliebe für Fotos und Videos. Und ich verbringe mehr Zeit als mir lieb ist auf Twitter. Für meine Arbeit ist das Netzwerk sehr nützlich. Facebook nutze ich beruflich ab und zu für Recherchen, persönlich nur als internationales «Adressbuch».

Wie hat das Coronavirus Deinen medialen Alltag verändert?

Während der Pandemie verbrachte ich mehr Zeit vor dem Bildschirm und konsumierte mehr Nachrichten. Positiv war, dass ich an virtuellen Konferenzen und Workshops teilnehmen konnte, zu denen ich sonst keinen Zugang gehabt hätte.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Ich habe die glorreichen Zeiten des Journalismus selbst nicht erlebt, aber wenn ich höre, wie viel Budget zur Verfügung stand und wie viel Zeit sich Reporterinnen für Recherchen nehmen konnten, bin ich schon etwas neidisch. Aber ich bin froh, dass ich heute Journalistin bin, denn die Arbeit und die Art und Weise, Geschichten zu erzählen, sind sehr vielseitig.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Absolut.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Alles, was Zeit braucht.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich habe mich lange Zeit durch schlechte Bücher gequält, weil ich den Drang hatte, Angefangenes zu Ende zu bringen, aber jetzt lege ich sie lieber weg.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Gespräch mit Freunden, Bekannten und Fremden.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Solange die Menschen bereit sind, dafür zu bezahlen. Ich persönlich werde gedruckte Zeitungen nicht unbedingt vermissen. Aber ich hoffe, dass es Zeitschriften noch eine Weile in gedruckter Form geben wird.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Wenn Journalist:innen absichtlich falsche Informationen verwenden, schadet das der Glaubwürdigkeit der Medien enorm. Aber auch ungewollte Fehler passieren. Entscheidend ist, dass die Medien die Sache richtigstellen und in Zukunft genauer hinschauen und kritisch bleiben.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich verfolge Fernseh- und Radionachrichten, schaue oder höre Sendungen aber meist online oder sehe Ausschnitte, wenn sie über soziale Kanäle geteilt werden. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal einen Fernseher eingeschaltet habe.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre hauptsächlich narrative Podcasts. Mein Favorit ist der «Slow Newscast» von Tortoise Media, der oft auf Ereignisse zurückblickt und ein wenig tiefer gräbt, um zu zeigen, warum die Geschichten wirklich wichtig sind. Ich höre auch regelmässig «NZZ Akzent», die Folgen sind kurz und perfekt für den Arbeitsweg.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Dass wir uns mehr bemühen sollten, einen produktiven Austausch mit unserem Publikum zu führen und unsere Inhalte ansprechend zu verpacken.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Wenn ich zum Beispiel die Fähigkeiten des neuesten OpenAI-Chatbots sehe, bin ich sowohl beeindruckt als auch beunruhigt. Aber ich glaube nicht, dass Journalist:innen in absehbarer Zeit ersetzt werden können. Ich sehe zwar den Vorteil der automatisierten Beschaffung von öffentlich zugänglichen Informationen, aber guter Journalismus wird immer Menschen brauchen, die recherchieren, einordnen, hinterfragen und Geschichten auf spannende Weise erzählen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Digitalisierung stellt sicherlich traditionelle Geschäftsmodelle infrage. Ich finde es auf jeden Fall spannend, Teil einer sich verändernden Medienlandschaft zu sein. Wir müssen nur mit dem Publikumsinteresse Schritt halten.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Um die Medienvielfalt zu erhalten, ja.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ich mache mir bei der Recherche und unterwegs immer Notizen, die ich danach kaum entziffern kann. Aber zum Glück kann ich mir Dinge besser merken, wenn ich sie aufgeschrieben habe.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Sein Unterhaltungswert ist unbestritten. Aber ich finde, dass viele Medien zu sehr auf seine Persönlichkeit fixiert sind, statt auf die Folgen seiner Politik.

Wem glaubst Du?

Ziemlich vielen Menschen, aber nur wenigen sofort.

Dein letztes Wort?

Sind Sie sicher, dass ich diese Fragen nicht mit einem KI-gesteuerten Tool beantwortet habe?


Sabrina Weiss
Sabrina Weiss ist freie Journalistin und Autorin in Zürich mit den Schwerpunkten Wissenschaft, Umwelt und Gesundheit. Sie schreibt sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch, ihre Arbeiten sind unter anderem in der «Neuen Zürcher Zeitung», «Republik», «Wired» und «National Geographic» erschienen. Sie arbeitet zudem als Teilzeit-Redaktorin bei «SWI swissinfo.ch», dem Auslandsdienst der SRG. Sie ist Mitgründerin des Netzwerks Klimajournalismus Schweiz. Neben ihrer journalistischen Tätigkeit hat Sabrina drei Sachbücher für Kinder über das Meer, Tiere und Inseln geschrieben.
https://www.sabrinamweiss.com/


Bild: Louise Neervoort

Basel, 7. Dezember 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 200 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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