Roman Fillinger: «Zuhören können ist für mich eine Grundvoraussetzung für Journalismus.»
Das 289. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Roman Fillinger, Osteuropakorrespondent für SRF mit Sitz in Warschau. Er sagt, dass sich in vielen Ländern im Osten der EU «die starke Polarisierung der Politik in der Medienlandschaft» spiegle. «Wer ein umfassendes Bild haben möchte, muss sich dieses oft aus mindestens zwei Medienblasen zusammenpuzzeln. Das ist in der Schweiz glücklicherweise anders.» In diesem Umfeld werden Fake News zur grossen Gefahr. Besonders augenscheinlich sei das «in der Slowakei, wo die Regierung inzwischen kaum mehr mit unabhängigen Medien spricht und stattdessen lieber Fake-News-Kanäle bedient.» Er warnt: «Wenn Tatsachen, Behauptungen und Lügen austauschbar werden, ist eine konstruktive demokratische Debatte kaum mehr möglich. Das hat verheerende Folgen für den Zusammenhalt einer Gesellschaft.» Für ihn sind Gespräche mit Menschen deshalb besonders wichtig, die journalistischen genauso wie die privaten. «Zuhören und sich für alles Mögliche interessieren zu können, sind für mich Grundvoraussetzungen für die journalistische Arbeit.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Unter der Woche einmal quer durch die Schweiz und einmal quer durch Osteuropa: «Heute Morgen», «Gazeta Wyborcza», «Rzeczpospolita», «Tages Anzeiger», «24.hu», NZZ, Radio Prague Newsletter, «Romania Insider», «Blick», «sme.sk», «Le Temps»; am Wochenende: Die Kochkolumnen im «Magazin» und in der «New York Times».
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok und BeReal?
Ich nutze Facebook, X und Linkedin regelmässig, um Gesprächspartner zu finden und zu kontaktieren; Instagram ab und zu, um die Freude an einem besonderen Bild zu teilen.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Bildschirme haben Zeitungen abgelöst, Podcasts und zeitversetztes Radio das Live-Radio. Und die Menge an konsumierten Medien hat zugenommen.
Wenn Du an die Medien in Deinem Berichtsgebiet denkst – welche Unterschiede fallen Dir im Vergleich zu den Medien in der Schweiz auf?
In vielen Ländern im Osten der EU geht noch seltener ums beste Argument als anderswo in Europa. Fast überall spiegelt sich die starke Polarisierung der Politik in der Medienlandschaft. Wer ein umfassendes Bild haben möchte, muss sich dieses oft aus mindestens zwei Medienblasen zusammenpuzzeln. Das ist in der Schweiz glücklicherweise anders.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Worte haben Zukunft – geschrieben, gesprochen und immer wieder auch gesungen.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Gute Bücher. Zum Beispiel «Der Boxer» von Szczepan Twardoch. Oder «Unterleuten» von Juli Zeh. Oder «Der wilde Kontinent» von Keith Lowe. Dazu Reportagen, weil Geschichtenerzählen und -hören ein tieferes Verständnis schafft.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher. Was langweilt, muss weg.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Vor allem in Gesprächen, journalistischen genauso wie privaten. Zuhören und sich für alles Mögliche interessieren zu können, sind für mich Grundvoraussetzungen für die journalistische Arbeit.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Noch lange, aber für immer weniger Leserinnen und Leser, sagt das Zeitungsorakel von Warschau.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Sie sind eine Gefahr. Für mich ist das besonders augenscheinlich in der Slowakei, wo die Regierung inzwischen kaum mehr mit unabhängigen Medien spricht und stattdessen lieber Fake-News-Kanäle bedient. Wenn Tatsachen, Behauptungen und Lügen austauschbar werden, ist eine konstruktive demokratische Debatte kaum mehr möglich. Das hat verheerende Folgen für den Zusammenhalt einer Gesellschaft.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Ich höre Radio und schaue Fernsehen praktisch ausschliesslich zeitversetzt.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Täglich. Zu meinen Favoriten gehören das «Echo der Zeit», «This American Life» oder «Beziehungskosmos». Im Hinblick auf meinen Umzug nach Lausanne sind jetzt unter anderem «Mise au point» und «Dingue» von RTS dazu gekommen.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Es heisst, dass wir uns überlegen müssen, wie wir diese jungen Menschen mit fundierter Information besser erreichen können. Qualitätsmedien müssen präsent sein auf den Kanälen, auf denen diese Menschen unterwegs sind. Sie dürfen aber nicht der Versuchung erliegen, beliebigen Content zu verbreiten, nur um Klicks zu generieren. Das Katzenvideo kann die Politanalyse nicht ersetzen.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Das Zusammenpappen von Textbausteinen lässt sich automatisieren. Und künstliche Intelligenz übernimmt Arbeiten, die bislang Journalistinnen und Journalisten geleistet haben. Ich nutze täglich KI für das Transkribieren von fremdsprachigen Interviews.
Dass sich die Kernaufgaben des Journalismus automatisieren lassen, ist für mich hingegen nicht absehbar. Für die Unterscheidung zwischen Sinn und Unsinn, zwischen wichtig und unwichtig, für das Gespräch mit Menschen, den Augenschein vor Ort sowie für das Erzählen von Geschichten, braucht es noch lange Journalistinnen und Journalisten.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Weder noch. Die Digitalisierung macht unser Geschäft komplizierter und gleichzeitig den Journalismus vielfältiger.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Ja. Wir brauchen eine Medienförderung dort, wo der Markt versagt und Medien mit Unterstützung doch ein relevantes Publikum finden können. Wo diese Schnittmenge genau liegt, muss das Resultat einer politischen Debatte sein.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Für Notizen und kleine Beobachtungen ist die Handschrift unübertroffen. Wenn meine nur leichter zu entziffern wäre…
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Trump war gut für die Medien, weil er uns Journalistinnen und Journalisten vor Augen geführt hat, wie falsch wir liegen können, wenn wir den Leuten, die ganz anders leben und denken als wir, nicht aufmerksam zuhören und versuchen, ihren Standpunkt zu verstehen.
Trump ist schlecht für die Medien, weil er das atemlose Zuspitzen weiter befeuert und die mithilft, dass vielerorts Schlagworte die ernsthafte Auseinandersetzung ablösen.
Wem glaubst Du?
Ganz vielen. Aber niemandem immer.
Dein letztes Wort?
Das gehört Franz Josef Strauss: «Man muss einfach reden, aber kompliziert denken – nicht umgekehrt.»
Roman Fillinger
Roman Fillinger ist seit bald sechs Jahren Osteuropakorrespondent für SRF mit Sitz in Warschau. Ab September berichtet der 48-Jährige als Korrespondent für SRF aus der Romandie. Zuvor war er viele Jahre Moderator und stellvertretender Redaktionsleiter des «Echo der Zeit». Seine ersten Schritte beim Radio machte der Stadtzürcher als Stagiaire beim damaligen DRS 2. Dort war er auch Mitgründer des Auslandmagazins Atlas. Roman Fillinger hat Politikwissenschaft und Ökonomie an den Universitäten Zürich, Wien und London studiert und den Diplomlehrgang am MAZ abgeschlossen.
https://www.srf.ch/news
Basel, 10. Juli 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 280 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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2 Kommentare zu "Roman Fillinger: «Zuhören können ist für mich eine Grundvoraussetzung für Journalismus.»"
Zuhören können ist nicht nur eine Grundvoraussetzung für Journalismus, sondern auch für Friedensfähigkeit: Mögen wir von Herzen aus Liebe und mit Freude den Frieden leben.
Ferienzeit – Freizeit – Bastelzeit….
Frage: Medienförderung Ja? Nein?
Antwort: „Ja. Wir brauchen eine Medienförderung dort, wo der ……………………. versagt und Medien mit Unterstützung doch ein relevantes Publikum finden können.“
In die Punktion kann man nun eintragen was man will, Möglichkeiten sind Vielfältig wie
…der Journalist
…der Verlag
…der Markt
…der Sender
…der Verstand
je nach belieben und so weiter und so fort. Viel Bastelspass.