Roger Blum: «Journalismus ist nicht nur Handwerk, sondern auch Kulturleistung»

Publiziert am 15. Mai 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Roger Blum, Ombudsmann der SRG Deutschschweiz, über seinen persönlichen Mediengebrauch, seinen Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Blum sagt, der Journalismus sei früher nicht besser gewesen: «Die Ausbildung der Journalistinnen und Journalisten ist heute in Bezug auf Fachkompetenz und Vermittlungskompetenz deutlich professioneller, aber die Sachkompetenz hat gelitten.» Dass junge Menschen Medien anders konsumieren, macht ihm kein Bauchweh: «Die Jungen nehmen eben News schon wahr, aber anders sortiert. Sie sind gar nicht so schlecht informiert. Aber oft fehlt ihnen das Zusammenhangwissen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Meine Frau und ich frühstücken eigentlich immer ohne Medien. Wir haben keinen Aktualitätsdruck. Erst danach blättere ich auf dem Laptop die abonnierten E-Papers der NZZ und der «Basellandschaftlichen Zeitung» durch, ebenso konsultiere ich «persoenlich» und den «kleinreport», später kaufe ich hin und wieder die «Süddeutsche Zeitung» am Kiosk und konsultiere vielleicht im Café den «Kölner Stadt-Anzeiger». Auch die «Zeit» und den «Spiegel» kaufe ich Woche für Woche am Kiosk, nur die «Weltwoche» kommt per Post. Welch ein Kontrast zu den 60er/70er Jahren, als ich durch Radio «Europe No. 1» permanent à jour war und jeweils bis 4 Uhr in der Früh an meiner Doktorarbeit schrieb, um dann noch vor dem Schlafengehen die «Basler Nachrichten» und die «National-Zeitung» aus dem Briefkasten zu ziehen und zu lesen.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Ich bin auf Facebook und auf Twitter. Tag für Tag schreibe ich einen Tweet zum jeweils neu veröffentlichten Schlussbericht der Ombudsstelle der SRG Deutschschweiz.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Am Laptop über Twitter und CNN, und wenn es um die Schweiz geht, auch über Radio SRF.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Es war früher nicht besser. Die Ausbildung der Journalistinnen und Journalisten ist heute in Bezug auf Fachkompetenz und Vermittlungskompetenz deutlich professioneller, aber die Sachkompetenz hat gelitten. Ein «Herr Redaktor» der 50er Jahre hatte eine umfassendere humanistische Bildung.

Sind Radio- und TV-Konsumenten heute kritischer (oder nörglerischer) als früher?

Ja. Heute kann man unmittelbar nach einer Sendung vom iPhone aus motzen. Früher schlief man darüber und schrieb dann den geplanten wütenden Brief doch nicht.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja. Selbst die syrische Revolution begann mit geschriebenen Worten: Mit Graffiti von Schülern in Deraa.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Spittelers Rede «Unser Schweizer Standpunkt», Max Frisch, Nagib Machfus und Hanns-Josef Ortheil.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich habe schlechte Bücher schon förmlich in die Ecke geworfen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Gewiss in der Zeitung, aber auch in der Buchhandlung.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Noch lange, aber für immer kleinere Lesergemeinden.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Sie sind eine Gefahr, weil stets ein Teil des Publikums sie für wahr hält. Wenn aber die Wahrheit parteiabhängig ist, dann haben die Medien ein Problem, weil ihre Hauptaufgabe ja die Suche nach der Wahrheit ist. Was, wenn sie sie gefunden haben, aber nur die Hälfte des Publikums sie als solche anerkennt?

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich gucke selten live Rundfunk (ausser natürlich bei Bundesratswahlen). Mein hauptsächlicher Fernsehkonsum nährt sich aus der Mediathek, weil ich permanent Sendungen gucken muss, die bei der Ombudsstelle beanstandet wurden.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Da absentiere ich mich.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Die Jungen nehmen eben News schon wahr, aber anders sortiert. Sie sind gar nicht so schlecht informiert. Aber oft fehlt ihnen das Zusammenhangwissen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Im Nachrichtenbereich schon. Aber Journalismus ist nicht nur Handwerk, sondern auch Kulturleistung, und diese lässt sich nicht automatisieren.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Unbedingt. Journalismus wird wichtiger denn je. Denn es braucht jene, die die Nachrichten sortieren, interpretieren, in grössere Zusammenhänge stellen, kommentieren. Die seismografische, einordnende, anwaltschaftliche, investigative und aufklärende Funktion des Journalismus ist auch in Zukunft unabdingbar.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Natürlich. Immer, wenn ich einem Referat zuhöre, stellt sich der studentische und journalistische Reflex ein: Ich nehme einen Schreibblock und mache mir Notizen.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Per Saldo schlecht, denn er bringt mit präsidialer Autorität einen ganzen Berufsstand in Verruf. Es ist, wie wenn der Schweizer Bundespräsident ein Jahr lang immer wieder sagte: «Kauft nicht in der Migros ein, dort sind alle Waren vergiftet». Mit der Zeit wirkt es.

Wem glaubst Du?

Meiner Frau. Fundierten Recherchen. Und empirisch basierten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Dein letztes Wort?

Das spare ich mir auf.


Roger Blum

Roger Blum (1945) studierte Geschichte und Staatsrecht in Basel (Dr. phil.), war FDP-Abgeordneter im Kantonsparlament Baselland, arbeitete als freier Journalist bei der «Basellandschaftlichen Zeitung» und bei den «Basler Nachrichten» und vollberuflich bei den «Luzerner Neusten Nachrichten» (Inlandchef) und beim «Tages-Anzeiger» (Inland, Chefredaktion, Bundeshaus), war 1989-2010 Professor für Medienwissenschaft in Bern, dazu Präsident des Presserates, Präsident der UBI und Ombudsmann der SRG.D.

http://blexkom.halemverlag.de/roger-blum/
http://blexkom.halemverlag.de/blum-interview/
https://www.srgd.ch/de/uber-uns/ombudsstelle/schlussberichte/
 


Basel, 15. Mai 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jede Woche ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar und einen Buchtipp.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.