Roger Aebli: «In ‹Breaking News›-Situationen ist Live-Fernsehen für mich unverzichtbar»

Publiziert am 17. April 2024 von Matthias Zehnder

Das 277. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Roger Aebli, Moderator und Produzent der«Tagesschau»-Nebenausgaben von SRF. Er sagt, die Befürchtungen, «dass jeder Journalist zur eierlegenden Wollmilchsau mutieren muss, um zu überleben», habe sich zumindest für ihn nicht bewahrheitet. Vielleicht seien früher die Arbeitsbedingungen besser gewesen. «Wir machen unter den gegebenen Umständen den bestmöglichen Job, das zumindest kann ich guten Gewissens sagen.» Aebli findet es wichtig, Qualitätsmedien zu lesen: «So wie mir mein Geschichtslehrer schon in den 90er-Jahren den Auslandteil der NZZ ans Herz legte, so würde ich meinen Kindern, so ich welche hätte, auch heute noch das Abonnieren eines Zeitungstitels oder Nachrichten-Magazins nahelegen.» Sorgen macht ihm die teils hitzige Schlacht um «Fake News»: «Das Etikett ‹Fake News› ist meines Erachtens unterdessen ein Totschlagargument für viele, die sich nicht mehr die Mühe machen, der Gegenseite überhaupt zuzuhören.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Nach dem Schliessen der Wecker-App geht’s direkt zu Play SRF, um mich von den SRF4News-Kolleg:innen auf den neuesten Stand bringen zu lassen. Im ÖV Richtung Leutschenbach darf die «Tagi»-App nicht fehlen, gefolgt von den BBC-Radio-Nachrichten oder dem Deutschlandfunk. Die Apps von «Spiegel», «Guardian» und «New York Times» steuere ich ebenfalls sehr oft an – egal zu welcher Tageszeit.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok und BeReal?

Während ich Facebook etwa während des US-Präsidentschaftswahlkampfs 2016 als News-Aggregator noch rege verwendet habe, hat die Plattform seither stark an Relevanz eingebüsst. Und dennoch: Um für gewisse Geschichten an Protagonisten zu kommen, sind Facebook-Gruppen eine valable Anlaufstelle. Auf Instagram verweile ich primär, um mich mit weniger ernsten Inhalten vom Newsalltag zu erholen. YouTube ist eine wunderbare Quelle, um als Tagesschau-Moderator herauszufinden, wie ein mir bislang unbekannter ausländischer Politiker korrekt ausgesprochen wird. Auf X bewege ich mich nur noch sporadisch, da mich die Entwicklungen unter Elon Musk schlicht beelenden. Für TikTok fehlen mir Zeit und Energie.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Als ich mir 2008 nach dem Abschluss meines Journalismus-Studiums in Winterthur beim Privatradio meine Sporen abverdiente, war die Medienkonvergenz in aller Munde. Die Befürchtungen, dass jeder Journalist zur eierlegenden Wollmilchsau mutieren muss, um zu überleben, hat sich für mich zumindest nicht bewahrheitet. Natürlich hilft es, möglichst viele Vektoren bedienen zu können. Aber der Inhalt ist in meinem Alltag glücklicherweise noch immer entscheidender als die Form.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Wenn ich mit älteren Kolleginnen und Kollegen spreche, die noch die goldigen Zeiten des Schweizer Journalismus erlebt haben, als man für ein einziges Interview für ein Boulevard-Magazin angeblich auch mal nach New York jettete, dann könnte man natürlich glatt neidisch werden. Aber zumal ich «erst» seit 15 Jahren im Journalismus bin, überblicke ich schlicht eine zu kurze Zeitspanne, um Arbeitsbedingungen oder auch Output kritisch würdigen zu können. Wir machen unter den gegebenen Umständen den bestmöglichen Job, das zumindest kann ich guten Gewissens sagen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Das zumindest versicherten mir meine Journalistik-Dozenten in Winterthur schon vor bald 20 Jahren und daran glaube ich bis heute. Damals waren «Blogs» grad der letzte Schrei, während man bereits den Abgesang auf den Print-Journalismus anstimmte. Der Print hat zwar abgegeben, aber aussterben wird er so bald hoffentlich nicht. Und selbst wenn: Auch am Anfang eines von künstlicher Intelligenz verfassten Texts steht meines Wissens das geschriebene Wort.

Was soll man heute unbedingt lesen?

So wie mir mein Geschichtslehrer schon in den 90er-Jahren den Auslandteil der NZZ ans Herz legte, so würde ich meinen Kindern, so ich welche hätte, auch heute noch das Abonnieren eines Zeitungstitels oder Nachrichten-Magazins nahelegen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Da ich mich auch bei guten Büchern manchmal schwertue, bis zum Ende durchzuhalten, liegt die Antwort auf der Hand: Weglegen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Auf den diversen bereits genannten News-Apps, aber sicherlich nicht in sozialen Medien, wo mir mein Algorithmus schon lange nur noch Dehnübungen und Ernährungstipps für mein Marathontraining gibt. Wofür ich dem Algorithmus aber für einmal sehr dankbar bin.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Hier ziehe ich den Joker, da ich mir keine Prognose anmassen möchte.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Gefahr. Das Etikett «Fake News» ist meines Erachtens unterdessen ein Totschlagargument für viele, die sich nicht mehr die Mühe machen, der Gegenseite überhaupt zuzuhören. Wenn auch Inhalte seriöser Medien von gewissen Gruppen pauschal als «Fake News» diffamiert werden, sehe ich nicht, worin hier eine Chance liegen soll. Und auch die Konzerne hinter Facebook, X und Co. haben sich in den letzten Jahren nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert, was den Kampf gegen «Fake News» betrifft. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

In «Breaking News»-Situationen ist es für mich unverzichtbar. Als letzte Nacht der Iran Drohnen und Raketen Richtung Israel feuerte, zappte ich zwei Stunden lang zwischen CNN, BBC News und Welt TV hin und her. In allen anderen Situationen darf es aber gerne zeitversetzt sein. Selbst ein zweiter Lauf eines Riesenslaloms schaue ich gerne mal eine Stunde verspätet, in der gut begründeten Annahme, dass ja eh Marco Odermatt als erster ins Ziel fahren wird. Auch meine Lieblings-Satiresendung «Willkommen Österreich» oder die samstägliche ARD-Sportschau schaue ich noch immer lieber auf dem grossen Screen als auf meinem Laptop.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Auch wenn «Tagesgespräch» und «Samstagsrundschau» zwar keine originären Podcasts sind, sind sie fixer Bestandteil meines Medienkonsums. Auch dem «Politbüro» der Tamedia-Kollegen höre ich gerne zu. Mein Interesse an US-Politik stille ich mit «Pod Save America» oder dem «Zeit»-Podcast «OK, America?». Und aus demselben Verlagshaus: «Alles gesagt?», bei dem immer der Gast sagt, wann alles gesagt ist.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Dass wir noch riesige Anstrengungen unternehmen müssen, um diese Zahlen nach unten zu korrigieren. Und dass die Anstrengungen meines Arbeitgebers, junge Zielgruppen anzusprechen, in die richtige Richtung gehen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Bis zu einem gewissen Mass sicherlich. Aber die KI wird uns das Weltgeschehen nie so einordnen können, wie es die SRF-Korrespondentinnen und Korrespondenten auf der ganzen Welt tun. Dasselbe gilt für die Arbeit Hunderter Kolleginnen und Kollegen im Inland, egal in welchem Medienhaus.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weil mir die Frage schlicht zu gross erscheint, nehme ich mir die Freiheit, sie mit dem beliebtesten Schlusssatz eines jeden TV-Journalismus-Praktikanten zu beantworten: «Wie es weitergeht, wird die Zukunft zeigen».

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Eine schwierige Frage für einen SRG-Journalisten. Meine diplomatische Antwort wäre: Das müssen Politikerinnen und Medienmanager entscheiden. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre stimmen mich aber nicht allzu zuversichtlich, dass wir ohne Medienförderung in einigen Jahren noch die gleiche Vielfalt an Medienhäusern und -titeln vorfinden werden, zumal die Medienkonzentration ohnehin schon sehr weit fortgeschritten ist und die Verlage vor allem in Bereiche investieren, die mit dem Kern unserer Arbeit nur noch bedingt zu tun haben.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Im Newsroom habe ich zwar oft noch einen Block dabei, damit Themen-Inputs und geplante Beiträge nicht vergessen gehen. Mein viel wichtiger Notizblock ist unterdessen aber die entsprechende App auf meinem Smartphone. Und ansonsten versuche ich Situationen, in denen ich von Hand schreiben muss, zu meiden, da ich niemandem das Dechiffrieren meiner Handschrift zumuten möchte.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Seine verbalen Angriffe auf Medienschaffende im Wahlkampf 2016 haben mich regelmässig erschaudern lassen. Mittlerweile hat der Hass gewisser Anhängerinnen und Anhänger von Populisten weltweit auf uns Medienschaffende ein Niveau erreicht, das mir Angst bereitet – da reicht ein Blick ins nahe Ausland.

Wem glaubst Du?

Eine weitere philosophische Frage, die ich angesichts meiner teils ausschweifenden Antworten auf vorherige Fragen gerne unbeantwortet lassen möchte.

Dein letztes Wort?

In dubio pro Service public.


Roger Aebli
Roger Aebli moderiert und produziert seit eineinhalb Jahren bei SRF die «Tagesschau»-Nebenausgaben. 2005 startete er sein Studium «Journalismus und Organisationskommunikation» in Winterthur in der irrigen Annahme, bald «Mediensprecher» zu werden. Aufs Studium folgten dann jedoch sechs Jahre Radio Grischa, sieben Jahre SRF 4 News in Bern und nun das Engagement beim Fernsehen im SRF-Newsroom in Zürich.
https://www.srf.ch/news


Basel, 17. April 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 270 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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Ein Kommentar zu "Roger Aebli: «In ‹Breaking News›-Situationen ist Live-Fernsehen für mich unverzichtbar»"

  1. Leitmedium, SRG, SRF, Leiter UND wohl obendrauf LATEINER….
    „In dubio pro Service Public“
    Was heisst das?
    Im Zweifel für den öffentlichen Service.
    Damit auch ALLE die wissenswerten Fragebogen verstehen und profitieren können….

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