Reza Rafi: «Der tägliche Meinungsdurchfall frisst vor allem Zeit»
Das 247. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Reza Rafi, Chefredaktor des «SonntagsBlick». Er sagt, morgens laufe bei ihm in der Küche Radio SRF 2 Kultur. «Das elitäre Geplätscher ist der ideale Hintergrund zum Wachwerden.» Davon abgesehen hält er sich an digitale Medien: «Heute muss ich für Fakten und Analysen zu einem Ereignis nicht warten, bis die Zeitung am nächsten Morgen im Briefkasten liegt.» Das Internet habe die Meinungsvielfalt belebt. «Dafür hat mit dem Konkurrenzdruck das Selbstmarketing zugenommen», sagt Rafi. Podcasts hört er nicht, weil er nicht Fernfahrer ist: «In meinem Alltag komme ich selten dazu.» Vor der KI hat er keine Angst. Er sei «überzeugt, dass es für Erzählformen, hinter denen ein Mensch aus Fleisch und Blut steckt, immer eine Nachfrage geben wird.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Morgens läuft bei uns in der Küche Radio SRF 2 Kultur. Das elitäre Geplätscher ist der ideale Hintergrund zum Wachwerden. Zum Espresso mag ich den angenehm temperierten Moderationsstil, und dass das Publikum noch gesiezt wird.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?
Twitter, also X, ist unschlagbar bei Breaking News. Der tägliche Meinungsdurchfall hingegen ist hin und wieder unterhaltsam, frisst aber vor allem Zeit. Ferien- und Partyfotos anderer Leute interessieren mich weniger.
Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?
Wie wohl in den meisten Redaktionen: Homeoffice wird nie mehr ganz verschwinden.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Heute muss ich für Fakten und Analysen zu einem Ereignis nicht warten, bis die Zeitung am nächsten Morgen im Briefkasten liegt. Und die Meinungsvielfalt lebt dank dem Internet. Dafür hat mit dem Konkurrenzdruck das Selbstmarketing zugenommen: Gewisse Journalisten und Redaktionen müssen mir als Leser gleich noch mitteilen, wie wahnsinnig aufwendig ihre Recherche war und weshalb ihre Enthüllung so bahnbrechend sein soll.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Seit 5000 Jahren wird geschrieben. Wird sich wohl noch eine Weile halten.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Ich erteile ungern Lesebefehle.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Letzteres ginge bei mir schon biologisch nicht. Der Schlaf siegt.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich
interessieren?
In diesen abgespaceten dctp-Interviews von Alexander Kluge auf Youtube.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Solange sie rentieren.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Fake News ist ein politischer Kampfbegriff aus der Zombie-Ecke. Gezielte Falschinformationen sind überdies kein neues Phänomen. Heute verbreiten sie sich schneller, andererseits kann rascher reagiert werden. Auch Gegenwirklichkeiten gab es doch immer schon. Der Menschenschlag, der heute in Telegram-Kanälen «Alternative Fakten» teilt und sich an Schwurbler-Aufmärschen trifft, trat früher einer Sekte bei. Die freie Gesellschaft meistert auch das. Ich gehöre also eher zur entspannten – oder naiven? – Fraktion.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Meine Frau hatte als Kind zu Hause keinen Fernseher und holt das jetzt nach. Ich bin da schon länger drüber hinweg. Mit einer Ausnahme: Siehe Frage 1.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Als Fernfahrer oder Spediteur wäre ich sicher ein treuer Podcast-Hörer. In meinem Alltag komme ich selten dazu.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16-bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Erstens ist das eine bemerkenswert hässliche Wortschöpfung, eine Zumutung. Ich musste Deprivation googeln. Zweitens dünkt mich die These von den News-Deprivierten recht abenteuerlich. Vom Klima über Migration, Ukraine-Krieg, Gleichstellung und Europa bis zu Gender scheinen die heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen ziemlich bewegt. Auch wenn sich deren Medienkonsum in Richtung Push-Meldungen und Social-Media-Kurzfutter verschiebt – die Generation meiner Kinder ist über die Welt besser im Bild als wir damals, jede Wette. Ich kenne aber die Methodik nicht genau, auf die das Fög seinen Befund stützt.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Schön für Herrn Supino, dass er neben Herrn Trump zu einem festen Bestandteil dieses Fragebogens geworden ist. Automatisierte Inhalte gibt es im Alltag ja bereits, das wird sicher weiter zunehmen. Ich bin aber überzeugt, dass es für Erzählformen, hinter denen ein Mensch aus Fleisch und Blut steckt, immer eine Nachfrage geben wird. Anders gesagt: Künstliche Intelligenz wird natürliche Intelligenz nie verdrängen. Zu einer präziseren Voraussage bin ich nicht fähig, sonst wäre ich ein reicher Tech-Guru und würde hier jetzt nicht diese Fragen beantworten.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Das ist Stoff für eine Doktorarbeit! Die Digitalisierung ist so epochal wie der Buchdruck und die industrielle Revolution. Darum wage ich nur eine Prognose: Medien wird die Gesellschaft immer brauchen.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Die Vernunft in mir sagt zögerlich Ja, mit einem Einwand: Journalisten dürfen nicht die neuen Landwirte werden. Entscheidend ist also, wie eine solche Förderung genau aussieht. Das letzte Wort hat der Souverän.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Hin und wieder eine Gesprächsnotiz, die ich später kaum noch entziffern kann.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Das variiert von Medium zu Medium.
Wem glaubst Du?
Diese Entscheidung überlasse ich jeweils meinem Bauchgefühl. Bis jetzt bin ich damit nicht schlecht gefahren.
Dein letztes Wort?
Habe ich hoffentlich noch nicht gesprochen.
Reza Rafi
Reza Rafi (46) hat in Zürich Politologie und Wirtschaft studiert und ist 2006 als Reporter bei «20 Minuten» eingestiegen. 2008 wechselte er ein erstes Mal zum «SonntagsBlick» und arbeitete da unter anderem als Ressortleiter People und als Bundeshauskorrespondent. 2011 kehrte er zu Tamedia zurück und arbeitete für die «SonntagsZeitung», 2014 bis 2017 als deren Nachrichtenchef. Seit 2017 wechselte er auf die Chefetage des «SonntagsBlick», zunächst als stellvertretender Chefredaktor, seit Mai 2023 als Chefredaktor des «SonntagsBlick».
https://www.blick.ch/sonntagsblick/
Basel, 20. September 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 240 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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2 Kommentare zu "Reza Rafi: «Der tägliche Meinungsdurchfall frisst vor allem Zeit»"
Chefredaktor Sonntags-Blick? Ich empfinde z.Z. die ganze Blick-Gruppe eher als „Anti-SVP-Kampagnen-Organ“ oder „SP-Parteiblatt“. Es fällt doch auf, das jetzt kurz vor den Wahlen jedesmal wenn ich den „SonntagsBlick“ oder „Blick“ aufschlage, ein Negativ-Artikel gegen obengenannte Parte zu finden ist:
Nationalrat Glarner sei gegen tiefere Medikamentenpreise.
Die Mieten könnten noch 15% weiter steigen – Rezepte hat (nur) die SP
SVP befeuert Migration… (SVP fördert gezielten Fachkräftezuwachs; nicht 180’000 Menschen mehr (Nettozuwanderung 2022) in „small, overfilled Switzerland“)
Skandal: Irgendein SVP-Stadtrat verzichte nicht auf sein Ruhegeld… (wie schon andere Stadträte anderer Parteien zuvor auch)
1. August-Rede-Chiesa (mit Feuerwerk) = untragbar…
(Erfolgreicher) Wahlauftakt in „Swiss Life“ Arena in Zürich (4000 Menschen) sei „lächerlich“
SVP liebt Russland (pauschaler geht es nicht)….
Irgendwie gibt mir das Einsparen des Kaufs eines „Sonntag-Blicks“ (Verkaufspreis am Kiosk 3.90 CHF) und des „Blicks“ (Verkaufspreis am Kiosk 2.20 CHF) ein gutes Gefühl.
Schade, so fördert man nicht das Medieninteresse, wann wird es wieder objektiver und neutraler?
Geschwindigkeit ist einer der Killer für Substanz: Wie es auch dieses Interview mehrfach bestätigt.