Res Strehle: «Für mich bräuchte es gedruckte Tageszeitungen nicht mehr»

Publiziert am 15. Juni 2022 von Matthias Zehnder

Das 181. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Res Strehle. Der ehemalige Chefredaktor des «Tages-Anzeigers» ist heute Qualitätsverantwortlicher der Tamedia und Präsident der Journalistenschule MAZ. Angesprochen auf die tiefe Mediennutzung von jungen Menschen sagt er, dass beide, Medien und Jugendliche, dazu lernen müssen: «Die Medien, wie sie diese Generation besser ansprechen, und die junge Generation, was man verliert, wenn man sich aus der anspruchsvollen News- und Hintergrundberichterstattung ausklinkt.» Strehle ist der Meinung, dass «attraktive Medienwochen in den Schule da viel bewirken können». Das grösste Problem für die Medien in der Schweiz sei es, «ein erfolgreiches Geschäftsmodell für einen digitalen, qualitativ hochwertigen Journalismus zu finden. Für grosse Medien in grossen Räumen sehe ich da kein Problem, aber die Schweiz ist nun mal sehr kleinräumig.» Strehle ist deshalb überzeugt, dass die Schweiz nicht um eine staatliche Unterstützung der Medien herumkommen werde, «sowohl indirekt wie direkt, wenn sie die Demokratie langfristig schützen will. Ausser man will die Medien gezielt schwächen, wie es Populisten anstreben.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Keines. Ich frühstücke meist zusammen mit meiner Frau und da lesen wir nicht, sondern unterhalten uns.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Bin dabei, aber nicht heavy user.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Meine Hochachtung vor der Dossierkompetenz im Journalismus nahm zu, aber auch der Wunsch nach leichterer, unterhaltsamer Kost und Positivgeschichten.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Weder noch. Zeit und Besonnenheit waren früher grösser, Tempo und Professionalisierung sind heute grösser.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja, sicher. Ich wüsste nicht, weshalb nicht.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Ich bin der Meinung, dass jeder und jede ein Medium nutzen sollte, dessen Redaktion in den wichtigen Dossiers fachlich kompetent ist. Sonst wird man nicht verstehen, wie bedrohlich die Klimaerwärmung ist, was in der Ukraine passiert, wie gefährlich eine Pandemie ist und vieles andere auch nicht. Man wird apathisch werden, der Realität zu entfliehen suchen oder den Rattenfängern nachlaufen. Und langfristig wird auch die Demokratie gefährdet sein.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lege schlechte Bücher rasch weg. Wobei: Ob gut oder schlecht, ist oft ja auch eine Geschmacks- und Interessensfrage. Früher habe ich ein Buch jeweils weggelegt, wenn es mich nach den ersten zehn Seiten nicht gepackt hat. Heute bin ich etwas geduldiger und lese jeweils mindestens zwanzig Seiten. Das hat sich bewährt. Yasmina Rezas neuen Roman «Serge» beispielsweise hätte ich nach zehn Seiten weggelegt, nach zwanzig Seiten nicht mehr.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Überall. Ich bin nicht der Meinung, dass die digitalen Medien einen dazu verleiten, nur das zu lesen, wovon man überzeugt ist, dass es einen interessiert. Das hat wohl eher mit Offenheit zu tun und der Bereitschaft, sich verunsichern zu lassen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Das weiss ich nicht. Für mich bräuchte es sie nicht mehr, das käme auch der Umwelt zugute. Aber die Leserinnen und Leser haben nun mal sehr unterschiedliche Nutzungsgewohnheiten und viele hängen am Lesen auf Papier. Und solange genügend von ihnen bereit sind, dafür entsprechend zu zahlen, wird es gedruckte Tageszeitungen geben.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Wohl beides. Gefahr, weil sie zu einer breiten Verunsicherung führen, was nun richtig ist, und dieses Trump’sche Narrativ die Medien insgesamt schwächt, gerade auch die qualitativ hochstehenden. Und Chance, weil es dem Fact Checking im Journalismus eine neue, wichtigere Rolle gibt. 

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Ich höre und schau selten live, ausser Sport. Ich liebe die Podcasts von Radio und Fernsehen, die einem die Möglichkeit geben, jederzeit und überall eine interessante Sendung zu hören. Selbst beim Staubsaugen.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja, ein paar: «Echo der Zeit», «Sternstunde Philosophie», «Tagesgespräch», «Musik für einen Gast» (alle SRF), dazu den Fussballpodcast «Dritte Halbzeit» von Tamedia.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ich würde nicht von News-Deprivierten sprechen, denn niemand wird beraubt. Im Gegenteil: Die News stehen einem heute wohl breiter als je zur Verfügung. Ich meine, es geht um die News-Abstinenz dieser Altersgruppe, dem freiwilligen Verzicht auf News und aktuelle, kompetente Hintergrundberichterstattung. Das macht das Problem allerdings nicht kleiner, im Gegenteil. Ich bin der Meinung, dass beide Seiten dazu lernen müssen: Die Medien, wie sie diese Generation besser ansprechen, und die junge Generation, was man verliert, wenn man sich aus der anspruchsvollen News- und Hintergrundberichterstattung ausklinkt. Ich bin übrigens der Meinung, dass attraktive Medienwochen in den Schule da viel bewirken können. Jeder und jeder sollte im Lauf seiner schulischen Ausbildung das Recht auf eine Medienwoche haben, das wird einen positiven Effekt gegen die Newsabstinenz haben. Ich habe dem Kanton Zürich einen Pilotversuch zu diesem Thema auf den verschiedensten Schulstufen mit wissenschaftlicher Begleitung vorgeschlagen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Das weiss ich nicht. Es wird wohl vom Medientyp abhängen. Bei einem hohen Anteil standardisierbarer Beiträge könnte der Roboterjournalismus in einem Medium wohl schon diesen Anteil erreichen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Ich denke, weder noch. Das Hauptproblem in der Schweiz besteht darin, ein erfolgreiches Geschäftsmodell für einen digitalen, qualitativ hochwertigen Journalismus zu finden. Für grosse Medien in grossen Räumen sehe ich da kein Problem, aber die Schweiz ist nun mal sehr kleinräumig.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Die Schweiz wird nicht um eine staatliche Unterstützung herumkommen, sowohl indirekt wie direkt, wenn sie die Demokratie langfristig schützen will. Ausser man will die Medien gezielt schwächen, wie es Populisten anstreben.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, aber nur Postkarten und Einkaufslisten.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Tendenziell eher schlecht, weil er an der Macht alles daran setzte, die unabhängigen Medien schlecht zu reden und zu schwächen. Ausserdem verwischte er die Grenzen zwischen Fakten und irreführender Propaganda fast schon in einer Putin’schen Dimension.

Wem glaubst Du?

Ich bin grundsätzlich ein gutgläubiger Mensch und glaube zunächst mal jedem und jeder. Misstrauisch werde ich erst, wenn sich eine Aussage wiederholt als falsch herausstellt. Beim ersten Mal kann es ja noch ein Missverständnis sein.

Dein letztes Wort?

Ich liebe die Medien, sie waren mein Leben und haben mich rund um die Welt geführt, in die verschiedensten Milieus und zu zahllosen unvergesslichen Erlebnissen. Sie haben mich den Menschen besser verstehen lassen. Ich wünsche allen, auch in der jungen Generation, dass sie  ähnliche Erfahrungen machen.


Res Strehle
Res Strehle ist seit über vier Jahrzehnten im Journalismus tätig, aktuell als Qualitätsverantwortlicher der Tamedia und Präsident der Journalistenschule MAZ. Er arbeitete nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaft erst am Gottlieb Duttweiler-Institut in Rüschlikon, gründete die «WoZ» mit und war später bei der «Weltwoche» und als Chefredaktor von «Magazin» und «Tages-Anzeiger» tätig. Er ist Verfasser zahlreicher Bücher, zuletzt «Operation Crypto» (2020) und «Die Bührle-Saga» (Neuauflage 2021). 


Basel, 15. Juni 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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