Remo Hess: «Die Vielfalt ist so gross wie noch nie»

Publiziert am 9. August 2023 von Matthias Zehnder

Das 241. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Remo Hess, Europakorrespondent für «CH Media» in Brüssel. Er sagt, Print sei für ihn Nostalgie. «Im Alltag spielt Print bei mir kaum mehr eine Rolle, beim Zeitungslesen sowieso nicht mehr, aber auch immer weniger beim Arbeiten.» Die Digitalisierung sieht er als Befreiung des Journalismus: «In Brüssel gibt es eine zunehmende Zahl innovativer News-Portale. Die Möglichkeiten sind so gross wie noch nie.» Er findet deshalb: «Es ist eine aufregende Zeit, um Journalist zu sein» und macht sich keine Sorgen um die Informiertheit der jungen Menschen: «Die 16- bis 29-Jährigen sind heute wahrscheinlich politisch interessierter als meine Millennial-Generation.» Die Polarisierung sieht er gelassen. Er wisse nicht, «ob die Vertrumpisierung von Politik und Medien noch lange nachwirken wird. Die Leute sind ja nicht blöd.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Zum Frühstück gibts Kaffee und dazu verschiedene Bubble-Medien wie zum Beispiel Politico oder den «Europe Express»-Newsletter der FT. Dann scanne ich die internationale Presse nach EU-relevanten Themen.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Von Facebook habe ich mich vor ein paar Jahren verabschiedet. Instagram nutze ich sporadisch und nur privat. Twitter hingegen ist essenziell, obwohl die Bedeutung abgenommen hat. Selbst poste ich viel weniger als früher und wenn, dann nutze ich Twitter vor allem als Schaufenster für Artikel über bilaterale Themen.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Am Anfang fand ich es angenehm, von der täglichen Flut an Briefings, Presseempfängen und Off-Gesprächen befreit zu sein. Doch gerade Brüssel lebt vom informellen Austausch und auch von zufälligen Begegnungen. WhatsApp und Webex können das nicht ersetzen. Langsam geht es wieder in Richtung wie vor Corona.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Es ist wohl wie überall in Europa: Die Vielfalt ist so gross wie noch nie. Es ist eine aufregende Zeit, um Journalist zu sein.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Wüsste nicht, weshalb nicht.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Als Schweizer? Internationale Zeitungen, Leitmedien. «Süddeutsche», «FAZ», «Financial Times».

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Zu Ende lesen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In Brüssel erfahre ich laufend von Dingen, von denen ich nicht wusste, dass sie mich interessieren. Das Gegenteil kommt leider auch vor.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Wenn ich zu Hause in der Schweiz bin, lese ich immer die Print-Ausgabe. Das ist Nostalgie. Wenn ich zu Hause in der Schweiz bin, lese ich immer die Print-Ausgabe. Das ist Nostalgie. Im Alltag spielt Print bei mir kaum mehr eine Rolle, beim Zeitungslesen sowieso nicht mehr, aber auch immer weniger beim Arbeiten.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Das weiss ich nicht.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Beides kommt bei mir eigentlich nicht mehr vor. Mit etwas Zeitverzögerung höre ich vielleicht noch das «Echo der Zeit» und am Samstag die «Samstagsrundschau».

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich würde gerne. Ein Zeit lang dachte ich, es gehöre zwecks Schweiz-Beobachtung dazu, auch die einschlägigen Klamauk-Podcasts zu hören. Das habe ich aufgegeben und bin froh darüber. Im Moment bin ich etwas heimatlos und suche. Für lange, hintergründige Podcasts fehlt mir die Zeit. Sport interessiert mich nicht.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Die 16- bis 29-Jährigen sind heute wahrscheinlich politisch interessierter als meine Millennial-Generation. Dass sie schwierig zu erreichen sind, ist eine Herausforderung. Ich habe da keine Ideen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ich kann mir zumindest heute schlecht vorstellen, dass jemand für Roboter-Journalismus Geld bezahlen will. Die Frage ist wohl, was mit den frei werdenden Kapazitäten geschieht. Baut man die Stellen ab oder gibt man den Journalisten etwas anderes zu tun, für das die Leser dann auch bezahlen wollen?

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Zur Befreiung! In Brüssel gibt es eine zunehmende Zahl innovativer News-Portale. «Politico» ist bereits der grösste Newsroom, das EU-Spartenmedium «Euractiv» wurde von einem grossen Medienhaus gekauft. Es gibt Newsletter-Formate, die auf Anhieb gut funktionieren. Die Möglichkeiten sind so gross wie noch nie.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Kommt wahrscheinlich drauf an, welche Leistungen man will. Manche europäische Länder kennen eine ausgebaute Presseförderung, die klappt, andere haben keine. Wenn eine Regierung Journalisten beeinflussen will, geht das glaub meist über andere Wege.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Schnelle Notizen schreibe ich von Hand.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er hat sicher Einschaltquoten gebracht, auch bei uns. Ich weiss aber nicht, ob die Vertrumpisierung von Politik und Medien noch lange nachwirken wird. Die Leute sind ja nicht blöd.

Wem glaubst Du?

Eher den Unaufgeregten.

Dein letztes Wort?

Schwierig.


Remo Hess
Remo Hess ist 1985 geboren und hat erstmals beim «Oltner Tagblatt» Journalistenluft geschnuppert. 2013 hat er mit dem Master das Studium von Kommunikationswissenschaften, Politik und Neuerer Deutscher Literatur in Zürich abgeschlossen. Danach hat er am Online-Desk der AZ Medien in Aarau gearbeitet. Seit 2015 berichtet er für «CH Media» als Europakorrespondent aus Brüssel.


Basel, 9. August 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 230 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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2 Kommentare zu "Remo Hess: «Die Vielfalt ist so gross wie noch nie»"

  1. Die Leute sind ja nicht blöd? Ob es wohl nur in der Politik erstens die Dummen gibt: Sie wissen nicht, was (sie) tun. Zweitens sind es die Gleichgültigen: Sie tun nichts. Drittens gibt es die Intelligenten: Sie kümmern sich darum, dass es allen bestmöglich gut gehen kann. Und viertens die Schlauen: Sie tun vor allem das, was ihnen selber nützt. Merke A: Diese vier Verhaltensweisen sind keine Frage beispielsweise der Parteizugehörigkeit oder vom Schul- bzw. Studienabschluss. B: Wenn Intelligente in der Minderheit sind, wird es in der Welt schwierig. C: Es scheint oft so, als würden sie auf einem absteigenden Ast sitzen.

    1. Antwort:
      Also wirklich, dieser Kommentar von U. Keller. Grandios, herrlich, auf den Punkt gebracht und abgerundet schön. Solche Worte fehlen im Mainstream – und hier darf ich sie lesen – grossartig.
      Anregung: Buch rausbringen „Weise Texte von U. Keller“ – Besseres kann man nicht zwischen zwei Buchdeckel zwängen…. Weiter so….

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