Regula Stämpfli: «Das Medium bin ich»

Publiziert am 19. Juni 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Regula Stämpfli, Kolumnistin und Politik-Dozentin, über ihren persönlichen Mediengebrauch, ihren Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Sie sagt, die sozialen Medien, das sei eine «grosse enttäuschte Liebesgeschichte»: Bis 2012 sei die Möglichkeit im Vordergrund gestanden, sich «über Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Ausbildung hinweg via Werte zu verbinden» – doch dann kamen die «digitalen Schlägertruppen». Seither gehe sie auf Distanz. Stämpfli sagt: «Zukunft gibt es nur, wenn die Bilder und Worte der Gegenwart als gestaltete Macht erkannt und verändert werden können, dazu braucht es Urteilskraft und einen öffentlichen Resonanzraum.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich laufe ohne Frühstück nach dem Motto: Das Medium bin ich. Die «Süddeutsche Zeitung» habe ich abonniert, vor allem wegen Feuilleton, Lokalberichterstattung und Magazin. News hole ich online.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Oh. Da stecken grosse enttäuschte Liebesgeschichten dahinter. Facebook war bis 2012 ein Karrierebooster inklusive Freundschaftsvermittler für mich. Die Möglichkeiten, sich über Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Ausbildung hinweg via Werte zu verbinden, fantastisch! Doch dann setzten die Mobbing-Kampagnen ein: Gegen die existierenden Demokratien (Scheitern des Arabischen Frühlings, Barack Obama, Überwachungskapitalismus), auch gegen mich ganz persönlich. Die digitalen Schlägertruppen machen in Verbindung mit den analogen aus uns Menschen und unseren Demokratien «homo homini lupus»: Deshalb gehe ich je länger je mehr bei FB, Twitter, Instagram auf Distanz: Eine manchmal schizophrene Interaktion, die von Hoffnung und gleichzeitig vom Bestreben nach Schutzmechanismen getrieben ist.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Öffentlich-rechtlich wie schon 9/11, das heisst heute direkt online über die klassischen Webseiten von BBC, Deutschlandfunk, SRF. Über 9/11 informierte mich übrigens meine nicht-studierte Mutter.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Je nach Tagesform freier, besser, kontroverser, offener oder unsäglich kleingeistig.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Auch Algorithmen sind geschriebene Worte, die in Formeln zusammengeführt, automatisierend Weltbilder kreieren, womit wir bei der Zukunft sind. Totalitäre Systeme kennen keine Zukunft, nur Gegenwart: Sie sind an der ständigen Reproduktion ihrer selbst interessiert, alternativlos. Dies kann auch mit geschriebenen Worten passieren und wie! Zukunft gibt es nur, wenn die Bilder und Worte der Gegenwart als gestaltete Macht erkannt und verändert werden können, dazu braucht es Urteilskraft und einen öffentlichen Resonanzraum. Die Frage ist nicht, ob es das geschriebene Wort in Zukunft noch gibt, sondern ob das geschriebene Wort immer wieder neu verfasst werden kann.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Eric Hobsbawm: «Zeitalter der Extreme», Hannah Arendt: «Über das Böse», John Steinbeck: «Früchte des Zorns», J.K. Rowling: «Harry Potter», Gustav Schwab: «Sagen des Klassischen Altertums», sämtliche Shakespeare Sonette, Goethes «Faust», «Americanah» von Chiamanda Ngozi, «Die Wand» von Marlen Haushofer, «Ein Mann» von Oriana Fallaci, alles von Imrè Kertész, ach: Ich bin eh eine Bibliothek auf zwei Beinen und finde alles lesenswert, ausser nihilistischen, pornografischen Schrott, der gegenwärtig enorm in Mode ist.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Schlechte Bücher erkenne ich meist am ersten Satz. Als Schnellleserin ist aber «zu Ende lesen» nie ein Thema.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Wenn meine Jungs zocken.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Matthias, da höre ich Dir zu, denn darüber weisst Du viel mehr.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Weder noch. Das Thema ist Urteilskraft, die geübt werden muss.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Selten, doch wenn, dann bei Wahlen und Abstimmungen.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Yep. Einige. Hatte bis 2017 mit Moritz Klenk und Stefan M. Seydel sogar einen eigenen #NoRadioShow. Philosophisch: «Entitled Opinion Robert Harrison», journalistisch Bayern 2 Features, die sind der Hammer.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Nichts, da die Studie so nicht zutrifft. News und Politik müssen in Umfragen anders definiert werden, dann kommst Du auf viel höhere Zahlen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Passiert ja schon jetzt, wenn sich Journalisten wie Roboter verhalten (Stichwort SEO-Kriterien). Automatisierter Journalismus ist aber, wenn als solcher erkannt, nicht relevant, falls die demokratische Öffentlichkeit, das heisst wir Menschen mit- und untereinander, den Unterschied zwischen Fiktion und Wirklichkeit erkennen. Wir sind übrigens diesbezüglich gar nicht so schlecht unterwegs.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Nur wenn unter Journalismus nach wie vor die Verpflichtung zur Demokratie, zur Freiheit, frei zu sein verstanden wird. Sonst reichen Roboter.

Spielen Frauen in den Medienhäuser die Rolle, die ihnen gebührt?

Nein.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Oft, aber immer unleserlich (lacht).

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Philosophische Gegenfrage: Was verstehst Du unter «Trump», was unter «die Medien»?

Wem glaubst Du?

Glauben ist nicht mein Ding: Verstehen und Nicht-Wissen schon.

Dein letztes Wort?

Weitermachen.


Regula Stämpfli

Dr. phil Regula Stämpfli ist Kolumnistin, Politik-Dozentin mit Schwerpunkt Hannah Arendt, Demokratietheorie, Gender und Digitale Transformation. «Die Vermessung der Frau» war 2013 ein Bestseller, ihr neustes Buch «Trumpism. Ein Phänomen verändert die Welt» geht nach 6 Monaten in die zweite Auflage. Seit 2008 ist sie für die EU als unabhängige Beraterin tätig.

http://regulastaempfli.eu/


Basel, 19. Juni 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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