Réda El Arbi: Medienkompetenz ist das Immunsystem gegen Fake News.

Publiziert am 14. Januar 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Réda El Arbi, Blogger, Journalist und Kommunikationsprofi. Er sagt, es gebe heute nicht weniger gute Geschichten, «es gibt nur unheimlich viel mehr schlechten Journalismus.» Die Folge davon sei, dass «die Titelloyalität, die man aus dem 20. Jahrhundert kannte, immer mehr einer JournalistInnen-Loyalität» weiche. Immer mehr Menschen identifizieren sich also nicht mehr mit ihrem Leibblatt, sondern mit einzelnen Journalisten. Ein Grund für das Scheitern der Verlage sieht Réda El Arbi darin, dass Medienhäuser noch immer versuchen, «die LeserInnen zur Geschichte zu bringen, anstatt die Geschichte zu den LeserInnen.» 

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Morgens lese ich berufsbedingt alle grossen Schweizer Plattformen. Ich denke, nur ein Medium würde mir nicht genügen.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Da ich ja auch noch im Bereich Kommunikation und Campaigning unterwegs bin, halte ich auf Facebook immer ein Auge offen. Es ist spannend, wie man Zeitgeist und Sorgen der Bevölkerung in seinem FB-Feed ablesen kann. Natürlich nur, wenn man breit vernetzt ist und sich nicht in einer Bubble bewegt.

Twitter ist mein Hauptkanal, was soziale Medien anbelangt. Da kann man sich in aller Ruhe streiten, es gibt mir Input, da die Leute, denen ich folge, oft interessante Inhalte teilen, auf die ich selbst vielleicht nie gestossen wäre.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Im Konsumverhalten eigentlich gar nicht, ausser, dass es etwas monothematischer geworden ist. Das ist auch für mich als Autor schwierig, endlich mal wieder was ausserhalb der Corona-Thematik zu schreiben, da buchstäblich jede tägliche Handlung von Corona mitbeeinflusst ist.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Viele denken, dass mit Online ein Qualitätszerfall in den Medien stattgefunden habe. Das stimmt nicht wirklich. Ich würde sogar sagen, dass man inzwischen mehr gute Inhalte finden kann. Sie sind einfach besser versteckt, da man sie zwischen Hunderten von schlechten Inhalten suchen muss. Es gibt also nicht weniger gute Geschichten, es gibt nur unheimlich viel mehr schlechten Journalismus. Und das ist nicht mal Titel-abhängig, Früher hatte man als Bildungsspiesser klare Einordnungen: «NZZ» –> guter Journalismus; Boulevard, «Blick» –> schlechter Journalismus. Das ist nicht mehr so.

Viele der neueren Titel verbinden starke Geschichten mit lesernaher Sprache und Unterhaltung. So kann ich auf den meisten Boulevard- oder Infotainment-Plattformen auch qualitativ gute Inhalte finden. Auf der anderen Seite hat Spardruck oder politische Bias oft auch grottenschlechten Journalismus bei der alten Tante oder beim «Tagi» zur Folge. Inzwischen sehe ich die Titelloyalität, die man aus dem 20. Jahrhundert kannte, immer mehr einer JournalistInnen-Loyalität weichen. Man folgt nicht mehr einem Medientitel, identifiziert sich nicht mehr mit seinem Leibblatt, sondern liest seine FavoritInnen zu ihren jeweiligen Themen und Dossiers.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Das geschrieben Wort ist noch immer das stärkste Medium, weil es exakt ist. Bilder mögen mehr sagen als tausend Worte. Aber die Einordnung benötigt dann doch immer noch ein paar gut formulierte Sätze. Das geschriebene Wort ist das stärkste visuelle Medium.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Wie gesagt: Man soll sich die JournalistInnen zusammensuchen, die zu den Themen, die einen interessieren, eine gewisse Expertise haben. Will ich was zu den USA wissen, schau ich mir an, was Arthur Honegger auf Twitter zu dem Thema teilt. So habe ich zu den unterschiedlichsten Themengebieten je eine Handvoll Journalisten und Fachleute, die mir entweder mit eigenen Beiträge oder mit Beiträgen aus dem Umfeld ihrer Themenwelt Inhalte zur Verfügung stellen. Jeder kann sich heute so eine eigene «Zeitung» zusammenstellen – mit den AutorInnen, die er oder sie auch gerne liest.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Nein, weg damit. Ich hab nicht genug Lebenszeit übrig, um mir schlechte Bücher anzutun.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In erster Linie in den sozialen Medien. Ich hab es mir zur Gewohnheit gemacht, kleinen Accounts aus mir völlig fremden Lebensrealitäten zu folgen, um meinen Horizont zu erweitern. Ich stosse bei Twitteraccounts mit 30 oder 40 Followern oft auf ganz ungewöhnliche Geschichten, die mich bewegen. Lässt man sich da auf ein Gespräch ein, öffnen sich Horizonte.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Bezahl-Tageszeitungen gibt’s gedruckt vielleicht noch 10 oder 15 Jahre. Wochenzeitungen haben da längere Aussichten. Auch Gratiszeitungen werden erst dann gedruckt verschwinden, wenn sich jemand gegen die Vermüllung des öffentlichen Raumes wehrt.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Fake News sind in erster Linie ein Exploit der gesamten Gesellschaft. Aber es wie eine Fieberkurve: Zuerst wird die Gesellschaft von einer Krankheit befallen, die sie oft bis tief in jede Familie vergiftet. Mit der Zeit bildet sich aber auch eine Medienkompetenz. Jeder, der schon mal Bullshit auf Facebook oder Twitter weitergeleitet oder geteilt hat und dafür unter die Räder kam, wird sich in Zukunft hüten, ohne Quellencheck Inhalte zu verbreiten.

Zivile Medienkompetenz ist das Immunsystem gegen Fake News. Die Medien können da mithelfen, indem sie in erster Linie im eigenen Haus gewisse Mindeststandards einhalten. Zum Beispiel ist nicht jeder Umfrage eine «Studie», und nicht jede «Studie» ist Wissenschaft. Saubere Recherche, Quellenabgleich, exakte Formulierung – das wirkt Fake News entgegen, weil es zeigt, wie Journalismus sein soll. Natürlich gehen genau diese Qualitäten unter Spardruck verloren.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich hab keine linearen Medien mehr im Haus, ich benutze alles nur noch für Streaming. Die wichtigsten Sendungen von SRF hole ich mir online.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Zu meiner Schande muss ich zugeben, dass ich keine Podcasts höre. Ich komm zeitlich einfach nicht dazu.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ich halte das für Theater. Wenn man einige Jahre oder eine Generation zurückgeht, wird man feststellen, dass da die jüngere Generation gerade mal die «Tagesschau» geschaut hat, wenn überhaupt. Jeder 16-Jährige hat heute mehr Medieninfos, wenn er nur schon sein Handy aufstartet.

Nur weil es inzwischen so viele News gibt – und man, ehrlich gesagt, glücklich und produktiv leben kann, ohne diese je konsumiert zu haben – heisst das nicht, dass sie relevant sind. Wichtig sind die Inhalte, die einen direkten Lebensbezug haben. Das heisst: Lokale Politik, Branchenformate, Gesellschaft, internationale Politik zur Einordnung.

Es ist eine Berufskrankheit von Medienfuzzis wie mir, davon auszugehen, dass alle News immer wichtig sind. Sind sie nicht. Man merkt das schnell, wenn man einmal die Pushmeldungen aller Medien abgestellt hat.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ich habe letzthin ein Essay über künstliche Intelligenz gelesen, geschrieben von einer künstlichen Intelligenz, und war beeindruckt. Natürlich waren das nur hübsche Sätze, ohne genuine Gedanken. Bots recherchieren auch nicht, sie spüren nicht, wenn jemand lügt, sie decken nicht auf, sie verfügen über keine Intuition. Supino war nie ein Medienmensch, er war immer ein Geldmensch, ein Manager. Journalismus ist mehr als das Aufbereiten bestehender Informationen. Wenn man also davon ausgeht, dass man den Leuten ein automatisiertes Info-Bulletin als Journalismus andrehen kann, und dabei noch die Lohnkosten spart, kann das für Supino durchaus attraktiv sein. Für die LeserInnen jedoch nicht.

Supino und viele seiner Kollegen auf gleicher Ebene haben die Digitalisierung in den Nullerjahren völlig verpennt. Jetzt versuchen sie, das nachzuholen, indem sie einen regelrechten Technologie-Fetisch entwickeln und sich als «digitale Schwergewichte» feiern lassen. Bei Ringier sieht man das gerade bei «Blick TV», ein lineares Format, das durch die neuen Technologien zwar billiger in der Produktion geworden ist, aber deswegen kein bisschen innovativer ist als bisher.

Ich muss zugeben, dass beim «Tagesanzeiger» inzwischen ein recht anständiger Datenjournalismus geliefert wird, aber auch hier ist Technologie nur Werkzeug. Die Geschichte muss noch immer von JournalistInnen gefunden, die richtigen Fragen und die breite Recherche müssen noch immer von Menschen mit Intuition und Erfahrung erarbeitet werden.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch. Technologie ist in den meisten Fällen einfach ein Werkzeug. Eine gute Geschichte funktioniert auf Papier oder im Netz. Die Reichweite, die man bei sorgfältiger Arbeit erreichen könnte, sehe ich eher als eine Chance. Aber die Medienhäuser versuchen noch immer, die LeserInnen zur Geschichte zu bringen, anstatt die Geschichte zu den LeserInnen. Und sie weinen sich gleichzeitig wegen den grossen Plattformen ins Hemd, ohne die sie noch weniger Leute erreichen würden. Dabei könnten sie diese Netzwerke nachhaltig nutzen.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja, mehr denn je. Aber gerade in der Schweiz gibt’s einfach nicht genug relevante Geschichten, dass jede/r, der «etwas mit Medien» macht, auch guten Journalismus machen kann.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ich schreibe mein Tagebuch von Hand. Und ich habe eine Papieragenda. Das Tagebuch hilft mir bei der Psychohygiene. Das meiste ist einfach Wahnsinn, den ich mir aus dem Kopf schreiben muss, damit er den kreativen Gedanken nicht im Weg rumsteht.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Trump wäre die Gelegenheit für eine Katharsis der Medienwelt gewesen. Leider hat man das verpasst. Im Printzeitalter wäre Trump ohne Medien nur ein alter, kaputter Spinner gewesen. Ähnlich wie beim Terrorismus hat sich Trumps Kraft erst in der Komplizenschaft mit den Medien entwickelt. Wenn Medienschaffende einen Augenblick innehalten und reflektieren würden, wäre ihnen klar, dass sie das Monster selbst geschaffen haben.

Wem glaubst Du?

Menschen. Persönlichkeiten, deren Handeln, Denken und Worte kongruent sind.

Dein letztes Wort?

Lorem Ipsum. Der beste Text kommt immer erst morgen.


Réda Philippe El Arbi
Réda El Arbi ist 1969 in Zürich geboren. Er sagt von sich selbst, er sei «Journalist, Kommunikationsberater, Social Media-Dozent, Hundehalter, Lichtschwertsammler, grossmäuliger Narzisst und eigentlich ganz in Ordnung.» Er arbeitet für Print, Online und Social Media, er schreibt, macht Beratung und Mediation. Er sagt, seine professionelle Identität finde sich «irgendwo zwischen wanderndem, arabischen Geschichtenerzähler, italienischem Marktschreier und einem altmodischen Telegrafen.»
https://elarbi.ch/


Basel, 13. Januar 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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