Rebecca Schüpfer: «Es war noch nie so spannend, diesen Beruf auszuüben»

Publiziert am 27. März 2024 von Matthias Zehnder

Das 274. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Rebecca Schüpfer, Chefin Online und Mitglied der Chefredaktion des «Walliser Boten». Sie sagt, das Entwicklungstempo im Journalismus sei sehr viel höher geworden. «Die Geschwindigkeit, in der digitale Tools entwickelt und auf den Markt gebracht werden, ist enorm.» Ein Journalist müsse deshalb «heute technisch mehr können als früher. Das ist eine ständige Herausforderung.» Aber das Spektrum der Möglichkeiten werde immer grösser und die Tools immer einfacher. Sie findet, die «Medien in der Schweiz machen ihren Job grossmehrheitlich gut. Wenn die Branche selbstkritisch bleibt und nicht selbstgefällig wird, sieht’s gut aus.» Ein Punkt nervt sie aber: «Wir Journalistinnen sind Profis darin, unseren Berufsstand generell totzuschreiben. Nirgendwo scheinen die Herausforderungen grösser, keine andere Branche scheint derart kämpfen zu müssen. Wir sollten damit aufhören. Aufhören zu jammern und anfangen zu handeln.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

«Walliser Bote», «Le Nouvelliste». Dann ein kurzer Blick in den «Blick», die NZZ, den «Tages-Anzeiger», SRF… Und selektiv ins Ausland: FAZ, «Handelsblatt» und die «Süddeutsche».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok und BeReal?

Ich benutze sie alle. Ausser BeReal. Das ist mir zu fordernd. Twitter finde ich für die Arbeit und Sportnews nützlich. Bei LinkedIn kann ich mein Netzwerk pflegen und stosse auf spannende Inputs, was Unternehmen, Führung, Digitalisierung, KI, Tech, etc. angeht.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Er ist stressiger geworden. Zahlreiche Pushes und neue Artikel mit den noch schrilleren Schlagzeilen scheinen bald im Minutentakt auf dem Display zu erscheinen. Das Tempo zieht sich auch auf der technischen Ebene durch. Die Geschwindigkeit, in der zum Beispiel digitale Tools entwickelt und auf den Markt gebracht werden, ist enorm. Ein Journalist muss heute technisch mehr können als früher. Das ist eine ständige Herausforderung. Zum einen selbst mithalten zu können, zum anderen die Journalisten in den Redaktionen stets mitziehen zu können. Aber das Spektrum der Möglichkeiten wird immer grösser und die Tools immer einfacher. Das stimmt einen zuversichtlich. Das «t3n Magazin» bietet an dieser Stelle tolle Tipps.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Ich habe «früher» nicht im Journalismus gearbeitet, deshalb ist es schwierig, diese Frage ansatzweise seriös zu beantworten. Aber ich spüre heute eine grosse Lust der jungen Leute am Journalismus. Sie dürfen heute frech sein, viel ausprobieren. Wir müssen uns um sie kümmern, sie seriös fördern, fordern, mitreissen. Sie sind unsere Zukunft. Und ich wage eine Annahme: Mit Blick auf die aktuellen Krisen, Veränderungen und Herausforderungen aller Art war es wohl noch nie so spannend, diesen Beruf auszuüben. Die Medien in der Schweiz machen ihren Job grossmehrheitlich gut. Wenn die Branche selbstkritisch bleibt und nicht selbstgefällig wird, sieht’s gut aus.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ich denke, wir Journalistinnen sind Profis darin, unseren Berufsstand generell totzuschreiben. Nirgendwo scheinen die Herausforderungen grösser, keine andere Branche scheint derart kämpfen zu müssen. Wir sollten damit aufhören. Aufhören zu jammern und anfangen zu handeln. Und nicht nur über Probleme zu reden, sondern sie zu lösen versuchen, gepaart mit unternehmerischem Denken und Leidenschaft für den Beruf. Deshalb: Das geschriebene Wort hat Zukunft, wie andere neuere Formen auch. Und seien wir ehrlich, am Ende zählt doch die Geschichte. Wenn sie gut ist, ist sie gut. Unabhängig von der Form.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Von Paul Widmer «Die Schweiz ist anders – oder sie ist keine Schweiz mehr».

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Es ist deprimierend. Ich lege sie mit grossem schlechtem Gewissen weg.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In Gesprächen mit überzeugenden Persönlichkeiten.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Das dürfte schneller gehen als bisher angenommen. Dann gilt es, die wegbrechenden Werbeeinnahmen mit gebündelten Grossauflagen, neuen digitalen Produkten und erweiterten Angeboten abzufedern und auf alternative Abo-Modelle zu setzen. Ein Blick ins Ausland hilft dabei.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Beides.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich schaue und höre nur noch on-demand. Ausser auf Reisen in Italien. Ich mag die italienischen Radiosender und ihre Moderatoren, die bereits um 5.30 Uhr das Leben feiern und ein Gefühl von «Hier-und-Jetzt-für-jeden» vermitteln.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

«Verbrechen» von «Die Zeit» in meiner Freizeit. Immer wieder «Politbüro» vom Tages-Anzeiger und unser eigener Podcast «Unner vier Öige». Ein kleiner, feiner Einblick in die Köpfe der Oberwalliser.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Ach, ich bin da optimistisch und habe grosses Vertrauen in die Jugend. Und in den Journalismus.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Manche Prozesse lassen sich sicher automatisieren. Zum Glück. So können wir die Effizienz steigern. Und wenn wir die Effizienz in gewissen Bereichen steigern können, haben Journalisten mehr Zeit für ihre Kernaufgaben. Dass Roboter ganze Artikel schreiben, sehe ich am ehesten im Newsbereich. Im Hintergrund weniger.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch. Der Journalismus muss sich wie jede andere Branche an die Marktbedingungen anpassen und die Gelegenheiten, die sich ihm offensichtlich bieten, nutzen.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Falls ja, eine, die zeitgemäss ist. Aber im Parlament schlafen Politikerinnen und Politiker. Man kann es ihnen nicht verübeln. Ist das Alter doch erheblich.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Gedichte.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Von schwarz-weiss Denken halte ich wenig. Die New York Times verzeichnete während Trumps Amtszeit einen unglaublichen Abo-Zuwachs. Die Zeitung ging nicht gerade zimperlich mit ihm um. Kann als Zeichen gewertet werden.

Wem glaubst Du?

Meinem Hund.

Dein letztes Wort?

«Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?» – Konrad Adenauer


Rebecca Schüpfer
Rebecca Schüpfer hat an der Universität Freiburg Medienwissenschaften studiert. 2017 ist sie als Radiomacherin bei «Radio Rottu» in den Journalismus eingstiegen, 2018 wurde sie stellvertretende Redaktionsleitern und 2020 Leiterin der Onlineredaktion. Nach der Fusion von «Walliserbote» und «Radio Rottu» zu Pomona hat sie die Abteilung aufgebaut und die Digitalisierung weiterentwickelt. Heute ist sie Onlinechefin des «Walliser Boten» und als solche Mitglied der Chefredaktion.
https://pomona.ch/


Basel, 27. März 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 270 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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Ein Kommentar zu "Rebecca Schüpfer: «Es war noch nie so spannend, diesen Beruf auszuüben»"

  1. Das ist mal eine Ansage. Die gute Buchempfehlung
    «Die Schweiz ist anders – oder sie ist keine Schweiz mehr» von Paul Widmer kann ich nur unterstützen.
    Der Titel bringt es auf den Punkt, doch die „Mainstream-Kräfte“ (=Begriff aus dem Buch) tendieren Richtung EU, Übernahmen, Globalisierung, gar neu NATO-Bändeleien usw…
    Die Schweiz löst sich auf wie der Würfelzucker im Wasserglas. Und wenn der Würfelzucker sich im Wasserglas auflöste, sieht man nichts mehr davon. Parallelen zum Zeitgeist sind unübersehbar….
    Toller Buchtipp, und das aus dem Munde einer journalistisch tätigen Person – Chapeau.
    Noch ein Radio-Tipp an Frau Schüpfer, welche „italienische Radiosender und ihre Moderatoren, die bereits um 5.30 Uhr das Leben feiern und ein Gefühl von «Hier-und-Jetzt-für-jeden» vermitteln“ liebt.
    Auch in France findet man dasselbe. Beim hören von „Radio Nostalgie“ (Mulhouse auf UKW 99,4), welches bis in die Schweiz gelangt (und auch im Internet zu finden ist) kann man gar nicht anders als „Gute-Laune“ zu erhalten. „Bonne musique et bonne humeur toutla journée“ ist angesagt. Zusammen mit ihren „les plus grands tubes“ (ich liebe diese französichen Hits, welche „Klanggemälden“ ähneln) geht die Arbeit leichter von der Hand. Höre ich nicht immer – aber immer öfters. Besonders krass: Dreht man am Radioknopf auf einen SRF-Sender, hört man wie wieder Probleme beackert werden, man hört von Krieg, Elend, vom bösen Ami und Russe und von ellenlangen Staumeldungen welche von einer Dichtestress-Kollaps-Schweiz zeugen. Dreht man wieder zurück – frappant – das Leben kommt zurück und wird gefeiert, luftig, Leichtigkeit, man wird weit… merveilleux französisch….

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