Rainer Stadler: «Der Medienwandel wird sich beschleunigen.»

Publiziert am 17. April 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Rainer Stadler, Medienredaktor bei der «NZZ», über seinen persönlichen Mediengebrauch, seinen Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Stadler ist sich sicher, «dass die Medien besser werden müssen, als sie es früher waren. Das erzwingen die neuen, härteren Wettbewerbsverhältnisse.» Und er sagt: «In der Medien-Schweiz gibt es zu wenige, die zu viel Macht haben.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Bevor ich frühstücke, habe ich meist schon diverse Medienläden per Smartphone durchwandert. Beim Frühstück ist das eigene Produkt, also die «NZZ», auf der Speisekarte.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Benutze ich alle nur aus beruflichen Gründen, letztere Plattform ohne eigenen Account. Ich schätze die Privatsphäre.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Kommt aufs jeweilige Ereignis an, also darauf, welcher Kanal und welches Medium den besten Zugang zum Geschehen hat. Wenn das Ereignis mich nicht persönlich oder beruflich zum Handeln zwingt, starre ich allerdings nicht dauernd auf Live-Kanäle. Das ist mir zu langweilig und sowieso eine Zeitverschwendung, also eine Sünde. Kurzfristig erfährt man selten viel Gescheites. Devise: eine Viertelstunde hinschauen, dann abwarten und Tee trinken. Und arbeiten.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Kommt drauf an, welche Aspekte man betrachtet und welchen Zeitrahmen man definiert. Sicher ist, dass die Medien besser werden müssen, als sie es früher waren. Das erzwingen die neuen, härteren Wettbewerbsverhältnisse.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ganz gewiss. Ab einem gewissen Komplexitätsgrad geht es nicht ohne Geschriebenes. Zudem sind Texte eine sehr effiziente Kommunikationstechnik.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Aristoteles.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Kann ich weglegen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Eigentlich ständig beim Lauf durch den Mediendschungel.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Wohl weniger lange, als manche derzeit prognostizieren. Der Medienwandel wird sich beschleunigen.

Sind E-Paper ein adäquater Ersatz für Papierzeitungen oder liest man sie anders?

Es kommt auf die Zeitung an. Generell dünkt mich, dass ich schneller und flüchtiger lese, was ich elektronisch konsumiere. Smartphone sind ein Nadelöhr des Kommunikationsmarkts. Insofern sind E-Paper doch ziemlich unhandlich. Wenn ich wählen kann, ziehe ich Papier vor. Es ist immer noch ein effizienter Datenträger – solange man nicht im Auto oder im Pendlerzug sitzt.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Chance, die besser genutzt werden könnte.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Kann vorkommen, dass ich das nutze, via iPad oder Smartphone. Aber eher selten. Ich ziehe Apps zum Auswählen von Sendungen vor.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre Radiosendungen, vor allem per Smartphone, und setze voraus, dass die Sendungen gestaltet werden. Podcasts sind ein Hype. Es gibt gute Audio-Beiträge, die ich verpasse, weil sie nicht in meinen Alltag passen.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Wenn sich das verfestigt, haben die Medien ein kleineres Kundenpotenzial, und die demokratische Willensbildung wird labiler. Nicht wünschenswert.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Hat er das gesagt? Die Fortschritte bei der Roboter-Intelligenz werden überschätzt. In meinem Alltag werde ich vor allem von dummer Software belästigt. Tamedia leidet derzeit an einem publizistischen Technologie-Tick. Mag sein, dass Journalisten in zehn Jahren durch intelligente Schreibprogramme unterstützt werden. Könnte durchaus hilfreich sein. Aber 25 bis 30 Prozent der Zeitungsartikel computer-generiert? Wer will solche Industrieware kaufen?

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Gewiss. Es gibt wunderbare technische Möglichkeiten für guten Journalismus. Wer jetzt davon träumt, sollte aber ein stattliches Erbe in Aussicht haben.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Gewiss, beruflich und privat. Macht Spass.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Ein verlässlicher, erstaunlich nachhaltiger Quotentreiber. Ein bizarres Phänomen, das Gedankenarbeit erfordert. Könnte man medial besser, intelligenter auswerten.

Wem glaubst Du?

Glauben tu ich nicht, aber ich traue jenen, die sich in einer Sache auskennen und kein dschihadistisches Herz haben.

Dein letztes Wort?

In der Medien-Schweiz gibt es zu wenige, die zu viel Macht haben.


Rainer Stadler

1958 geboren in St. Gallen. Studium der Philosophie und der französischen Literatur und Linguistik in Zürich und Paris. Danach Mitarbeiter eines Pressebüros. 1989 Wechsel zur NZZ. Heute Feuilletonredaktor der NZZ, spezialisiert auf die Beobachtung des wirtschaftlichen, technischen, politischen und weltanschaulichen Geschehens in der Medienbranche. 2008 hat Stadler den Zürcher Journalistenpreis für sein Gesamtwerk erhalten. 2011 ist er mit dem Radio- und Fernsehpreis der Ostschweiz ausgezeichnet worden.

https://www.nzz.ch/meinung/kolumnen/in-medias-ras/


Basel, 17. April 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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